Die Zeit der Experimente ist vorbei. Jetzt muss der zielgerichtete Einsatz und der konkrete Nutzen der neuen Technologie in den Mittelpunkt rücken. So lassen sich die Erfahrungen aus der Beratungspraxis von Porsche Consulting bei unterschiedlichen Klientenprojekten in verschiedenen Branchen zusammenfassen. Die Unternehmen haben in den vergangenen Jahren mit vielen Pilotprojekten die individuelle Nutzung Künstlicher Intelligenz (KI) ausprobiert. Inzwischen geht es jedoch darum, weitere Investitionen konsequent an ihrem potenziellen Beitrag zum Geschäftserfolg zu messen.
Das bedeutet: Unternehmen müssen aus dem umfangreichen KI-Werkzeugkasten die für sie optimale Methode auswählen. Und sie müssen von allgemein gehaltenen Werkzeugen auf maßgeschneiderte Lösungen umsteigen. Es sind aber nicht nur technische Themen, die bessere Ergebnisse versprechen. Auch die Unternehmensorganisation muss sich anpassen, um das Potenzial von KI voll ausschöpfen zu können.
Welche Aufgaben stehen jetzt ganz oben auf der Agenda? Und welcher Weg führt zur Lösung? Aus der Praxis von Porsche Consulting sind das die Top-Themen:
Trend 1: Auf die Methode kommt es an
Situation: Derzeit steht Generative AI im Mittelpunkt des Interesses, getrieben vor allem durch den Hype um ChatGPT. Zweifellos sind solche Sprachmodelle sehr mächtig. Das gilt insbesondere bei der Verarbeitung unstrukturierter Daten oder als Grundlage von Chatbots für die Interaktion mit Kunden. Für andere Anwendungen, etwa im Bereich der Lieferkettenoptimierung, bieten sie hingegen kaum einen Mehrwert.
Lösung: Anwender sollten bei der Auswahl von KI-Methoden von ihren konkreten Business-Anforderungen her denken. Die optimale Lösung wird in vielen Fällen nicht Generative AI sein, sondern eine andere Disziplin. Dazu drei Beispiele: Causal AI hilft dabei, Zusammenhänge zu verstehen – etwa um die Ursachen für mangelnde Pünktlichkeit im öffentlichen Verkehr oder für Qualitätsprobleme in der Produktion zu ermitteln. Foresights Analytics ist eine Methode, mit der Unternehmen Unsicherheit reduzieren und künftige Trends antizipieren können, beispielsweise um Bedarfsprognosen zu verbessern oder Zukunftsszenarien durchzuspielen. Advanced Optimization ermöglicht es, Optima unter vorgegebenen Rahmenbedingungen zu finden – zum Beispiel um die besten Routen für Container in einem Hafen zu ermitteln und so deren Abfertigung zu optimieren.
Trend 2: Agenten kennen Interna
Situation: Aktuell sind KI-Sprachmodelle wie ChatGPT sehr allgemein gehalten und nutzen für ihr Training einfach Informationen, die im Internet öffentlich zur Verfügung stehen. Sie sind dadurch nicht an spezifische Aufgaben im Business-Umfeld angepasst, greifen also beispielsweise nicht auf Daten zu, die für eine konkrete Anwendung besonders relevant sind.
Lösung: Individual Agents nutzen für ihr Training internes Wissen aus dem Unternehmen und können auf diese Weise Ergebnisse liefern, die für die Aufgabenstellung maßgeschneidert sind. Jeder Anwender kann seine Daten in seinen individuellen Agenten integrieren und sich so wesentlich effektiver unterstützen lassen. Beispiel: Ein Large Language Model, das in der Automobilentwicklung eingesetzt wird, versteht nicht von vornherein die Fachsprache in diesem Bereich. Erst wenn es mit spezifischem Input trainiert wird, kann es echten Mehrwert bieten. Ausgangspunkt könnten Open-Source-Sprachmodelle wie Gemini von Google oder Llama von Meta sein, die von einem Experten an die konkrete Anwendung angepasst werden.
Trend 3: Optimum statt Silo
Situation: Viele Unternehmen wollen KI nutzen, um aus ihren vorhandenen Daten relevante Informationen zu gewinnen. Voraussetzung dafür ist, dass sie ihre Datensilos auflösen. Allerdings sind in vielen Fällen entscheidende Fragen nicht geklärt, zum Beispiel: Wer ist für den Zugriff auf Daten und deren Qualität zuständig? Ohne eine gut funktionierende Data Governance hat selbst die beste KI keine Chance, etwas zum Unternehmenserfolg beizutragen.
