Banker in Brioni-Anzügen, die mit Pappkartons in den Armen und betretenen Gesichtern ihre Büros verlassen: Die Bilder von der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers gingen 2008 um die Welt – und stehen bis heute für das Wirtschaftssystem der USA, für einen rauen, riskanten und rücksichtslosen Kapitalismus.
Doch wer den Amerikanern kollektive Kaltblütigkeit unterstellt, hat weit gefehlt. Laut World Giving Index, der die Spendenbereitschaft der Länder weltweit vergleicht, nehmen die USA seit vielen Jahren den ersten Platz auf der Rangliste der Spendenfreudigen ein. Amerikaner – Privatleute, Stiftungen wie Unternehmen – gaben 2013 insgesamt 416,7 Milliarden Dollar. Deutschland liegt auf Platz 22, hinter Indonesien, aber vor Costa Rica.
In das Ranking des World Giving Index fließt neben dem Spendenvolumen auch die Zeit ein, die sich die Bewohner eines Landes wohltätiger Arbeit widmen. Und auch in diesem Bereich sind die Amerikaner führend. „In den USA gehört es in den großen, aber auch in den mittelständischen und kleinen Unternehmen zum guten Ton, sich für wohltätige Zwecke zu engagieren“, sagt Norman Firchau. Sei es in Form eines Charity-Golfturniers, mit dem Einsatz der Belegschaft in der örtlichen Suppenküche oder als freiwillige Helfer in Nationalparks.
„Made in the USA“ – ein verloren geglaubtes Gütezeichen schickt sich zu einem Comeback an. Wider die düsteren Prognosen der vergangenen Jahre, die vom Outsourcing der amerikanischen Wirtschaft nach China, von Ausverkauf und Niedergang sprachen, hat die Industrieproduktion in den USA seit Ende der Rezession 2008/2009 wieder behutsam, aber stetig angezogen: Im Jahr 2013 steuerte die Fertigungsbranche mehr als 2 Billionen Dollar zur amerikanischen Gesamtwirtschaft bei; 2008 waren es dagegen nur 1,6 Billionen.
Amerikaner arbeiten im Schnitt 500 Stunden mehr als Europäer
Ökonomen sprechen bereits von einer Trendwende. Die Gründe: Während die Lohnkosten in Asien steigen, bleiben sie in Amerika stabil; damit
wird das Lohnkostengefälle flacher. Die Rohölförderung in den USA hat zuletzt um 10 Prozent, die Produktion von Erdgas um 5 Prozent angezogen. Die in der Folge sinkenden Energiepreise locken produktionsintensive Firmen ins Land: Amerikanische Unternehmen, die zuvor ihre Fertigung nach Asien verlegt hatten, kommen zurück, und immer mehr ausländische Unternehmen – darunter auch viele Automobilhersteller – siedeln sich in den USA an.
Vor allem im Südosten des Landes, wo Gewerkschaften traditionell wenig Einfluss auf die Lohnentwicklung haben, werben die Bundesstaaten mit Steuererleichterungen, Subventionen und anderen Ansiedlungsanreizen. Auch Porsche Consulting hat seine US-Niederlassung in der Südstaatenmetropole Atlanta errichtet. Nicht nur, weil auch die Muttermarke, Porsche Cars North America, in Atlanta ihren Firmensitz hat, betont Norman Firchau. „Atlanta hat den größten Passagierflughafen der Welt. Und auch einer unserer größten amerikanischen Kunden, Delta Airlines, ist hier zu Hause.“
Amerikaner arbeiten viel – laut einer UN-Studie etwa 500 Stunden mehr im Jahr als der durchschnittliche europäische Angestellte. Außerdem sind die USA die einzige Industrienation der Welt, in der es kein Recht auf bezahlten Urlaub gibt. In der EU sind dagegen 20 Tage bezahlter Urlaub per Gesetz vorgeschrieben. Doch im Alltag ist das transatlantische Freizeitgefälle nicht ganz so steil, wie es die Statistik nahelegen mag. Tatsächlich haben die meisten Angestellten in den USA bezahlte Urlaubstage: durchschnittlich 15 im privaten Sektor und bis zu 26 im öffentlichen Dienst. Hinzu kommen gesetzliche Feiertage, vom Unabhängigkeitstag über Thanksgiving bis Weihnachten – zehn insgesamt, und das entspricht dem europäischen Durchschnitt.
