Zurück ins Büro? Homeoffice ist für viele Berufstätige so attraktiv geworden, dass sie sich am liebsten nur noch selten auf den Weg zu ihrem Arbeitsplatz im Unternehmen machen. Darauf mussten und müssen Geschäftsführungen und Personalverantwortliche reagieren. Aber wie? Was ist angemessen? Mit welchen Modellen hält man Mitarbeitende und wie finden sich neue? Ungewohnte Flexibilität ist gefragt – beim Unternehmen und allen seinen Führungskräften genauso wie beim Personal. Wie es funktionieren kann, zeigt eine große Versicherung, die in Business-Rankings als Top-Arbeitgeber geführt wird.
Die Zurich Gruppe Deutschland ist mit „FlexWork 2.0“ erfolgreich – ihrem neuen Arbeitsmodell, das den Menschen viel Gestaltungsspielraum bietet. Eingeflossen sind dabei Erfahrungen, die Zurich sowohl während der Homeoffice-Pflicht in der Corona-Hochphase als auch kurz danach gesammelt hat – zu Zeiten, als die Anwesenheit im Büro vorübergehend freiwillig war. Neues Ziel sei, so Zurich, „eine gesunde Balance zwischen nachhaltigem Unternehmenserfolg und den eigenen Bedürfnissen zu schaffen“. „FlexWork 2.0“ unterscheidet zwischen drei Office-Typen, die den Mitarbeitenden unterschiedliche Ausprägungen an Flexibilität bei der Wahl des Arbeitsortes einräumen: Beim FixOffice-Typ wird die Arbeit zu 100 Prozent der vereinbarten Arbeitszeit an einem festen Arbeitsplatz in den Betriebstätten erledigt. Zurich Mitarbeitende, die dem Office-Typ „HomeOffice“ zugeordnet sind, arbeiten bis zu drei Tage von zu Hause aus und zwei Tage in der Betriebsstätte.
Die größte Flexibilität zeichnet den FlexOffice-Typ aus, der für die überwiegende Anzahl der Mitarbeitenden gilt. Im „FlexOffice“ folgt der Arbeitsort der Aufgabe. Die Mitarbeitenden können unter Einbindung ihrer Führungskraft entscheiden, wo der für die Aufgabe am besten geeignete Arbeitsort ist. Dieser kann sowohl inner- als auch außerhalb der Betriebsgebäude liegen. Feste An- und Abwesenheitstage gibt es nicht – es sei denn, ein dienstliches Interesse setzt die Präsenz im Bürogebäude voraus. Je Quartal kann bis zu 50 Prozent außerhalb der Betriebsstätte gearbeitet werden. Dadurch sinkt der Platzbedarf. Freiwerdende Bürobereiche an den Standorten hat Zurich umgewandelt, zum Beispiel in Besprechungs- und Kreativarbeitsflächen.
Anwesenheit ist noch keine Leistung
Dr. Carsten Schildknecht, Vorstandsvorsitzender der Zurich Gruppe Deutschland, formuliert die Intention seines Unternehmens so: „Mit FlexWork 2.0 drücken wir das hohe Vertrauen aus, das wir in unsere Mitarbeitenden setzen. Wir ermöglichen Freiraum bei der Wahl des Arbeitsortes, machen aber gleichzeitig deutlich, dass uns als Unternehmen auch der direkte Kontakt zu Kunden und Partnern sowie das persönliche Miteinander der Kolleginnen und Kollegen wichtig sind.“
Das Beispiel Zurich zeigt, dass neue Regelungen der Zusammenarbeit neue Denkweisen erfordern. Für Führungskräfte aller Ebenen ändern sich Rolle, Aufgaben und Auftreten. Statt Kontrolle ist Koordination gefragt. Anwesenheit im Büro allein ist noch keine Leistung. Wie und wo die Leistung erbracht wird, kann im Ermessen der Mitarbeitenden liegen. Die Verantwortung, dass gesetzte Ziele erreicht werden, liegt bei den Vorgesetzten. Moderne Chefinnen und Chefs setzen mehr Vertrauen in die Selbständigkeit ihrer Teammitglieder. Zugleich gewährleisten sie durch kluge Disposition von Kompetenzen und Kapazitäten den Beitrag zum Unternehmenserfolg. Lenken ist die Kernaufgabe – entlang der Leitplanken, die sich jedes Unternehmen und jede Organisation innerhalb ihrer Zusammenarbeitsmodelle individuell setzen sollten.
Freiraum heißt auch Verantwortung
Solche Leitplanken sind wichtig für die Orientierung. Doch offenbar sind sie noch Mangelware. Erst 27 Prozent der deutschen Unternehmen, die Porsche Consulting befragte, entwickeln bereits neue Leitplanken als Regeln für moderne Formen der Zusammenarbeit. Damit sie ihre Wirkung entfalten, stehen auch vorhandene Ziel- und Anreizsysteme auf dem Prüfstand. Denn je mehr Freiraum und Verantwortung das Personal erhält, desto mehr Bedeutung bekommt ein System, das die individuelle Zielerreichung misst und mit persönlichen Anreizen durch erfolgsabhängige Vergütung kombiniert. Schließlich bedingen freiere Arbeitsformen auch, dass Mitarbeitende zu mehr unternehmerischer Verantwortung motiviert werden. Und dass sie sich nicht länger in der Rolle sehen „nur auszuführen, was Vorgesetzte vorgeben“.