Lösung: Unternehmen müssen durch professionelle Data-Governance- und -Management-Strukturen die Voraussetzungen dafür schaffen, das Optimum aus ihren Daten herauszuholen. Dazu gehören klare Verantwortlichkeiten für konkrete Datenprodukte, die in Zielvereinbarungen präzise definiert sind. Es ist schwer, den positiven Einfluss dieser „Ermöglicher“ (Enabler) auf den Unternehmenserfolg zu messen. Aber ohne sie werden KI-Lösungen weit unter ihren Möglichkeiten bleiben. Ein solcher ganzheitlicher Transformationsprozess führt von den wichtigsten Business-Prioritäten über konkrete Datenprodukte bis hin zu den KI-Kompetenzen und KI-Verantwortlichkeiten in der Unternehmensorganisation.
Trend 4: Lösungen für den operativen Betrieb
Situation: Ein Bonmot aus der KI-Szene sagt: „Viele Unternehmen haben mehr Piloten als eine Airline.“ Damit ist gemeint, dass es oft einen Wildwuchs an einzelnen, isolierten Projekten gibt, die als Proof of Concept durchgeführt werden. Sie werden in der Regel nicht ins Unternehmen integriert und nachhaltig verankert. Ein typisches Verhalten, das Probleme bringt: Noch zu oft wird von den vorhandenen Daten her gedacht – und nicht von den zentralen Business-Herausforderungen, die sich mit KI bewältigen lassen sollten. Hinzu kommt, dass oft die Experten fehlen, um eine KI-Lösung langfristig zu betreiben (zum Beispiel für den Nutzer-Support).
Lösung: Statt Dutzende Pilotprojekte zu starten, sollten sich Unternehmen auf die drei Projekte konzentrieren, die den größten Einfluss auf den Unternehmenserfolg haben – verbunden mit einem klaren Commitment: Wegen der großen Bedeutung dieser Projekte werden sie konsequent vorangetrieben und zum Erfolg geführt. Konsequente Fokussierung sowie ein technischer und organisatorischer Rahmen zur Produktivschaltung von KI-Lösungen (MLOps) sind hier die wichtigsten Elemente. Das dafür benötigte Fachwissen können Unternehmen entweder intern aufbauen oder je nach Bedarf aus einem Partnernetzwerk abrufen. Als Berater unterstützen wir unsere Klienten dabei, die passenden Projekte zu identifizieren, ein erstes KI-Modell zu bauen und – gemeinsam mit Partnern – die richtigen Prozesse aufzusetzen.
Trend 5: Die Kombination zum „Super Mind“
Situation: In den Unternehmen schlummert ein gewaltiger Erfahrungsschatz. Der steckt in den Köpfen ihrer Mitarbeitenden. Doch dieser Schatz ist weder formalisiert noch in einer Datenbank zu finden. KI-Modelle bleiben oft unter ihren Möglichkeiten, weil sie auf diese wertvollen Erfahrungen von Experten keinen Zugriff haben.
Lösung: Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Kombination von menschlichem Fachwissen mit KI-Modellen. So entstehen „Super Minds“. Beispiel: Ein KI-Modell stellt durch eine Datenanalyse eine Korrelation fest. In der Realität handelt es sich dabei aber um einen zufälligen Zusammenhang und keine Ursache-Wirkungs-Beziehung. Ein Mensch als Experte kann das aufgrund seines Erfahrungsschatzes erkennen und so dazu beitragen, dass KI-Modelle besser werden. In vielen Fällen werden diese Modelle aber nicht autonom entscheiden, sondern einen Menschen bei seiner Entscheidungsfindung unterstützen. Wichtig ist also auch, dass Unternehmen festlegen, in welchen Bereichen die „Super Minds“ nur assistieren und wo sie selbst entscheiden sollen. Es handelt sich hier um eine doppelte Optimierung: Man optimiert das KI-Modell und zugleich seine Nutzung im Unternehmensalltag.
Über den Autor
Fabian Schmidt ist Associate Partner AI & Data Analytics bei Porsche Consulting. Er leitet ein interdisziplinäres Team von KI-Experten mit Erfahrungen aus unterschiedlichsten Branchen. Das Team ist zudem integriert in den neuen Innovationspark Künstliche Intelligenz (IPAI) in der südwestdeutschen Stadt Heilbronn. Durch die räumliche und fachliche Nähe zur Forschung kennen die Consultants nicht nur die Herausforderungen ihrer Klienten aus Industrie, Wirtschaft und Verwaltung, sondern auch die aktuellen technologischen Entwicklungen im KI-Bereich.
Info
Text erstmalig erschienen im Porsche Consulting Magazin.