Tatsächlich reduziert Alexa Meade ihre Kunstobjekte, es sind lebende Menschen, auf zweidimensionale Teile von Farbkulissen. Gemeinsam ergibt die Komposition dann das Bild. Meade stellt damit die vertraute Wahrnehmungsfähigkeit des Betrachters infrage – und das Selbstbild des Modells sowieso.

Der Weg zur Künstlerin führt durch die Asphaltwüste von Los Angeles. Vorbei an Graffitiwänden – manche faszinierend, viele sinnlose Tags, vorbei an Cafés, mitten im Leben. Echo Park ist ein trendbewusstes Viertel, beliebt bei Künstlern, Fotografen und Musikern, alt, ein wenig Boheme, ein intaktes Quartier, nur ansatzweise von der Business-Klientel entdeckt. Kaum biegen wir von der Alvarado Street ab, wird die Vegetation üppiger. Einfamilienhäuser kleben an den steilen Straßen. Hier bleiben immer wieder Fahrzeuge am Hang stehen. Alexa Meade, rotbraunes Haar, Sommersprossen und barfuß, geht über eine in Regenbogenfarben bemalte Treppe in ihre Wohnung.

Sie malt Haut auf Haut, Lippe auf Lippe, Lid auf Lid

Im Wohnzimmer, das gleichzeitig Schlafzimmer und Atelier ist, entstehen einzigartige Kunstwerke, die man Bilder nennen kann, die zugleich aber immer auch Performances sind. Meade bemalt Menschen mit Acrylfarben, bis sie wie Gemälde aussehen. Sie malt Haut auf Haut, Lippe auf Lippe, Lid auf Lid. Bis der Betrachter keinen dreidimensionalen, sondern einen geradezu flachen Menschen sieht. In bis zu sechs Stunden reduziert Meade ihre Objekte auf 2D. Zweidimensionalität als Kunstform in Zeiten der 3D-Revolution. Trotzdem wirken die Menschen, ihre Objekte, lebendiger, strahlender. Meade positioniert ihre Modelle in einer zuvor gestalteten Kulisse aus Farben. Die vergänglichen Werke dokumentiert sie fotografisch mit ihrer farbverschmierten Canon und mit ihrem fast schon sterilen, gänzlich unbefleckten Smartphone. Nur die unbemalten Augen und Haare sind für den Betrachter Hinweis darauf, dass er nicht auf ein Gemälde blickt.

Alexa Meade (l), Los Angeles, 2016, Porsche AG
Die Künstlerin bei der Arbeit

Die Wirkung rüttelt an der Wahrnehmungsfähigkeit und bringt das Verständnis von Kunst, Räumlichkeit und Realität aus dem Gleichgewicht. Der Effekt ist fast noch verstörender, wenn Meade das Modell in den dreidimensionalen Raum, die Realität, einbindet. Es dauert, bis der Betrachter wirklich erfasst, was er sieht. „Ich begreife diesen Vorgang – den Menschen auf den Menschen selbst zu malen – als ein neues Verpacken der gleichen Grundinformation, woraus auf der Oberfläche etwas völlig Neues zu entstehen scheint“, sagt Meade, während sie mich mit schnellen, präzisen Pinselstrichen bis in die Ohrmuscheln hinein bemalt. „Im Inneren ist es die gleiche Person – meine Neuinterpretation ist nur eine dünne Schicht auf der Oberfläche.“

Ein Richtungswechsel

Alexa Meade wurde 1986 in Washington, D.C. geboren. Schon als Teenager wusste sie, dass sie später in die Politik wollte. Es ist der Traum vieler junger Menschen, die in der US-Kapitale aufwachsen: „Mein Plan war, mit 25 Jahren für einen Sitz im Repräsentantenhaus zu kandidieren.“ Sie studierte Politikwissenschaften an der Elitehochschule Vassar, sie arbeitete im Presseteam der Obama-Kampagne in Colorado – und entschied sich doch für die Kunst.

