Eine Garage, die nicht aussieht wie eine Garage. Vom Gehsteig nicht einsehbar, vom Sofa aus wunderbar. Außen konisch, innen logisch. Das Lastenheft war lang und den passenden Porsche zur Garage gab es bereits. Das führte zu zwei Möglichkeiten: Entweder hat Andreas Kümmel unerfüllte Träume – oder einen geduldigen Architekten im Freundeskreis.
Seine Freunde nennen ihn Atze, Monika sagt Schatz, Max ruft ihn Papa. Sein Nachbar nennt ihn nur den Verrückten. Andreas Kümmel ist 46 Jahre alt und findet es klasse, dass man ihm das Attribut autoverrückt beimisst. Das ergibt sich ganz automatisch; bei einem Hausbesuch im mittelfränkischen Rückersdorf versteht man warum.
Kümmel ist Wertpapiermanager im Wealth Management einer großen Bank. Ein Banker durch und durch, der sich schon kurz nach der Lehre zum Bankkaufmann einen Mazda MX5 von seinem Aktiengewinn leisten konnte. Ein erspekulierter Roadster, Typ NA, der mit den Klappscheinwerfern. Noch heute weint er ihm hinterher, aber das ist eine andere Geschichte.
Der Sound des Käfers hatte ihn schon immer fasziniert
Mit 14 Jahren testete der einstige Waldorfschüler das erste Mal seine Fahrkünste – am Steuer eines Käfers, der Sound hatte ihn schon immer fasziniert. Als Testgelände für seine ersten Fahrversuche musste ein Acker herhalten, so war das damals in Heiningen, am Fuße der Schwäbischen Alb. „Ich hab mich im Dreck festgefahren und musste meinen Nachbarn um Hilfe bitten, wie peinlich“, erzählt er und lacht dabei über die guten alten Zeiten, in denen er noch dachte, dass es normal sei, von Feldern und Wiesen umgeben in der Natur aufzuwachsen. Erst viel später merkte er, wie privilegiert und liebevoll seine Kindheit war, mit Katze Kasimir und zwei Zwergziegen.
Vor seinem Junior Max muss er die Autoschlüssel nicht verstecken, der Zehnjährige spielt viel lieber Fußball, erzählt der Kleine, als er mit Schienbeinschonern und rotem Kopf nach Hause kommt. „Bei mir war das in dem Alter anders, ich hab schon als kleiner Bub jedem Porsche hinterhergeschaut“, erzählt Kümmel, dessen Vater, promovierter Volkswirt, ihn vor langer Zeit mit einem Porsche 356 aus dem Krankenhaus abgeholt hat. „Papa ist 1989 in den Vorruhestand und wollte sich dann einen Porsche Speedster kaufen“, fährt er fort. Hat Kümmel senior allerdings nicht, denn seine Gattin meinte: „Du alter Dackel brauchst dir jetzt keinen Speedster mehr zu kaufen!“
„Wir so lange recherchiert, bis wir einen 993 von 1998 gefunden hatten“
Viele Jahre später, der Dollar stand gut, dann das: „Ich habe zwei Porsche in den USA entdeckt und von meinem Studienfreund Thomas Illner, der bei Porsche arbeitete, checken lassen – leider war der Zustand von beiden nicht so toll. Wir haben dann gemeinsam weiter recherchiert, so lange, bis wir einen 993 von 1998 gefunden hatten. Ein US-Modell in Arcticsilbermetallic. Das Geld habe ich dann quasi blind in die USA überwiesen, ohne das Auto vorher gesehen zu haben. Dann musste ich wochenlang zittern, bis mein erster Porsche in Bremerhaven ankam.“ Bei der Fahrt von Bremerhaven nach Mittelfranken hat sich der Banker dann gleich mal richtig blamiert: „Ich hab komische Geräusche gehört und daraufhin panisch meinen Kumpel Thomas angerufen. Der meinte ganz abgeklärt: ›Atze, das ist der Spoiler, der beim Ein- und Ausfahren eben Geräusche macht.‹“
Was den Wahlfranken auch nach dem Kauf des 993 nie losgelassen hat: „Mein Vater hatte einen großen Wunsch in seinem Leben, der unerfüllt blieb, das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen“, dachte er sich vor fast vier Jahren und durchforstete das Internet nach einem Speedster, der schon wenig später sein zweiter Porsche werden sollte. Erstzulassung Juli 1989, 11.700 Meilen, 218 PS (weil ein Kat in den USA Pflicht war, in Deutschland bekam man das Modell mit 231 PS ohne Kat), Farbe: triple black. „Meines Wissens nach gab es nur 80 Autos, die in dieser Farbe für die USA produziert wurden.“
„Ich möchte mein Auto vom Sofa aus sehen können“
Und da ist es, dieses Blitzen in seinen Augen, das er nicht mehr verlieren wird, wenn er von seinem Speedster erzählt. Nur wenige Wochen nach dem Kauf entwickelte er eine verrückte Idee: „Ich möchte mein Auto vom Sofa aus sehen können.“ Wie praktisch, dass sein Kumpel Volker Kreuzpointner Architekt ist, denn so tüftelten die beiden fleißig und entwarfen eine Garage quasi um das Auto herum. Einzige Anforderung: eine Garage, die nicht aussieht, wie eine Garage. Um es gleich mal vorwegzunehmen, das Haus war schneller gebaut als die Garage. Denn die sollte konisch zulaufen, befahrbare Platten haben (kein gewöhnliches Fundament), eine besondere Beleuchtung, Milchglasscheiben auf der Straßenseite, so wenige Pfeiler wie möglich.
