Weiße Riesen

Seit dem 930 3.0 Turbo des Jahres 1974 sind „Die Turbos“ die stärksten 911 einer jeden Generation. Porsche Klassik stellte die zwei letzten luftgekühlten Elfer mit Aufladung – den 964 Turbo 3.6 und den 993 Turbo S – dem aktuellen 991 Turbo gegenüber. Drei der besten Sportwagen aller Zeiten im Vergleich.

Das Schärfste an alten Automobilen ist die Tatsache, dass sie es uns Menschen der Gegenwart erlauben, in vergangene Zeiten zu springen. Tür auf, reinsetzen, Tür zu, starten. Schon rast der Kalender um 20, 30, 40 oder wie viele Jahre auch immer zurück (man sieht förmlich die Anzeige im DeLorean von Marty McFly vor sich). Klassische Porsche 911 sind die besten Zeitmaschinen. Weil zwischen den einzelnen Generationen dieses Königs der Sportwagen das genetische Band, eine alles verbindende DNA des Designs und der Technik, nie abgerissen ist. Und so lässt es sich im Elfer einzigartig von Epoche zu Epoche reisen. Ein junger Mensch hat hier die Chance, mit dem typischen metallischen Klack des kleinen Hebels im 911-Türgriff in Produkt-, Technik-, Farb- und Form-Welten einzutauchen, die vor seiner Zeit entstanden sind. Etwas Ältere indes bekommen die nicht minder faszinierende Möglichkeit, zurückzureisen in der eigenen Zeit – dabei einerseits einzutauchen in Vergangenes, um andererseits nach vorn gerichtet festzustellen, wie schnell sich in nur wenigen Jahren die Welt um uns und mit ihr insbesondere das Automobil verändert.

Alte Automobilen erlauben es uns, in vergangene Zeiten zu springen

Eine ganz eigene Faszination bekommt die Sache, wenn die technisch brillantesten Porsche 911 ihrer Zeit zu Zeitmaschinen werden – solche wie der 964 Turbo 3.6, der 993 Turbo S und der 991 Turbo. Wer hier von einer Generation in die nächste steigt, der erlebt, wie sich selbst der Status eines Supersportwagens und damit der des maximal technisch Machbaren immer weiter in die Zukunft katapultiert. 2017 verkörpert der 991 Turbo diesen Status. Listenpreis in Deutschland: ab 176.930 Euro. Die zwei „Alten“ indes gehören zu den wertvollsten und am rasantesten im Preis steigenden 911-Modellen der jüngeren Geschichte. Richtig gute 993 Turbo kosten heute mindestens so viel wie ein neuer 991 Turbo. Ein Turbo S im perfekten Zustand, mit einem Kilometerstand von weit unterhalb der 40.000-Kilometer-Grenze und einer Porsche Exclusive-Ausstattung auf Unikat-Niveau wie das firnweiße Exemplar in diesem Trio, ist längst am Preis eines heutigen 991 Turbo mit Vollausstattung vorbeigezogen. Dasselbe gilt für den grandprixweißen 964 Turbo (auf der rechten Seite im Bild), ebenfalls ein Low-Mileage-Auto, das genauso bis in den letzten Winkel von Porsche Exclusive werksseitig veredelt wurde. Nicht dass die Faszination dieser Autos von ihrem monetären Wert ausginge – mitnichten; doch man kann die Tatsache auch nicht außer Acht lassen, dass sowohl der 964 Turbo 3.6 (Preis Juni 1994: 207.880 DM) als auch der 993 Turbo S (Preis Februar 1998: 222.500 DM) ihren einstigen DM-Neupreis innerhalb von mehr oder weniger zwei Jahrzehnten komplett in einen Euro-Betrag verwandelt haben. Mehr noch: Längst gibt es Topexemplare, die für 300.000 Euro und mehr angeboten werden. Die hier von PORSCHE KLASSIK genutzten Zeitmaschinen stehen nicht zum Verkauf – doch aufgrund ihrer guten und lückenlosen Vita, des extrem niedrigen Kilometerstands und der besonderen Exclusive-Konfiguration dürften auch sie in dieser zuletzt genannten Liga unterwegs sein.

