Wer sich dem einzigen modernen Haus in dieser abgeschiedenen Straße von Los Gatos nähert, erkennt sofort, wem die automobile Loyalität des Besitzers gilt. In der Garage leuchtet ein speedgelbes Porsche 911 Carrera S Cabriolet – hinter einem gläsernen Garagentor – mit dem kalifornischen Kennzeichen FROGMUT. „FROG“ für die internationale Designfirma. „MUT“ für Hartmut Esslinger, deren Gründer.
Keine Sehnsucht nach Privatsphäre, Herr Esslinger? „I like to see my Porsche when I come home“, nuschelt der Exildeutsche in seinem typischen Schwarzwald-Englisch. Er sitzt auf einem Stuhl des Dänen Arne Jacobsen in seinem Haus im Silicon Valley und trinkt Espresso. Seit 20 Jahren lebt Esslinger mit Ehefrau Patricia Roller dort, gut zwei Jahrzehnte lang leiteten sie gemeinsam frog design. Die Kinder sind mittlerweile ausgeflogen, vor zwei Jahren haben die Eltern endlich umgebaut. Esslinger: „Ein bisschen Bauhaus, ein bisschen Frank Lloyd Wright.“
frog design: Eine Institution für revolutionäres Produktdesign
Und natürlich ein bisschen Esslinger. Schließlich ist der Hausherr einer der führenden Industriedesigner der vergangenen Jahrzehnte und frog eine Institution für revolutionäres Produktdesign. 1969 gründete Esslinger in Mutlangen bei Stuttgart seine Firma Esslinger Design, die er 13 Jahre später in frog design umbenannte. Der Erfolg kam schnell mit seinen legendären Entwürfen: Der 1974 für Hansgrohe entworfene Duschkopf Tribel verkaufte sich 15 Millionen Mal. Das Blackbox-Design für Sonys Trinitron-Fernseher beendete die Holz- und Zierleisten-Ära in der Unterhaltungselektronikbranche.
Esslingers Formensprache prägt zahllose Produkte internationaler Konzerne – Disney, Louis Vuitton, Lufthansa, Microsoft, Olympus und SAP sind nur ein kleiner Auszug seiner Kundenliste. Aber mehr noch: Er postulierte als einer der Ersten, dass Design nicht bloß oberflächliche Verpackungskunst sein darf, sondern eine strategische Komponente jedes Unternehmens sein muss. Dafür kämpft der Querdenker, der die Fachhochschule schmiss, weil ihn „die Idee der Verschönerung und das Elite-Gequatsche vieler Kollegen“ nervten, sein Leben lang.
Design ist ein Gesamtpaket
Keiner beherzigte den Leitgedanken Esslingers mehr als Apple-Gründer Steve Jobs. Er holte Esslinger 1982 nach Kalifornien. Der Deutsche sollte Jobs bei der Entwicklung eines Design- und Farbkonzepts helfen, mit dem sich seine Computerfirma vom Rest der Branche absetzen könne. Esslinger entwickelte mit Jobs „Snow White“, eine Designsprache, die jahrelang das Erscheinungsbild der Apple-Computer bestimmte. Die Arbeit für Apple bildete das Fundament für Esslingers und frogs globales Renommee – und für die lebenslange Freundschaft zweier Nonkonformisten, die kein Blatt vor den Mund nahmen.
„Es war nie langweilig mit ihm“, sagt Esslinger und senkt bedrückt seine Silbermähne. Jobs starb 2011 im Alter von nur 56 Jahren. Der Apple-Gründer und Porsche-Fahrer schwärmte für deutsche Autos, erzählt Esslinger. In seinem Buch „Genial einfach – Die frühen Design-Jahre von Apple“ schreibt Esslinger, dass er Jobs anhand von Porsche erklärte, Design sei ein Gesamtpaket, das die Seele eines Produkts zum Ausdruck bringen müsse: „Without the excellent driving experience and the history of stellar performance, a Porsche would be just another nice car – but it wouldn’t be a Porsche.“
Design und den Fahrspaß eines Porsche 911
Während Esslinger seinen Porsche 911 gerne hinter dem gläsernen Garagentor zeigt, bewahrt er ausgewählte Designstücke dagegen lieber abgeschirmt von Besuchern auf – schwäbisches Understatement eines Wahlkaliforniers. Er hat sie im Schlafzimmer im Obergeschoss versteckt. In schlichten Regalen, teils hinter Glas wie Museumsstücke, stehen Discmans und Walkmans von Sony. Zwei für Steve Jobs gestaltete nachtschwarze NeXT-Computer. Ein Baby Mac, 1985 für Apple entworfen. Der Prototyp erblickte nie das Licht der Welt. Der Industriedesigner, der als Jugendlicher von einer Karriere als Fahrzeugdesigner träumte, hat Dutzende Autos besessen und Sportwagen aller großen Marken ausprobiert. Aber für ihn reicht nichts an das Design und den Fahrspaß eines Porsche 911 heran: Seinen ersten – Silber mit blauem Verdeck – kaufte er 1983.
