Hoch oben, durch die Scheiben des Raums in der Porsche-Arena, hat man nicht unbedingt den besten Blick auf den Centre-Court. Aber auf den können Marek Biolik und seine beiden Kollegen von FlightScope gut verzichten. 16 Monitore haben sie vor Beginn des Porsche Tennis Grand Prix an einer Wand installiert, sie zeigen Action und: Daten, Daten, Daten. Auf dem Tisch vor Biolik stehen Laptops, auf denen ständig sich ändernde Balken flirren, dahinter liegen Kabel. Das Ganze sieht ein bisschen nach nachrichtendienstlicher Tätigkeit aus, womit der Kern von Marek Bioliks Job auch bestens beschrieben ist.

Im Auftrag der Spielervereinigungen ATP und WTA handelt FlightScope die zentrale Nachricht im Tennisgeschäft: den Live- Score. Mit der Software von FlightScope gibt der Stuhlschiedsrichter den Stand seines Matches in ein Tablet ein. Von dort aus werden die Daten unmittelbar auf die Server von ATP und WTA übertragen, von wo aus sie in Bruchteilen von Sekunden weiter distribuiert werden, etwa an TV-Anstalten. Oder wie hier in Stuttgart als konfigurierte Datensätze für das Hallen-TV, für die riesige Leinwand an der Kopfseite des Centre-Courts sowie den Würfel im Hallenhimmel. Auch die dort angezeigten Aufschlaggeschwindigkeiten der Spielerinnen sind von FlightScope erhoben. Und es ginge noch mehr.

Digitale Spielanalyse, 2018, Porsche AG
Daten, Daten, Daten: Maria Sharapovas Aufschlag ist kein Geheimnis mehr

„Wir könnten mit Hilfe unserer zusätzlichen kamerabasierten Systeme weitere Informationen anzeigen lassen“, sagt Biolik. „Statistiken wie ‚Quote Zweiter Aufschlag‘, ‚Bilanz Unforced Errors‘, ‚Fehler mit der Vorhand‘.“ FlightScope sammelt unablässig, dabei benötigt das gesamte System, so wie es beim Porsche Tennis Grand Prix zum Einsatz kommt, maximal 30 Megabyte. Neben FlightScope aggregriert auch das Unternehmen Hawkeye beim Porsche Tennis Grand Prix Daten. Hawkeye hat eine Technologie entwickelt, bei der zehn um den Platz installierte Kameras die Position des Spielballs bestimmen und diese auf Wunsch in eine 3D-Ansicht übertragen. So kann etwa angezeigt werden, ob ein Ball noch auf der Linie oder doch schon im Aus gewesen oder mit welchem Spin und Tempo der Ball unterwegs ist. Noch mehr Spielmetarial also für einen Mann wie Milan Cerny.

Cerny hat sich mit seinen Kollegen in den vergangenen fünf Jahren eines besonderen Projektes angenommen. „Wir haben uns angesehen“, erklärt der Technology & Innovation Lead SAP Global Sponsorships, „welche Potenziale in den Daten von Flight-Scope und Hawkeye stecken.“ Cernys Ziel: Eine On-Court-Coaching-Lösung für Trainer zu kreieren, denn seit 2015 dürfen die beim Coachen auf dem Platz auch technische Hilfsmittel einsetzen, wie etwa ein Tablet. Herausgekommen ist eine cloudbasierte App namens „SAP Tennis Analytics for Coaches“, die beim Porsche Tennis Grand Prix vom Großteil der Trainer genutzt wird. In Stuttgart stellt SAP pro Court zwei Tablets zur Verfügung, die Daten aktualisieren sich alle 15 Sekunden. Live-Daten dürfen aufgrund möglicher Wettmanipulationen nicht genutzt werden.

„Heute schaue ich in die App und habe alles, was ich brauche“

„Vor vier Jahren“, sagt Wim Fissette, Trainer von Angelique Kerber, „habe ich meine Gegneranalysen während eines Matches noch mit Bleistift zu Papier gebracht. Heute schaue ich in diese App und habe alles, was ich brauche, auf einen Blick.“ Denn in der SAP-App werden nicht nur Informationen zum aktuell laufenden Match in verschiedenen Formen dargestellt, sie funktioniert auch als historisches Gedächtnis. So lässt sich beispielsweise aufrufen, wo die Gegnerin auf einem Belag wie in Stuttgart ihren ersten Aufschlag mit welcher Geschwindigkeit platziert und wo die Position für den besten Return ist.

Dzenita Mladenovic, Trainer, Kristina Mladenovic, Tennisspielerin, l-r, 2018, Porche AG
Was meldet die Analyse? Der Blick auf den Touchscreen wird immer wichtiger

„Dieses Tracking der Aufschlagrichtung gefällt mir besonders“, sagt Sven Groeneveld, einst Trainer von Ana Ivanovic, Caroline Wozniacki und zuletzt von Maria Sharapova. „Es lassen sich dadurch Verhaltensmuster allgemein und in spezifischen Spielsituationen erkennen und visuell darstellen. Sowohl bei meiner Spielerin als auch ihrer Gegnerin.“ Und was dem Trainer hilft, kommt auch seiner Spielerin zugute. Groeneveld: „Wenn ich einer Spielerin die reinen Fakten präsentieren kann, nimmt das jegliche Emotionalität aus der Sache heraus. Denn: Zahlen lügen nicht.“ Aber das ist nur der eine Teil der Wahrheit.

Der andere ist, dass beiden Kontrahentinnen auf dem Court und ihren Trainern dieselbe umfangreiche Datenaggregation zur Verfügung steht. Es gibt also keine Geheimnisse mehr, die Spielerinnen sind gläsern, sie sind durchschaubarer geworden – und hier beginnt im Zeitalter von Tennis 4.0 die eigentliche Herausforderung für den Trainer. „Das führt dann dazu“, sagt Wim Fissette, „dass man mehr Variationen ins Spiel der eigenen Spielerin hineinbringen muss.“ Also die Spielroutine abändern, was natürlich auch der Trainer der Gegnerin versuchen wird. „Wir Trainer“, erklärt Fissette abschließend, „haben heute Zugang zu mehr Informationen als jemals zuvor. Am Ende aber bleibt es stets dasselbe: Du musst auf dem Platz insgesamt einfach besser sein als deine Gegnerin.“ Daten helfen dabei.

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