Erstzulassung am 1. Juni 1994

Klack. Der schwarze Türgriff des 964 macht ein metallisch-unverwechselbares Geräusch beim Betätigen. Die Tür, und auch das ist so typisch für diesen Wagen, dessen Wurzeln fünf Jahrzehnte tief in die Vergangenheit reichen, springt leicht auf. Einsteigen. Es riecht nach Neuwagen. Fast 23 Jahre nach seiner Erstzulassung am 1. Juni 1994 riecht dieser Wagen noch wie neu! Bestellt und zugelassen ursprünglich von Porsche in Stuttgart. Ein Ex-Werkswagen. Ein besonderer 964, nicht weil er einer von weniger als 1.500 produzierten Turbo 3.6 ist. Nein, es ist die Tatsache, dass er mit seiner individualisierten Ausstattung, seiner gelungenen Farbkombination aus weißem Lack und rotem Leder extrem stimmig wirkt. Und dass er eben wirklich wie ein Neuwagen dasteht. Genau das macht die Illusion, den Sprung zurück in die frühen 90er Jahre, perfekt. Man fragt sich, welche Menschen so sorgsam mit diesem Wagen umgegangen sind. Heute gehört dieser Turbo – einer der letzten 911 mit klassisch im Kotflügel „stehendem“ Scheinwerfer – zur Sportwagen-Sammlung eines Mannes, für den Porsche wirklich eine Leidenschaft ist. Solange der 964 in seinen Händen bleibt, wird er nicht altern. Perfekt dokumentiert sind Geschichte und Ausstattung des Turbos. Spannend: die zahlreichen Porsche-Exclusive-Details. Eigentlich – laut Bestellung – hatte dieser Elfer Sitze in kaschmirbeigefarbenem Leder. Doch die hat er nie bekommen. Es war eine Art Platzhalter im damaligen Konfigurationsprozess. Vielmehr erhielt der 911 unter anderem im Original ab Werk von Porsche Exclusive eine Vollleder-Ausstattung im roten Farbton „Can-Can“ mit entsprechend rotem Teppich; schwarze Biesen veredeln die Raffleder-Ausstattung. Schalttafel und Mittelkonsole bilden mit schwarzem Carbon einen sportlichen Kontrast zum Rot des Interieurs und Weiß des Exterieurs. Aluminium, Carbon und rotes Leder kleiden den Schalt- und Handbremshebel ein. Da hat sich damals jemand was getraut. Zum Glück!

Porsche 964 Turbo 3.6 mit Raffleder im roten Farbton Can-Can

Präsentiert hatte Porsche der Weltöffentlichkeit den 964 Turbo 3.6 im Herbst 1992 auf der Mondial del Automobile in Paris als Nachfolger des Porsche 964 Turbo 3.3. Das 3,6 Liter große und deutlich modernere M64-Aggregat schaufelte 40 PS mehr als der alte 3,3-Liter-Motor (M30) in Richtung Hinterachse. Seine 360 PS waren bei der Markteinführung des Turbo 3.6 im Jahre 1993 ein praktisch konkurrenzloser Wert. Zumal der Fahrer – und das war der wesentliche Punkt und lebenserhaltende Unterschied zu den wenigen Wettbewerbern jener Zeit – auch eine reelle Chance hatte, diese Leistung auf die Straße zu bringen. Und doch war es immer noch der Ritt auf der Kanonenkugel. Immerhin wirkte das serienmäßige Sperrdifferenzial beruhigend. Wenn knapp unter 3.000 U/min der Turboschub richtig einsetzte, schoss parallel das Drehmoment durch die Decke. Schon ab 2.400 U/min waren es 450 Newtonmeter, die bis zum Maximum auf 520 Newtonmeter anstiegen. Selbst heute, in einem Zeitalter, das jedem Kompaktwagen einen Turbomotor gönnt, ein sagenhafter Wert. Porsche gab 4,8 Sekunden für den Sprint auf 100 km/h an.

