Der 911 ist seit Jahrzehnten eine weltweite Designikone. Wie haben Sie die nunmehr achte Generation weiterentwickelt?
Peter Varga: Der 911 lebt von seiner einmaligen Formensprache. Allein die Silhouette spricht für sich: Anhand seiner genial gezeichneten Silhouettenlinie erkennt jeder auf Anhieb den 911. Unsere Aufgabe war es zunächst, Charaktermerkmale zu definieren, die wir entweder verändern oder noch stärker akzentuieren wollten. Aus meiner Sicht hat der 911 über die Jahre immer bessere Proportionen erhalten. Diese Entwicklung haben wir fortgesetzt, indem wir die neue Generation vorne und hinten verbreitert haben. Dadurch wollen wir den 911 noch knackiger, sportlicher und kerniger machen. Dass der Vorderwagen nun breiter geworden ist, tut dem 911 allgemein sehr gut. Der Hauptkörper mit der Fahrgastzelle ist hingegen vergleichsweise schmal gehalten. Die flachere Tür mit der Betonung an der richtigen Stelle unterstreicht insgesamt die kräftigeren Kotflügel. Gleichzeitig sind die Hinterräder ein Zoll größer. Dadurch steht das Fahrzeug deutlich besser auf der Straße und betont den Bereich, in dem sich der Antrieb und somit die ganze Kraft befindet. Das Heck ist für uns Designer aufgrund der Aerodynamik natürlich das Spannendste: Der 911 braucht sehr viel Abtrieb auf der Hinterachse; gleichzeitig war es das Ziel, den cw-Wert weiter zu verbessern. Diese Anforderungen – kombiniert mit der abfallenden Dachlinie – waren eine sehr große Herausforderung, mit der wir uns intensiv beschäftigt haben.
Ivo van Hulten: Bei der Gestaltung des neuen 911 war es uns auch besonders wichtig, die evolutionären Veränderungen aller bisherigen 911-Generationen zu berücksichtigen. Beim Ur-911 war zum Beispiel der Innenraum sehr horizontal gestaltet, alles befand sich auf einer Linie. Seit Ende der 1980er-Jahre rückte dann die Technik verstärkt in den Fokus. Beim neuen Elfer wollen wir neue Materialien und das jetzt wieder horizontale Layout betonen. Bei der Gestaltung der Elemente in der Mittelkonsole stand das emotionale haptische Erlebnis im Vordergrund. Zudem möchten wir das Bedienkonzept so einfach und so klar wie möglich gestalten. Eine neue Lenkradgeneration, die direkt mit dem Kombi-Instrument korrespondiert, vereinfacht und beschleunigt die Bedienung immens. Für das Center-Display haben wir einen größeren Touchscreen mit 10,9 Zoll integriert. Funktionen sind nun einfacher angeordnet, es lässt sich schneller und ablenkungsfreier bedienen als das Vorgängermodell.
Ist es schwer, eine Ikone wie den 911 noch neu zu interpretieren?
Varga: Respekt vor der Ikone sollte man haben, ja, aber keine Angst, das würde uns in unserer Arbeit hemmen. Wir Designer leben ja davon, kreativ und innovativ zu denken. Aber natürlich dürfen wir die Historie des Fahrzeugs nicht vergessen. Es ist gerade diese Kombination, die die Marke Porsche und speziell den 911 so besonders machen – zum Beispiel die eher klassische, geschlossene Grundform des Elfers auf der einen und die adaptive Aerodynamik auf der anderen Seite.
Van Hulten: Wir haben bei der Gestaltung des neuen 911 vor allem darauf geachtet, was das Wesentliche des Fahrzeugs ist und was ihn in seiner Essenz ausmacht. Letztlich haben wir uns die Frage gestellt, wie wir das Ikonenhafte für die neue Generation noch stärken können.
Wie lange dauert es, das Design eines Porsche von der ersten Idee bis zum Prototyp zu entwickeln?
