1928: Der Moment des Aufbruchs
In so manchem Streit kommt ein Unschuldiger zu Schaden. In diesem Fall ist es ein Hut – der Hut, der treu auf dem Kopf des Dr. Ing. Ferdinand Porsche gesessen hatte. Im Eifer des Gefechts landet der Hut im Schnee, wütend zertrampelt von seinem Eigentümer, in einer Entladung des monatelang angestauten Unmuts, als Ventil für den schwelenden Streit und für die aufreibenden Machtspiele unter großen Geistern. Der geplättete Hut – ein Moment, der die ungeduldigen, aufbrausenden Charakterzüge Ferdinand Porsches zeigt. Doch erneut auch ein Moment, der Weichen stellt.
Seit April 1923 zeigt Ferdinand Porsche bei der Daimler-Motoren-Gesellschaft seine Genialität im Motorenbau. Das Ergebnis sind wegweisende Fortschritte. Sie bringen seinem Arbeitgeber wertvolles Know-how und prestigeträchtige Rennsiege, 1924 etwa den Dreifachsieg bei der Targa Florio oder 1926 den Großen Preis von Deutschland mit dem von Porsche erdachten Zweiliter-Kompressor. Und der Sechszylinder Kompressorwagen K oder die Sportmodelle S (Sport), SS (Super-Sport) und SSK (Super-Sport-Kompressor) sind die wohl die berühmtesten – wenngleich auch unerschwinglichsten – deutschen Straßenautos dieser Dekade.
Ferdinand Porsche ein "Gefühlskonstrukteur"
Ferdinand Porsche ist also nicht nur Schöpfer wertvoller Technik, sondern auch ein Grund für den guten Ruf, den Daimler im Kreis der Automobilfreunde genießt. Porsche rechnet daher mit einer lebenslangen Anstellung. Doch daraus wird nichts: Die Fusion der Daimler-Motoren-Gesellschaft mit der Benz & Cie. zur Daimler-Benz AG schwächt Porsches Position. Mit Hans Nibel kommt nicht nur der ehemalige Chefkonstrukteur und Vorstandschef der Benz & Cie. mit an Bord, sondern ein zweites Alphatier an die Spitze des Konstruktionsbüros. Hinzu kommen Differenzen im Hinblick auf die Art und die Zielgruppe der von Daimler-Benz gebauten Automobile: Porsche setzt auf höchste Qualität, Leistung und neueste Technologien, die Unternehmensführung will erschwinglichere Produkte – und niedrigere Produktions- und Forschungskosten.
Der Konflikt schwelt. Porsche, freigeistig und spontan, ein „Gefühlskonstrukteur“ mit untrüglichem technischen Instinkt, fühlt sich in dem stark hierarchischen Betrieb zunehmend fehl am Platz. In seinem Innersten muss er den Entschluss längst gefasst haben – doch der konkrete Auslöser für seinen plötzlichen Abschied kommt erst im Winter 1928: Eine Meinungsverschiedenheit über den von Porsche konstruierten Mittelklassewagen Mercedes-Benz Typ 8/38 wächst sich im Hof vor den Konstruktionshallen aus zum lautstarken Wortgefecht. Der Ausgang: ein Hut im Schnee und die Kündigung Ferdinand Porsches bei Daimler-Benz – trotz der sich abzeichnenden Wirtschaftskrise. Ein heikler Moment, ein riskante Entscheidung. Und der nächste Schritt hin zur Dr. Ing. h. c. F. Porsche GmbH, dem eigenen Konstruktionsbüro.