1991: Damals kam der 964 Turbo 3.3 auf den Markt

Zeitsprung. 1991 stand ich in Hamburg bei einer der großen Automobil-Zeitschriften als junger Redakteur in Lohn und Brot. Damals kam der 964 Turbo 3.3 auf den Markt. Mein direkter Chef fragte mich irgendwann an einem Sommerabend des Jahres, ob ich seine Freundin nach Köln bringen könnte. Ich müsse aber am nächsten Morgen wieder in Hamburg sein – Redaktionsschluss. Die Freundin war nett, aber eben nicht meine, und wer hat schon Lust, mal eben in einer Nacht 850 Kilometer abzureißen. Dann deutete der Mann, mehr Freund als Vorgesetzter, aus dem Fenster auf einen roten Testwagen. Es war der neue 964 Turbo 3.3. Er grinste, ich grinste. Die Nacht wurde grandios. Nur zweimal im Leben bin ich freiwillig allein um des Fahrens willen eine Nacht durch die Republik gecruist. Das erste Mal mit dem 964 Turbo 3.3. Das zweite Mal mit seinem Nachfolger, dem 964 Turbo 3.6. Es muss Frühsommer gewesen sein. Vielleicht 1994 oder 1995. Der Wagen stand da wie einst der 3.3. Diesmal ging es allerdings von Köln nach Hamburg und zurück, weil ich nun am Rhein statt an der Elbe über Autos schrieb. Es wurde wieder eine tolle Nacht. Eine von jenen, in denen man freiwillig einsam ist. Im Radio – und ich erinnere mich nur noch, weil es wirklich unter die Haut ging und zu meinen Städten auf der Tour und zum Wagen passte – spielten sie was von Udo Lindenberg, dem Porsche-Junkie aus Hamburg. Weshalb auch immer sangen wohl auch die Jungs von BAP in jener Nacht einen Lindenberg-Song, wenn ich mich nicht täusche. WDR2, NDR2. Eine nächtliche Autobahn, Scheinwerfer, der Schimmer des Radios und der fünf 911-Instrumente im Innenraum, Boxer im Heck.

Die Magie des 964 Turbo 3.6 blieb unvergessen

Manchmal meint es das Leben gut. Das brennt sich ein. Die Magie des 964 Turbo 3.6 dieser Nacht blieb ebenso unvergessen. Es war nicht die von 270 auf 280 km/h verbesserte Höchstgeschwindigkeit, die den Tacho fast auf 300 km/h trieb. Auf die Dauer hält 300 km/h, diesen Quartettkarten-Wert, eh kein Mensch aus. Allerdings (lieber Cem Özdemir, eben weghören): 230 km/h waren und sind eine gute Reisegeschwindigkeit für diesen 911 Turbo. Die Magie des Autos aber erschloss sich über die einzigartige Durchzugskraft und Elastizität, die sich gegenüber dem 3.3er nochmals dramatisch verbessert hatten. Im fünften Gang verkürzte der 3.6er die Beschleunigung von 80 auf 120 km/h damals um geschlagene 3,6 auf 7,1 Sekunden – eine Welt. Immer Power, egal welcher Gang in Aktion war.

Der Turbo war in dieser Disziplin der Weltmeister

Noch atemberaubender empfand ich allerdings die Art und Weise, wie man diesen Wagen wieder zum Stehen bringen konnte. Aus 100 km/h stand der Porsche Turbo 3.6 nach unbegreiflich kurzen 35,6 Metern. Der Turbo war in dieser Disziplin der Weltmeister. Selbst aus 200 km/h brauchte er nur knapp über 130 Meter bis auf 0 km/h. Wer das wirklich mal selbst in den Asphalt gebremst hat, weiß, welche Kräfte dabei wirken. Mit den meisten anderen Autos jener Tage hätte man auf jeden Fall ein verdammt mieses Gefühl im Bauch gehabt, aus 200 km/h eine Vollbremsung hinzulegen. Aber genau hier trennte sich die Spreu vom Weizen; genau hier wurde klar, dass der Turbo Motorsport-Know-how auf die Straße brachte; genau hier entstand jener legendäre Ruf des Porsche 964 Turbo 3.6. Ein technisches Meisterwerk. Gleichwohl war auch dieser 911 alles andere als ein Spielzeug. Der Hecktriebler wollte respektvoll bewegt werden. Besonders ab dem ersten Tropfen Regen auf der Straße. Und so war klar, dass das technische Konzept des 911 Turbo durchaus Potenzial bot, um weiter perfektioniert zu werden. Ich persönlich wünschte mir in jener Nacht zwischen Köln und Hamburg bei einsetzendem Nieselregen auf der A1 im Bergischen Land in den talwärts ausgerichteten Kurven einen Turbo mit Allrad. Der Wunsch sollte in Erfüllung gehen.