Van Hulten: Von der ersten Idee bis zum „Start of Production“ rechnen wir mit ungefähr vier Jahren. Wir Designer sind im gesamten Entstehungsprozess schon sehr früh involviert. Ganz essenziell für unsere Arbeit ist die Haptik: Wir müssen neue Materialien sehen und berühren können, um später den Feinschliff des Designs vornehmen zu können. Wir arbeiten aber auch mit digitalen Mitteln, die unsere Arbeit viel effizienter und schneller machen als früher. Beispielsweise nutzen wir VR-Brillen, um für uns wichtige Daten virtuell schon sehr früh im Prozess in 3D sichten zu können. Diese 3D-Daten werden stetig weiterentwickelt und dienen dann auch als Grundlage für die Werkzeuge, mit denen am Ende das Fahrzeug in Zuffenhausen produziert wird.
Hat die fortschreitende Digitalisierung Ihre Arbeit schon sehr verändert?
Varga: Digitale Tools helfen uns, in allen Schritten im Designprozess schneller und vor allem flexibler zu sein als früher. So können wir etwa bestimmte Flächen am Fahrzeug genauso umsetzen, wie wir sie zuvor digital geplant haben. Dennoch ist die Formensprache des 911 so besonders, dass wir Freiformflächen erst mit einem physischen Eins-zu-eins-Modell final definieren.
Auf welches Detail des neuen 911 sind Sie besonders stolz?
Van Hulten: Das Besondere im neuen 911 ist für mich das Kombi-Instrument. Das Kombi-Instrument zeigt eine schöne Balance zwischen analog und digital. Der analoge Drehzahlmesser in der Mitte komplementiert die digitale Kombi zu fünf echten Kreisen, die nicht mehr angeschnitten sind.
Varga: Mich freut es sehr, dass im Heck des 911 nun ein durchgehendes, einteiliges Leuchtenband integriert ist. Ein puristischer Ansatz, der das cleane, klar strukturierte Design des neuen 911 vollendet. Die zusätzlichen Elemente wie Kennzeichen, Einprägungen, Endrohrblenden oder Zusatzleuchten haben wir alle nach unten sortiert, dadurch kommt der 911 der Straße optisch noch näher.
Peter Varga
Nach einem Studium an der Hochschule Pforzheim im Fachbereich Transportation Design startete der 1978 in Ungarn geborene Varga 2004 als Exterieur-Designer bei Porsche – und übernahm dort 2016 die Leitung des Ressorts. Sein besonderes Augenmerk: Er möchte die Modelle nicht überzeichnen, sondern die Unkompliziertheit im Geiste des ersten 911 bewahren und Überflüssiges weglassen. Funktionalität statt Überzogenheit also, Geradlinigkeit statt Hypertrophie. In diesem Sinne hält er auch wenig von radikalen Designschnitten, die die Markenidentität des 911 verändern würden. Vielmehr geht es ihm darum, die drei Kernelemente des Elfers weiterhin im Konnex zu halten: Leistung, Form und Alltagstauglichkeit.
Ivo van Hulten
Van Hulten wurde 1977 in Waalwijk in den Niederlanden geboren. Sein Studium an der Design Academy Eindhoven prädestinierte ihn für Stationen bei Audi und Opel – hier bereits als Chefdesigner. 2014 folgte er dem Ruf nach Zuffenhausen und zeichnet seitdem als Direktor für das Porsche-Interieur. Er orientiert sich an dem Leitmotiv der klaren Gestaltung und ablenkungsfreien Bedienbarkeit. Digitalisierung und Einfachheit gehören für ihn untrennbar zusammen. So möchte er in Zukunft eine ausgewogene Balance sicherstellen zwischen der analogen und der digitalen Welt.
Info
Text erstmalig erschienen im Porsche-Kundenmagazin Christophorus, Nr. 389