Im Motorsport zählt jedes Gramm. Möglichst viel Kraft, Beschleunigung und Sicherheit bei möglichst geringem Gewicht, das ist die Devise bei der Konstruktion jeder Rennmaschine. Ganz besonders gilt das für die 24 Stunden von Le Mans: Jedes überflüssige Gramm wird über mehr als 350 Runden mitgetragen; alle verlorenen Sekunden summieren sich über rund 5000 Kilometer zu Minuten – eine Welt. Doch seit 2014 gibt es in Le Mans noch einen weiteren Grund zur Gewichtsreduktion. Die neue Effizienzregelung zwingt die Teams, den Spritverbrauch ihrer Rennwagen radikal zu minimieren. Maximal 5,04 Liter Rennbenzin darf jedes Auto pro Runde nur noch schlucken – eine echte Herausforderung für die Entwickler des 919 Hybrid.
Leicht und stabil
Auch bei Straßenfahrzeugen muss immer mehr auf Gewicht und Verbrauch geachtet werden. Bis 2020 muss die Fahrzeug-Flotte eines Herstellers durchschnittlich unter 95 Gramm CO2 pro Kilometer bleiben – ein weiterer großer Schritt.
Die leichte Kohlenstofffaser könnte ihren Teil dazu beitragen. Doch noch immer ist Carbon als Werkstoff für die Autoindustrie nicht wirklich massentauglich – trotz seiner höchsten Zugfestigkeit, Elastizität und Wärmeleitfähigkeit – und einer langen Entwicklungsgeschichte. Sie beginnt in den 1870er Jahren mit dem amerikanischen Erfinder Thomas Alva Edison.
Erfindung der Kohlenstofffaser
Die deutlich optimierte Glühbirne ist seine vermutlich berühmteste Erfindung. Weniger bekannt ist, dass der geniale Tüftler auch die erste Carbonfaser produzierte. Für den Glühfaden seiner Birne suchte Edison nach einem Material, das elektrische Leitfähigkeit mit Flexibilität und Robustheit verband. Erst nach umfangreichen Nachforschungen in aller Welt gab er sich zufrieden – mit den Fasern einer japanischen Bambusart, die er durch langsames Erhitzen verkohlt hatte. Dieses Grundprinzip zur Herstellung von Kohlenstofffasern ist bis heute das gleiche geblieben: Ausgangsstoffe mit einem hohen Gehalt an Kohlenstoff werden bis zur Pyrolyse erhitzt, bis der Kohlenstoff als einzige Komponente übrigbleibt. So entstehen im besten Fall Fasern aus Graphit, der hoch geordneten Form des Kohlenstoffes. Diese Gleichmäßigkeit auf molekularer Ebene verleiht Kohlenstofffasern ihre hohe Zugfestigkeit und Flexibilität bei geringem Gewicht und kleinem Durchmesser. Ein menschliches Haar ist rund zehn Mal dicker als die fünf bis neun Mikrometer starke Kohlenstofffaser.
Von Edisons Glühfaden bis zum Hightech-Material des 919 Hybrid war es allerdings noch ein weiter Weg. Die Faser an sich wurde kontinuierlich verbessert: Von den Anfängen mit Bambus, Baumwolle oder Holz als Ausgangsstoffe ging die Entwicklung über reine Zellulose hin zum Polyacrylnitril, einem Kunststoff, aus dem heute die meisten Carbonfasern hergestellt werden. Alternativ werden die Fasern auch aus Pech hergestellt, durch Pyrolyse dieses bei der Erdöldestillation anfallenden Stoffes. Doch schöpft die Faser an sich ihr volles Potential erst in Kombination mit einer Matrix aus Kunststoffen aus, in die sie eingebettet wird.
Material für Luft- und Raumfahrt
In der Luft- und Raumfahrt wurden ab den 1950er Jahren zu Stoffbahnen verwobene Kohlenstofffasern verwendet, die mit Kunstharzen getränkt und so zu stabilen, enorm leichten Formteilen verarbeitet wurden – die Geburt des CFK. In der Fahrzeugindustrie trat der faszinierende Werkstoff erst in den 1990er Jahren in Erscheinung. Bei Porsche feierte die Kohlenstofffaser ein gebührendes Debut: Der 911 GT1 aus der Rennsaison 1998 war der erste Porsche mit Kohlenstofffaser-Chassis. Die Konstrukteure sparten damit satte 50 Kilogramm an Gewicht gegenübet dem Vorgängermodell – und fuhren prompt einen grandiosen Doppelsieg in Le Mans ein. Die Straßenpremiere in Sachen Kohlenstofffaser war bei Porsche fünf Jahre später ebenfalls einem Ausnahmesportler vorbehalten: dem Carrera GT.
Doch trotz seiner überragenden Eigenschaften hat Carbon die Fahrzeugtechnik nicht von Grund auf revolutioniert. Der einst vorhergesagte Siegeszug der Kohlenstofffaser bleibt bisher größtenteils Supersportwagen mit kleinen Stückzahlen vorbehalten. Der schlichte Grund: Die Kosten für CFK-Teile sind insbesondere bei hohen Stückzahlen im Vergleich zu Metallbauteilen nach wie vor sehr hoch. Die Herstellung der Kohlenstofffaser an sich ist schon sehr energie- und kostenintensiv; die Verarbeitung zum Endprodukt erfordert im Vergleich zu metallischen Werkstoffen deutlich aufwendigere, zeitintensivere und weniger automatisierte Fertigungsprozesse. Die Reduzierung der Fertigungskosten durch Verkürzung der Fertigungszeiten mittels schneller vernetzender Harze oder thermoplastische Matrixsysteme ist der Schlüssel zur Kostenreduktion und damit zur Großserientauglichkeit von CFK.
Porsche setzt auf einen intelligenten Werkstoffmix – auch mit Carbon
Bei Porsche steigt die Zahl der Fahrzeuge mit Carbon-Bauteilen: Neben dem 919 Hybrid spart auch der Straßensportler 911 GT3 RS einige Kilo durch Kofferraumdeckel, Heckspoiler und Kotflügel aus CFK. Und der 918 Spyder bringt ein komplettes Kohlenstofffaser-Chassis mit CFK-Monocoque auf die Straße. Für größere Stückzahlen wird die Leichtbau-Karosserie der Zukunft aber voraussichtlich einen intelligenten, anforderungsgerechten Werkstoffmix aus Aluminium und Stahl aufweisen, ergänzt um Bauteile aus Magnesium und Faser-Kunststoff-Verbundwerkstoffen wie CFK. Zusätzlich bieten insbesondere intelligente Hybridbauweisen, die die Vorteile von Metallen und Faser-Kunststoff-Verbunden vereinen, ein hohes wirtschaftliches Leichtbaupotenzial - insbesondere für mittlere und große Stückzahlen. Fest steht: Porsche wird der Geschichte der Kohlenstofffaser noch einige Kapitel hinzuzufügen haben.
Verbrauchsangaben
911 GT3 RS: Kraftstoffverbrauch/Emissionen* kombiniert 12,7 l/100 km; CO₂-Emission: 296 g/km