Edel: Die schwarzen Biesen im Leder

Mit dem 993 Turbo änderte sich im März 1995 auf dem internationalen Genfer Automobilsalon vieles. Porsche hatte inzwischen Kurs in Richtung Zukunft genommen. Chefdesigner Harm Lagaaij und Entwicklungsvorstand Horst Marchart schraubten längst an einem neuen Porsche-Zeitalter. Auf dem Weg dahin zündeten sie mit dem neuen Porsche 993 Turbo die finale Evolutionsstufe der luftgekühlten Boxer-Sportwagen.

Technisch katapultiert einen der 993 bereits in das 21. Jahrhundert

Wieder ein Klack, oder jetzt besser Klick. Der neue, aus dem Vollen geschnitzte und in Wagenfarbe lackierte Türgriff öffnet den 993 Turbo S. Laut Papieren ist dieser 911 ein Turbo S, rein optisch aber tritt er im zivileren Gewand des „normalen“ Turbo mit Werksleistungssteigerung auf. Gut so. Denn damit ist der am 19. Februar 1998 zugelassene Porsche eindeutig das schönere Auto, da er ohne den gewöhnungsbedürftigen Heckspoiler des „offiziellen“ Turbo S auskommt. Allerdings verzichtet er dafür auch auf die seitlichen Lufteinlässe vor den Hinterrädern, die später ab dem 996 Turbo zum eindeutigen Erkennungsmerkmal aller 911 Turbo gehören sollten. Innen trägt auch dieser Turbo eine feine Exclusive-Ausstattung. Geliefert wurde er in die USA mit schwarzen Ledersitzen, die durch Nähte in Indischrot veredelt werden. Exclusive-Leder ziert ebenso Teile wie etwa die Lautsprechereinfassungen und die CD-Ablage. Doch konzentrieren wir uns auf den Zeitsprung: Wer den nun mit Biturbo-System ausgestatteten „M64“ des 993 Turbo S startet – als „S“ respektive mit Werksleistungssteigerung 450 PS stark –, spürt gegenüber dem 964 in den ersten Sekunden nicht den grandiosen Generationswechsel. Doch in Fahrt ändert sich das sehr schnell. Biturbo und der nun erstmals in einem 911 Turbo integrierte Allradantrieb machen den 993, ganz gleich ob „S“ oder nicht, zum vielleicht mächtigsten luftgekühlten Elfer aller Zeiten. Fakt ist, dass der 993 dem 964 mit seinen Fahrleistungen (0–100 in 4,1 Sekunden, Knacken der magischen 300-km/h-Marke) und seinem Allradantrieb überlegen ist. Technisch, und das spürt man an Bord, katapultiert einen der 993 bereits in das 21. Jahrhundert. Optisch jedoch bleibt man mit dem Porsche 993 Turbo im damals ausklingenden 20. Jahrhundert stecken. Und das ist eine typische Erfahrung in einem luftgekühlten Elfer: Der technische Fortschritt ist von Generation zu Generation ein steter Begleiter. Das Design indes und das Feeling im Innenraum waren über Jahrzehnte in einer Zeitschleife eingefroren. Sicher ist, dass genau das den Porsche 911 als Luftgekühlten so faszinierend macht. Und der 991 Turbo? Aus dem Cockpit des 993 betrachtet, reine Zauberei. Weil einem zwei Generationen und ein paar Facelifts dazwischen fehlen. So springt man direkt aus den späten 90ern in die leichtgängige Gegenwart. Doch die DNA des Designs und Antriebs hält den Kontakt zur Vergangenheit. Und dafür muss man den Porsche-Designern und -Ingenieuren danken. Sie hauchen dem 911 Turbo immer wieder eine Seele ein. Epoche für Epoche.

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