Vor allem in Corporate America sind die kleinen Verschnaufpausen eingeflochten in das bürokratische Gewebe. So wird von New York über Chicago bis Los Angeles das Mittagessen oft auswärts eingenommen und gerne als mehrstündiges Geschäftsessen geplant. Das heißt dann Power Lunch – und klingt besonders produktiv. In China gilt der Lunch als zentraler Termin für Geschäftsverhandlungen sowie für Geschäftsabschlüsse.
Auch in Italien verhandeln Businesspartner gerne über einem ausgedehnten Mittag-, aber noch lieber bei einem Abendessen, das sich bis in die Nacht hinziehen kann. In Brasilien gehört der Lunch zwar zum festen Ritual des Arbeitstages, allerdings gilt es dort in erster Linie der Entspannung und weniger dem Business. „Geschäftsgespräche schaden der Verdauung“, sagt man dort.
Die USA sind das Land der Pendler , heißt es. Doch nur 8 Prozent der erwerbstätigen Amerikaner fahren 60 Minuten oder länger zu ihrem Arbeitsplatz – und ebenso lange wieder nach Hause. Im Durchschnitt benutzen 80 Prozent dafür das Auto und nur 5,3 Prozent öffentliche Verkehrsmittel. Den längsten Weg haben die New Yorker: 48 Minuten brauchen die Bewohner des Big Apple, um zu ihrem Arbeitsplatz zu kommen – fast doppelt so lang wie der durchschnittliche amerikanische Pendler, der braucht gerade einmal 25 Minuten.
Das Pendeln und seine Auswirkungen – vor allem Energieverbrauch und Produktivitätsverlust – kosten die USA nach Berechnungen des Urban Mobility Report, einer Studie der Texas A&M University, rund 121 Milliarden Dollar im Jahr. Allerdings: „Amerikanische Unternehmen arbeiten mit Hochdruck an effizienten Mobilitätskonzepten der Zukunft“, sagt Norman Firchau, „damit die Übergänge zwischen Pendeln, Arbeit und Freizeit zunehmend fließend werden“ – vom fahrerlosen Auto bis zu Metro und Bussen mit WiFi.
Deutsche und Amerikaner haben gleiche Wertvorstellungen
Im internationalen Vergleich der Berufspendler stehen die USA übrigens gar nicht so schlecht da. Weltweit liegt die Pendeldauer bei durchschnittlich 40 Minuten; in Westeuropa beträgt sie 38 Minuten. Unter den Europäern haben die Briten den längsten Weg zur Arbeit, nämlich 45 Minuten. Weltweit benötigen die Pendler in Asien die meiste Zeit, vor allem in Japan und China: In Peking dauert der durchschnittliche Weg zur Arbeit eine Stunde, in Shanghai 50 Minuten.
Deutsche und Amerikaner haben die gleichen Wertvorstellungen. Das meinen 53 Prozent der Amerikaner, wie eine Umfrage der deutschen Botschaft in Washington ergab. Kein Wunder, denn ein Großteil der Amerikaner hat – nach eigenen Angaben – deutsche Wurzeln. Viele Amerikaner sehen Deutschland denn auch als wichtigsten Partner in Kontinentaleuropa, und deutsche Firmen tragen wesentlich zum wachsenden Nettovermögen ausländischer Unternehmen in den USA bei – das liegt derzeit bei knapp 4 Billionen Dollar.
Im deutsch-amerikanischen Geschäftsalltag sind es allerdings nicht nur die Gemeinsamkeiten, sondern auch die kleinen Unterschiede, die die Zusammenarbeit prägen. Bei der Entscheidungsfindung zum Beispiel. Während der deutsche Chef erst dann, wenn er in ständigem Austausch mit seinem Team alle Argumente systematisch abgewogen und einen wasserdichten Plan B erstellt hat, den Startschuss für ein Projekt gibt, entscheidet sein amerikanischer Kollege häufig sehr viel schneller – und korrigiert dann nach Bedarf den Kurs in der Praxis.
Das Ergebnis sind dynamische Synergien im Businessalltag, findet Norman Firchau: „Die Deutschen stehen für Plan und Struktur, die Amerikaner für Aufbruchstimmung und Pioniergeist – zusammen ergibt das eine schlagkräftige Kombination.“
Info
Text erstmalig erschienen in „Porsche Consulting - Das Magazin", Ausgabe 15
Autorin: Katja Ridderbusch