Die SLM®280 ist ein äußerlich unscheinbarer grauer Schrank. An einer Seite führt ein Bündel aus Kabeln und Schläuchen hinein, vorne sind ein Monitor und eine Tastatur angebracht. Die Vier-Farben-Warnleuchte auf dem Dach zeigt grünes Licht. Die Maschine ist in Betrieb. Wie sie arbeitet, lässt sich durch ein Kontrollfenster verfolgen. Es ist in etwa so groß wie ein Tablet-Computer und zum Schutz der Augen gelblich grün eingefärbt. Zwei Laserstrahlen feuern im schnellen Wechsel auf eine graue Oberfläche, die mit etwas Phantasie wie Mondstaub aussieht. Wo die Strahlen auftreffen, stieben hellgelbe Funken auf, eine Struktur aus mehreren kreisförmigen Objekten wird erkennbar. Ein Maschinenführer wirft im Vorbeigehen einen kurzen prüfenden Blick darauf und erklärt dem Gast: „das werden Hüftpfannen aus Titan“.
Nachdem Kunststoff-3D-Drucker schon länger in der Massenproduktion eingesetzt werden, lassen sich nun auch Teile aus Metall in industriellem Maßstab drucken. „Das ist für uns ein Quantensprung“, sagt Henner Schöneborn, Technik-Vorstand des Herstellers SLM Solutions. Das Unternehmen zieht gerade in eine neu errichtete Zentrale in Lübeck (Schleswig-Holstein). Die Mitarbeiterzahl hat sich in den letzten zehn Jahren von 40 auf etwa 400 verzehnfacht, die Zahl der produzierten Maschinen wächst noch schneller. Wurden im Jahr 2010 noch zehn 3D-Drucker pro Jahr gefertigt, waren es 2017 bereits 125 Maschinen. Und vielleicht ist das erst der Anfang. Durch den Übergang in die Massenfertigung stößt der Metalldruck in neue Dimensionen vor. Eine riesige Chance für die Hersteller, und zugleich eine enorme technologische Herausforderung. Um sie zu bewältigen, entschied sich das von Porsche Consulting beratene Unternehmen zur Einführung neuer, agiler Arbeitsmethoden. Für die Entwicklung des neuen Spitzenmodells stellte Schöneborn ein sogenanntes Scrum-Team auf. Dafür wurden zwölf Ingenieure von allen anderen Aufgaben entbunden.
Serienfertigung bedeutet rasant wachsenden Innovationsdruck
Serienfertigung, das bedeutet: mehr Nachfrage, aber auch mehr Konkurrenz und einen rasant wachsenden Innovationsdruck. Für den Einsatz in der Massenproduktion müssen die Maschinen schnell und dabei zugleich auch in hohen Stückzahlen stabil und fehlerfrei arbeiten. Eine Maschine zu konstruieren, die das kann, bedeutet einen erheblichen Entwicklungsaufwand. Und das unter hohem Zeitdruck. „In unseren alten Prozessen und Strukturen“, stellte Schöneborn bald fest, „ließen sich diese komplexen Herausforderungen nicht mehr bewältigen.“
Nun trifft sich das Projektteam an jedem Arbeitsmorgen im Projektraum zur zehnminütigen Lagebesprechung. Alle Blicke sind auf eine große Magnetwand gerichtet. Die ist gefüllt mit gelben Zetteln, auf denen das Mammutprojekt in unzählige Einzelschritte zerlegt ist. Links kleben die unerledigten Aufgaben, ganz rechts, was bereits fertig ist. In der Mitte dazwischen hängen zwölf Figuren von Superhelden wie Superman und Hulk. Diese Helden repräsentieren die Team-Mitglieder, die jeden Morgen eine Aufgabe übernehmen, nicht mehr. Fokussierung statt Multitasking. Wer woran arbeitet, wie weit welches Teilprojekt gediehen ist, all das ist jederzeit sichtbar. Vertrieb und Einkauf werden frühzeitig eingebunden, Akteure mit neuen Funktionsbeschreibungen wie „Product Owner“ und „Scrum-Master“ wachen über den Entwicklungsprozess. Wo früher Ingenieure allein bis zur Perfektion an Lösungen tüftelten, erfolgt die Entwicklung nun in konzentrierten Sprints. „Wir haben jetzt einen wesentlich besseren Projektüberblick und können schneller umsteuern“, sagt Schöneborn.
Solche Scrum-Teams haben in den vergangenen Jahren in vielen IT-Unternehmen Einzug gefunden. Sebastian Lemm, Associate Partner bei Porsche Consulting, ist von der Wirkung überzeugt: „Durch die zunehmende Verzahnung der Hard- und Software-Welt wird es für nahezu alle Industriezweige wichtig, die unterschiedlichen Entwicklungsprozesse und Zyklen anzugleichen“, sagt er und fügt hinzu. „Agile Arbeitsmethoden sind auf dem Vormarsch“.
Vorteile der ungewohnten Arbeitsweise
Unter Einsatz agiler Methoden treibt SLM Solutions das Projekt mit großem Tempo weiter voran. Henner Schöneborn stellt bereits für eine andere Entwicklung das nächste agile Projektteam zusammen. Und während beim agilen Pilotprojekt noch mancher Ingenieur skeptisch gewesen sei, wollten nun viele unbedingt dabei sein, berichtet Schöneborn. Offenbar sehen sie zunehmend die Vorteile der ungewohnten Arbeitsweise. In den Augen von Schöneborn ist der Mut, sich frühzeitig auf das neue Gebiet dynamischer Entwicklungsprozesse zu wagen, entscheidend für den zukünftigen Erfolg seines Unternehmens: „Nur wenn wir unseren Technologievorsprung behaupten, werden wir uns gegen den wachsenden internationalen Wettbewerb durchsetzen können.“