Sie bildete sich autodidaktisch zur Malerin aus. Ihr Atelier war der elterliche Keller. Sie übte zuerst mit Farbe in der Natur, bemalte Bäume und Gräser, um den Schattenwurf einzufangen. Dann begann sie, an Menschen zu experimentieren. Sie wollte sehen, was passiert, wenn sie Schatten auf die Schatten von Menschen malt. So entdeckte sie, dass sie aus ihnen zweidimensionale Gemälde machen kann. „Mir ging es immer schon um Raum, Licht und Schatten“, sagt Meade. „Leinwände interessieren mich nicht.“

Alexas Durchbruch

Meade, deren Eltern bis vor Kurzem wenig begeistert waren vom vermeintlich brotlosen Beruf der Tochter, wollte aber auch genau wissen, was es heißt, ein Vollzeitkünstler zu sein. Die durchaus geschäftstüchtige Amerikanerin besuchte viele Kunstveranstaltungen und Galerien, wo sie die Namen der Künstler aufschrieb, deren Kunst sie faszinierte. Sie schickte ihnen E-Mails, ging mit ihnen Kaffee trinken und fragte ihnen Löcher in den Bauch.

Kunstwerk von Alexa Meade, Los Angeles, 2016, Porsche AG
Das fertige Kunstwerk

Bereits im Oktober 2009 bekam Meade ihre erste Chance. Sie bemalte in der Positron Gallery in Baltimore ihre jüngere Schwester Julie im Stil einer in Erdtönen gehaltenen natura morta. Was folgte, war der völlig unerwartete Durchbruch. Der einflussreiche Blogger Jason Kottke veröffentlichte einen kurzen Beitrag über Körperbemalung, den ein Bekannter von Meade kommentierte: Kottke solle sich doch Alexa Meades Kunst anschauen. Der Blogger postete anschließend ein Foto der bemalten Julie, Meade wusste nichts davon. „Ein paar Stunden später füllte sich mein Postfach mit Tausenden Mails, Menschen aus aller Welt riefen an, Playboy Russland wollte, dass ich nackte Frauen bemale“, sagt Meade.

Meade ist nicht die erste Künstlerin, die den menschlichen Körper als Leinwand nutzt. Aber etwas an ihrer Technik ist anders – reißt Menschen mit. „Viel Kunst läuft über den Intellekt, der Betrachter muss reine Gedankenarbeit leisten“, sagt ihr Münchner Galerist Ingo Seufert. „Aber so richtig emotional gepackt hat mich in den letzten paar Jahren nur die Kunst von Alexa Meade.“

Überraschte Gesichter

Meade hat bereits in renommierten Museen und Galerien wie der National Portrait Gallery in Washington, D.C. der Saatchi Gallery in London, der Pinacothèque und dem Musée Maillol in Paris ausgestellt. Die Preise für ihre Fotografien liegen heute im vierstelligen Euro-Bereich, häufig sogar darüber.

Nach Los Angeles kam Meade vor drei Jahren, um mit der Performancekünstlerin und Schauspielerin Sheila Vand zusammenzuarbeiten. Seit Vands Schauspielkarriere abgehoben hat, sind gemeinsame Projekte allerdings vorbei. Meade ist dennoch hiergeblieben: „Das unglaubliche Licht und der Sonnenschein in Südkalifornien inspirieren mich. Zudem habe ich hier eine Community gefunden – jeder kommt mit einem Traum nach L.A.“ Diese Träume, sagt sie, haben nichts mit Geschäftsanzügen, Büros und Politik zu tun.

Man vergisst, dass man ein Objekt ist

Auf der Rückfahrt vom hügeligen Echo Park in die Niederungen von Central Los Angeles stelle ich fest: Die Wirkung der mittlerweile zu einer Kruste getrockneten Farbschicht entzieht sich dem Modell komplett. Man vergisst, dass man ein Objekt ist. Nur wenn der Wagen an einer Kreuzung hält, sehe ich meine Zweidimensionalität in den überraschten Gesichtern der Autofahrer und Fußgänger, die Alexas malerische Interpretation von mir irritiert. So muss Kunst sein – es muss uns irritieren, uns wach machen, um das zu erkennen, was wir wirklich sehen. Augenblicke der Kunst.

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