Der Wunschzettel von Kümmel war lang. Der Freundeskreis zum Glück groß, denn so empfahl man ihm unter anderem einen Grabsteinschneider, der die Bodenplatten – eine wiegt etwa 130 Kilo – zurechtschneiden konnte. In seinem engsten Familienumfeld gibt es noch einen Bühnen- und Lichtbauer, seinen Schwager Jo Schramm, der an den unterschiedlichsten Theatern Europas zu Hause ist. Der bekam die Aufgabenstellung, per Funkbedienung steuerbare Lichtpaneele zu verbauen, und zwar so, dass kein Schatten und keine Lichtbrechung die Schönheit des Porsche stören.
„Manchmal fahre ich mit dem 993 zur Arbeit“
„Nur wenige Nachbarn wissen, dass dieses Kunstwerk da draußen eine Garage ist. Manche denken, dass dort eine Sauna wäre“, erzählt der stolze Porsche-Besitzer. „Manchmal fahre ich mit dem 993 zur Arbeit. Dann jedoch so früh, dass kein Kollege merkt, dass es mein Porsche ist. Nur die Dame an der Schranke lächelt mir dann jedes Mal zu.“
Seine Freunde dürfen den Speedster aus der Nähe bestaunen. Katze Luna muss Abstand halten, denn die hat den Porsche schon einmal zu einer Rutsche umfunktioniert. Im Winter setzt er seinen zwei Autos Carcoon-Mützen auf. So schützt er seine Schätze vor feuchter Luft und in dem Fall sogar vor Luna. Sobald das Thermometer die 20-Grad-Marke überstiegen hat, schnappt Kümmel sich sein Autoaufbereitungsset, Mikrofasertücher, Lappen, Poliertücher, Schaumstoffapplikatoren, Staubpinsel, und putzt, als wäre er nach Pebble Beach eingeladen. Gattin Monika versucht das Ausmaß seiner Gründlichkeit in Worte zu fassen: „Wenn wir eine Woche Urlaub in Südtirol gemacht haben, nimmt er sich danach noch zwei weitere Tage Urlaub. Zum Putzen.“
Er schaut direkt in seine Garage auf den Traum-Speedster
Sein Nachbar, der ihn längst für verrückt erklärt hat, ruft über den Gartenzaun: „Bei Ihnen möchte ich als Porsche wiedergeboren werden.“ Und während sein Umfeld über diesen Perfektionismus schmunzelt, sagt er: „Es ist ein bisschen so, als würde man Feuer mit Feuer bekämpfen. Jede Fahrt hinterlässt ihre Spuren, ohne Spuren kein Putzen, ohne Putzen nicht das gute Gefühl, es geschafft zu haben.“ An manchen Abenden sitzt er dann auf seinem Sofa, schaltet den Fernseher aus, drückt die kleinen Knöpfe der Lichtfernbedienung und schaut aus dem Fenster – direkt in seine Garage auf den Traum-Speedster, den er auch dann noch behalten wird, wenn er der „alte Dackel“ ist.
Info
Text erstmalig erschienen im Magazin Porsche Klassik 10.
Text: Christina Rahmes // Fotos: Markus Bolsinger
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