Michelle Gatting ist tough. Die 20-jährige dänische Profi-Rennfahrerin setzt sich nicht nur auf der Rennstrecke gegen starke Jungs durch. Ihre Hobbys sind Fitness, Boxen und Crossfit. Letzteres sind Übungen, mit denen auch die US-Army ihre Soldaten trimmt.  Und der 911 GT3? Er ist der extremste Vertreter seiner Art. Zwar trägt jeder Porsche Rennsport-Gene in sich, aber dieser vermeintliche Biedermann ist ein echter Brandstifter – nicht nur, weil er knallrot ist. Vom 911 GT3 in der Straßenversion zu seinem Bruder, dem Rennauto 911 GT3 Cup, ist es nur ein kleiner Schritt. Näher dran am Rennfahrzeug ist kein anderer Elfer. 350 kW (475 PS, Kraftstoffverbrauch/Emissionen* kombiniert: 12,4 l/100 km; CO₂-Emission: 289 g/km) leistet der 3,8-Liter-Sechszylinder-Boxermotor und beschleunigt die Straßenversion von null auf 100 km/h in 3,5 Sekunden.

Serien-GT3 und Cup-Version treffen sich in Nürnberg 

Im fränkischen Nürnberg treffen die beiden Elfer-Brüder zusammen. Anlass: ein Rennen des Porsche Carrera Cup Deutschland auf dem Norisring, das mit der Rennversion des 911 GT3 ausgetragen wird. Michelle Gatting zählt seit Saisonbeginn zum fast 40-köpfigen Starterfeld des Markenpokals – als einzige Frau. Von Testosteron umgeben zu sein, kennt sie gut. „Ich fahre seit 13 Jahren Rennen. Fast alle meine Gegner waren Jungs“, sagt sie schulterzuckend. In Shorts, T-Shirt und Riemchensandalen kommt sie aus dem Hotel geschlendert. Sie soll den „zivilen“ 911 GT3 zur Rennstrecke fahren. Gatting stellt sich erst einmal vors Auto. „Das Fahrzeug ist wunderschön“, sagt sie andächtig. „Ich liebe vor allem den breiten Hintern. Das herrliche Heck, die großen Radhäuser, der Heckflügel und die breiten Reifen – allein daran erkenne ich die Verwandtschaft zum Rennsport.“ 

Die 1,81 Meter große Frau schlüpft in den Schalensitz des Elfers wie in ein passgenaues Schlauchkleid. „Der Sitz ist einer richtigen Rennschale total ähnlich, aber dennoch komfortabel“, sagt sie. Dank der langen Oberschenkelauflage finden auch die Beine der Dänin genügend Halt. Bevor es losgeht Richtung Rennstrecke, drückt sie zielstrebig die Auspuffvariante Sport: „Der Motorensound ist dadurch rennwagenmäßiger!“ Wer fühlen will, muss auch hören. Kaum festgeschnallt, greifen die Hände ans Lenkrad zu den Schaltwippen. Diese Art zu schalten kennt sie. Das Cup-Fahrzeug auf Basis der 991er-Modellgeneration verfügt ebenfalls über diese Paddles am Lenkrad. 

Grundlegend überarbeitetes PDK

Im 911 GT3 kommt ein grundlegend überarbeitetes Porsche-Doppelkupplungsgetriebe (PDK) zum Einsatz. Ursprünglich für den Motorsport entwickelt, verfügt es über die Charaktereigenschaften eines sequenziellen Rennsportgetriebes. Die Schaltzeiten liegen in einer Größenordnung, die bisher dem Motorsport vorbehalten war. Bei der sogenannten Blitzschaltung sind sogar Reaktionszeiten von unter 100 Millisekunden möglich. „Superschnelle Gangwechsel, einfach perfekt: Besser geht es nicht im Straßenauto“, urteilt die Profi-Rennfahrerin. In ihrem Cup-Fahrzeug verrichtet ein von Porsche Motorsport entwickeltes Sechsgang-Klauengetriebe die Arbeit, das 338 kW (460 PS) mittels Sperrdifferenzial auf die Hinterachse überträgt.

Michelle Gatting, Porsche-Carrera-Cup-Pilotin, 911 GT 3, 2014, Porsche AG
Michelle Gatting ist begeistert vom 911 GT3

Für die Fahrt durch die Stadt wählt Gatting die Automatik-Variante und rollt gelassen durch den dichten Verkehr. „Ich finde es ja ganz toll, dass der 911 GT3 so alltagstauglich ist und man damit locker durch die Stadt cruisen kann. Aber mir persönlich wäre jetzt eine Autobahn oder eine Rennstrecke lieber.“ Mit dem Bedürfnis, den Supersportler am Limit zu erleben und seine maximale Leistung herauszukitzeln, steht die Dänin nicht allein da. Rund 80 Prozent aller 911 GT3 werden auch auf Rennstrecken gefahren. Dort kann der Porsche seine fahrdynamischen Fähigkeiten voll ausspielen. 