Porsche Consulting hat – im Rahmen der Analyse Change Management Compass – Top-Manager der 100 größten Unternehmen in Deutschland zur veränderten Situation in weiten Bereichen des Arbeitslebens befragt. Dabei teilten 90 Prozent der Befragten eine wichtige Beobachtung: Menschen im Beruf, die den Freiraum erhalten, Zeit, Ort und Fokus ihrer Arbeit selbst zu bestimmen, sind viel produktiver. Die Resultate der Umfrage zeigen aber auch: Jeder zweiten Führungskraft in Deutschland fällt es nicht leicht, mehr Verantwortung an ihre Mitarbeitenden zu übertragen. Das beobachtet auch Uwe Schöpe, der erfahrene Personalvorstand und Arbeitsdirektor der Zurich Gruppe Deutschland. In einem TV-Interview sagte er: „Es gibt Chefs, die mit dem Homeoffice gut umgehen können, den Mitarbeitenden Freiheiten geben, und das Team ist trotzdem produktiv. Andere benötigen etwas Anleitung, um dahin zu kommen.“
Balance und Gespür
Grundsätzlich sollte jedes Unternehmen – gemeinsam mit der Belegschaft – die passende Balance zwischen Homeoffice und Büroanwesenheit finden. Regelmäßige persönliche Treffen am Arbeitsplatz haben soziale Relevanz und sind wichtig für ein gutes Betriebsklima. 63 Prozent der Führungskräfte, die Porsche Consulting für den Change Management Compass befragt hat, sind überzeugt davon, dass mögliche Sorgen des Personals in der Remote-Zusammenarbeit aus dem Homeoffice weniger sichtbar sind und deshalb weniger gut erkannt und verstanden werden können. Das gemeinsame Arbeiten im Team vor Ort ist wichtig, aber nicht jeden Tag nötig. Die Mischung macht es.
Untersuchungen von Porsche Consulting in unterschiedlichen Branchen ergaben: Teammitglieder sollten sich zumindest einmal wöchentlich gemeinsam am Arbeitsplatz treffen. Das fördert unter anderem den nicht zu unterschätzenden informellen Austausch im Kollegenkreis und das gegenseitige Lernen voneinander im Direktkontakt. So sieht es auch der Personalvorstand der Zurich Gruppe Deutschland: „Wir sind der Überzeugung, dass es für eine funktionierende Unternehmenskultur wichtig ist, dass ein regelmäßiges persönliches Miteinander stattfindet. Wir bei Zurich wollen das ‚Wir‘ weiter stärken“, betont Uwe Schöpe.
Flexibilität für alle
Die Tendenz ist deutlich: Ein striktes „Schluss mit dem Homeoffice“ passt nicht in die veränderte Arbeitswelt. Es braucht flexible und differenzierte Lösungen. Und die Chancen stehen gut, die Vereinbarkeit des Berufs mit Familie und Privatleben generell auf eine neue Stufe zu heben. Ebenso entlasten Homeoffice-Lösungen etwa Menschen, die Angehörige pflegen.
Eines darf bei der Diskussion ums Homeoffice nicht vergessen werden: Nur ein Teil der Berufstätigen kommt in den Genuss des flexibleren Arbeitens. In Deutschland waren es im Jahr 2022 insgesamt 24,2 Prozent der Erwerbstätigen, ermittelte das Statistische Bundesamt. Umgekehrt heißt das: Dreiviertel der Arbeitnehmer in Deutschland üben ihre Tätigkeit weiterhin jeden Tag in der Firma aus. In vielen Berufen besteht strikte Anwesenheitspflicht, beispielsweise bei der Bedienung von Anlagen und Maschinen, im Handwerk oder im stationären Einzelhandel. Doch auch hier sind Arbeitgeber gefordert, im Rahmen der Möglichkeiten flexiblere Modelle und Anreize zu entwickeln, wenn sie ihr Personal halten wollen und attraktiv für den beruflichen Nachwuchs sein möchten.
Über den Autor
Dr. Wolfgang Freibichler ist Experte für Unternehmensführung und Partner bei Porsche Consulting. Seinem Rat folgen vor allem Top-Manager aus den Branchen Automobilindustrie, Maschinenbau, Elektroindustrie, Bauzulieferindustrie sowie Banken und Versicherungen. Seine Erfahrung resultiert aus der strategischen Beratung von inzwischen mehr als 1000 Führungskräften in 14 Ländern. Als Autor zahlreicher Bücher, Studien und Fachartikel zum Thema Unternehmensführung ist er maßgeblich an Forschungsprojekten zur Entschlüsselung der relevanten Erfolgsfaktoren beteiligt – zum Beispiel gemeinsam mit der Universitäten Cambridge (England) und Harvard (USA). Seine Ausbildung als Wirtschaftsingenieur an den technischen Universitäten Darmstadt und Karlsruhe ergänzte Freibichler im Rahmen eines Doppeldiplomstudiums am Institut National de Polytechnique in Grenoble (Frankreich) um einen französischen Grande École-Abschluss. Während seiner ersten Berufsjahre in Deutschland und China wurde er berufsbegleitend im Bereich strategische Unternehmensführung an der deutschen Universität Hohenheim in Stuttgart promoviert.
Info
Text erstmalig erschienen im Porsche Consulting Magazin.