Seitdem ist er bekennender Elfer-Fan. Das Design sei mehr als nur die ikonische Sportwagenlinie, sagt Esslinger: „Die aktive Erfahrung des sportlichen Fahrens, das mechanisch direkte Gefühl der Technik und die Kompaktheit sind authentisch. Das Auto braucht keine modischen Knitterlinien, die Proportionen sind dynamisch.“ Was erwartet ein einflussreicher Formgestalter wie er von einem Porsche? „Innovation und beherrschte Technik. Man muss merken, dass die Leute in Entwicklung und Produktion mit echter Leidenschaft bei der Sache sind. Ein gespartes Kilogramm ist mehr wert als mehr Leistung – also möglichst wenig Ballast. Im Prinzip ist es ein puristisches Auto.“
Zwei baugleiche 911 Carrera S Cabriolets
Esslinger umrundet den 911 in seiner blitzblanken Garage. Der Porsche, 2006 gekauft, sieht aus wie neu. Interieur und Verdeck in Dunkelblau, die fünf Rundinstrumente hinter dem schmalen Sportlenkrad leuchten gelb, genauso wie die Keramikbremsen. „Ich liebe Farben“, erklärt der Schwabe, der sich immer bunt kleidet: ausgebeulte Jeans, blauer Strickpullover über blauem Hemd, graue Socken, rote Jacke. Die farbige Verwegenheit eines unerschütterlichen Optimisten und unangepassten 68ers. Und eines Gewohnheitstieres. Denn Esslinger besitzt einen zweiten Porsche 911 Carrera S. Ebenfalls ein Cabriolet. Ebenfalls in Speedgelb. Ebenfalls mit blauem Verdeck und blauem Interieur. Der Zwilling des kalifornischen Porsche steht in einer Garage im Schwarzwald. Genauer gesagt in Bad Wildbad, um die 100 Kilometer von Esslingers Geburtsort Beuren entfernt. Der Designer hält sich jedes Jahr ein paar Wochen in Deutschland auf. Natürlich will er auch dort Elfer fahren. Der einzige Unterschied zwischen den beiden Autos: Das Modell in der alten Heimat ist ein Allrad-Elfer. Der in Kalifornien besitzt Heckantrieb, denn „hier schneit’s ja nicht“.
Aber warum zwei baugleiche, gleichfarbige Cabriolets? „Sicherheit“, so Esslinger. Er will nicht von einer ungewohnten Farbe abgelenkt werden. „Wenn ich einen neuen 911 möchte, muss ich gleich zwei kaufen“, schmunzelt er und faltet sich in den blauen Sitz – nachdem er die Birkenstock-Sandalen gegen himbeerrote Turnschuhe getauscht, sich eine königsblaue Jacke übergezogen und ein ebenfalls himbeerrotes Tuch mit weißen Punkten um den Hals geschlungen hat.
Speedgelb harmoniert mit gelben Mittelstreifen
Esslinger wählt seine Lieblingsstrecke. Der Old Santa Cruz Highway, eine kurvenreiche Straße durch die spärlich besiedelten Santa Cruz Mountains, die Los Gatos und das Silicon Valley vom Pazifik trennen. Der Elfer windet sich die Landstraße in Richtung der „Surfer City“ Santa Cruz entlang. Das Speedgelb harmoniert mit dem gelben Mittelstreifen, dem wildwuchernden Grün und den rotbraunen Stämmen der Redwoods, die aus der Froschperspektive im 911 noch höher in den Himmel zu wachsen scheinen. Diese Strecke habe etwas Meditatives, so Esslinger, der beim Fahren anstatt Musik meist lieber den Sound des Motors genießt.
Esslinger und seine Frau haben frog vor ein paar Jahren verkauft, sind aber weiterhin die größten privaten Anteilseigner. Er hat sein Tempo seit dem Ausstieg 2008 kaum gedrosselt. Er ist Chief Design Officer des chinesischen Medien- und Technologiekonzerns LeEco (vormals Letv), unterrichtet strategisches Design an der von ihm mit aufgebauten DeTao Masters Academy in Shanghai und berät CEOs bei der Entwicklung globaler Marken. „Ich bin arbeitswütig“, räumt Esslinger ein. Er stellt seinen Porsche am Strand des Big Basin Redwoods State Park ab und genießt den aufgewühlten Pazifik. „Aber ich nehme mir regelmäßig die Zeit und fahre in meinem 911 hier hinaus, um auf andere Gedanken und neue Ideen zu kommen.“
Info
Text erstmalig erschienen im Porsche-Kundenmagazin Christophorus, Nr. 379
Text: Helene Laube // Fotos: Albrecht Fuchs
Verbrauchsangaben
911 Carrera S Cabriolet: Kraftstoffverbrauch kombiniert*: 8,8-7,8 l/100 km;
CO2-Emission kombiniert*: 202-178 g/km