An der temporären Stadtrennstrecke Norisring angekommen, verschwindet Gatting im Truck ihres Attempto-Teams. Weg mit dem Freizeitdress, rein in den Rennoverall. Im Teamzelt steht der Cup-Elfer mit der Startnummer 77. Ihr Rennfahrzeug. Die Ähnlichkeit mit dem knallroten 911 GT3, den sie gerade erst geparkt hat, ist frappierend. Wenn man sich die bunten Sponsoren-Aufkleber wegdenkt, ist das sichtbarste äußere Zeichen der deutlich höhere Heckflügel des Cup-Autos. 

Der Innenraum des Cup-Elfers beschränkt sich auf das Nötigste

Natürlich gibt es auch weitere Unterschiede zwischen Straßen- und Rennauto. Am deutlichsten wird das, wenn man ins Cockpit schaut. Im Straßenauto sorgen schwarzes Alcantara, gebürstetes Aluminium und Leder für ein ebenso edles wie sportliches Ambiente. Der Innenraum des Cup-Elfers wurde dagegen komplett ausgeräumt. Nur der Rennschalensitz mit Sechspunktgurten, ein Feuerlöscher und der Sicherheitskäfig sind übrig geblieben. Das deutlich kleinere Lenkrad trägt viele bunte Knöpfe, aber als Zeichen der Brüderlichkeit ist der Kranz mit schwarzem Alcantara umhüllt. Die Radikalkur hat Gewichtsgründe. Dabei ist der Straßen-GT3 mit 1430 Kilogramm (leer) auch schon ein Leichtgewicht. Das Rennauto wiegt mit 1175 Kilogramm aber noch einmal 255 Kilogramm weniger. Der Gewichtsreduzierung fiel auch das Dämmmaterial zum Opfer. Laut? Ach was, Gatting genießt die Geräuschkulisse: „Man hört den Boxermotor so noch besser.“ 

Auf den bereits abgesperrten Streckenteilen des Stadtkurses darf Gatting im Straßen-Elfer dann doch ein bisschen Gas geben, sozusagen für den optimalen Vergleich. Das Drehzahlkonzept des Porsche ist maßgeschneidert für sie. Erstmals verfügt der rennsportnahe Elfer über Benzindirekteinspritzung. Kombiniert mit weiteren Hochleistungselementen und der Ventilsteuerung über Schlepphebel entstand ein Hochdrehzahlmotor, der bis zu 9000/min erreicht. Michelle Gatting ist in ihrem Element. Dank der neuen, aktiven Hinterachslenkung lässt sich der GT3 besonders dynamisch einlenken und ist noch agiler in den Kurven. Auch das begeistert die Dänin, denn das Auto hat dadurch die Wendigkeit eines Rennkarts, in dem sie wie nahezu alle jungen Rennfahrer ihr Handwerk gelernt hat. Die Porsche-Hinterachslenkung verbessert aber auch die Alltagstauglichkeit. Unterhalb von 50 km/h steuert das System sie ein. Erreicht wird dadurch ein kleinerer Wendekreis, der Rangieren und Einparken erleichtert. 

Keine elektronische Unterstützung im Rennen

Im Rennen muss sie dann auf die elektronische Unterstützung verzichten. Kein ABS, kein PSM (Porsche Stability Management), keine Traktionskontrolle, keine Antriebsschlupfregelung. „Man soll lernen, das Fahrverhalten mit Gaspedal, Bremse und Kupplung zu kontrollieren“, erklärt Gatting die Absicht des Cup-Reglements, „es sind allein die Fertigkeiten des Fahrers gefragt.“ Allgemein gilt im Motorsport: Wer im Elfer schnell ist, der ist es in jedem anderen Rennauto auch. Den Beweis hat Gatting bei einer außergewöhnlichen Fahrprüfung erbracht. Sie gehörte zu den zehn europäischen Nachwuchspiloten, die vom Automobilweltverband FIA eingeladen wurden, sich in einem umfangreichen Auswahlverfahren für die prestigeträchtige Förderung durch die FIA Institute Academy zu qualifizieren. Und, wie war’s? „Ich war die Schnellste aus Europa“, sagt das toughe Mädchen leise.

 

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