Schnee knirscht unter Winterreifen, ein Geräusch wie zersplitterndes Glas. Langsam und fast zaghaft rollen sie auf die Fläche des Sankt Moritz-Sees: Ein Rallye-Porsche 911 ST der siebziger Jahre und dicht dahinter ein aktueller GT2 RS. Jeder zu seiner Zeit das absolute Extrem. Damals: superleicht, racing-radikal, vollgas-funktional. Heute: High-Tech in virtuos, ein Ausflug in die Parallelwelt des Machbaren, Feuerwerk der Extreme. Was beide gemeinsam haben? Der Reiz des Analytischen, stringente Funktion. Die pure Emotion kommt später. Beim Fahren. Also genau: jetzt!

Mit ein paar Gasstößen stöbert der ST los, er hat die rutschige Oberfläche irgendwie in den Genen. Das Heck bricht sanft aus und schubst den Rallye-Klassiker in einen langgezogenen Drift. Schnelle Schaltvorgänge, auf diese Weise bleibt der Zug möglichst konstant, das Auto gut kontrollierbar. Beeindruckend, wie spontan und präzise der alte 2,3-Liter-Boxer auf Gasbefehle reagiert und es so möglich macht den Kurs mit dem Gaspedal zu steuern. Das Lenkrad wird da zu so etwas wie einer Balancierstange, mit möglichst weichen Bewegungen lassen wir den 911 ST dahinschwingen. Ganz ohne Zwang, den Witterungsbedingungen angemessen cool und gleichzeitig sagenhaft schnell. Er ist in seinem Element.

911 ST, Sankt Moritz, 2018, Porsche AG
Der 911 ST hat die rutschige Oberfläche in den Genen

Weit hinten scheint der GT2 RS noch etwas zu zögern, sich zu überlegen, ob seine Kraft auf einer geschlossenen Schneedecke wirklich so eine gute Idee ist. Vielleicht ist es aber auch der selbstbewusste Auftritt des alten 911, der dem Newcomer Lampenfieber macht: Wenn man den alten ST so in glitzernden Schneekaskaden dahinfahren sieht, wirkt das ungemein souverän und spielerisch. Der lässt nichts anbrennen. Nur weil er jünger, weiter entwickelter, moderner ist, bedeutet in diesem Moment nicht, dass der neue GT2 RS einen Vorsprung abonniert hätte. Er muss selbst da raus und sich behaupten. Also los.

Sankt Moritz bestaunt auf dem zugefrorenen See ein Eisballett

Und einen Wimpernschlag später steht schon fest, dass sich dieser GT2 RS hier keineswegs aufführen wird wie die Axt im Walde. Seine immense Motorleistung lässt sich fein portionieren, die Lenkung ist skalpellpräzise, die Balance perfekt ausgeglichen. Und so kommt es, dass ganz Sankt Moritz unten auf dem zugefrorenen See ein wahres Eisballett bestaunen kann, wirbelnde Fahrfreude im gemischten Doppel. Über den Motoren flirrt die Hitze in der eiskalten Bergluft, in den Rädern und an den Karosserien hat sich eine fast romantische Schicht aus glitzerndem Eisstaub gebildet. Wir rollen hinaus auf die Straße, zielen auf der Hauptstraße nach Nordost und nehmen die nächste Abfahrt zum Berninapass. Kaum zu fassen, wie der Porsche 911 GT2 RS jetzt dahinstürmt.

In großen Schwüngen nimmt er die Rampen der Pass-Straße, gischtet durch die kleinen Schmelzwasser-Bäche auf der Straße und wirbelt Feuchtigkeit in die Luft, die sich dort in der gleißenden Sonne zu sofortigen Regenbogen hinreißen lässt. Tiefes Hineintauchen in die Kehren, schnaubendes Turbo-Ausatmen, Dampffahnen vor den Nüstern. Mühelose Beschleunigung, so vollkommen schwerelos, wie man es eigentlich sonst nur in Träumen vom Fliegen erlebt – hier ist sie. Das PDK-Getriebe klickt unmerklich die passenden Gangstufen ein, macht aus der immensen Motorleistung einen ausgedehnten Spannungsbogen ohne jede Unterbrechung. Die Traktion ist unfassbar – selbst bei diesen Bedingungen. Auf Salzstaub, Nässe und Eis, wie ein mächtiges, leidenschaftliches Tier fiebert der GT2 RS den Pass hinauf.

911 GT2 RS, Sankt Moritz, 2018, Porsche AG
Der GT2 RS fiebert den Pass hinauf

Dahinter fährt der alte ST sein ganz eigenes Rennen in wunderbar analogem Rhythmus. Schalten mit lustvollem Zwischengas, das Knurren des Boxermotors wabert in die schneebedeckten Hänge ringsum. Er ist anders als sein Jahrzehnte jüngerer Bruder, aufwändiger zu fahren, ein klein wenig räudig fast – aber herrlich intensiv.

Irgendwann sind wir oben an der Passhöhe, bleiben für einen Moment zwischen hohen Schneemauern links und rechts der Straße stehen und blinzeln in die strahlend weiß-blaue Einsamkeit ringsum. Spüren knackige Kälte im Gesicht. Aber dann scheinen uns die großen Zusatzscheinwerfer des 911 ST zuzuzwinkern: Der Tag hat noch ein paar Stunden, lass uns fahren bis in die Dunkelheit der Berge. Und genau das tun wir.

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