Die „Königin des Arabischen Meeres“ wirkt fast wie ausgestorben. Die tropische Hitze. Sie drückt. Im indischen Kochi steigen die Temperaturen in dieser Jahreszeit auf weit über 30 Grad Celsius. Bald beginnt die Regenzeit – doch heute ist das Geräusch niederprasselnder Tropfen nur eine weit entfernte Erinnerung. Wer kann, sucht in den heißen Mittagsstunden Zuflucht im kühleren Innern. Wir aber haben noch etwas Zeit – und lassen uns vom Wetter nicht davon abhalten, die Küstenstadt im äußersten Südwesten zu erkunden. Die Leere, die Hitze, die Ruhe – all das gibt dem Ort eine beinahe magische Atmosphäre. Mit etwa 1,425 Milliarden Einwohnern wurde Indien im April 2023 offiziell zum bevölkerungsreichsten Land der Erde. Doch den erwartbaren Trubel suchen wir hier vergebens. Es wirkt fast so, als bewegten wir uns in einer Filmkulisse. Ein passendes Bild, denn am Nachmittag steht das Treffen auf dem Plan, das uns hergeführt hat: ein Besuch bei Dulquer Salmaan, Schauspieler und in Indien ein absoluter Superstar.
Der 40-Jährige ist in Kochi geboren. Als er sieben Jahre alt war, zog seine Familie nach Chennai an die Ostküste, doch seine Heimatstadt hat ihn geprägt – und er kehrte zurück. Immer wieder wird er heute in Kindheitserinnerungen schwelgen, wird an die vielen Feste im Stadtteil Mattancherry denken, an den Süßwarenladen Ashanti Laal Mithaiwala, nur 30 Gehminuten vom Mahatma Gandhi Beach entfernt. Er wird von seinen Filmen Vikramadithyan, Charlie und Solo sprechen, die hier gedreht wurden und durch die er Kochi immer wieder neu entdeckte. Seine Heimat, die nicht nur für ihn Symbol für die reiche Geschichte Indiens ist.
Auf den Spuren Vasco da Gamas
Kochi, früher noch Cochin genannt, entwickelte sich nach der Unabhängigkeit Indiens im Jahre 1947 zur zweitgrößten Stadt des 1956 gegründeten Bundesstaates Kerala. Die Region wird im Inland von Teeplantagen und wilden Hügellandschaften dominiert, in Küstennähe finden sich zahlreiche Lagunen und Seen. Das Stadtgebiet erstreckt sich über mehrere vor der Küste liegende Inseln und Halbinseln.
Entlang der mehr als 900 Kilometer langen Kanalsysteme schlummern malerische Dörfer unter Palmen, auf den Gewässern dümpeln Hausboote. Vielen erscheint die Gegend wie ein Paradies an der Malabarküste, die auch unter dem Namen Pfefferküste bekannt ist. Anfang des 15. Jahrhunderts entwickelte sich Kochis Hafen zum Handelszentrum für Gewürze. Mit der Zeit kamen die Chinesen, die Araber, die Europäer. Kochi florierte und wuchs zu einer Metropole mit heute 600.000 Einwohnern heran.
Wir schlendern die Promenade im pittoresken Viertel Fort Kochi entlang, bestaunen die lange Reihe chinesischer Fischernetze, deren Holzgestelle wie eine Skulptur wirken, und besuchen Mattancherry, einen Ort von kultureller Vielfalt. Kirchen, Paläste, Tempel, Moscheen und Synagogen ragen in die Höhe. In Jew Town erkunden wir enge Gassen, auf der Insel Vallarpadam die Basilika, die schon Vasco da Gama besuchte. Der Portugiese entdeckte 1498 den südlichen Seeweg nach Indien über das Kap der Guten Hoffnung. Bei einem seiner nächsten Besuche verstarb da Gama 1524 in Kochi. Erinnerungen an sein ursprüngliches Grab finden sich noch heute in der hiesigen Franziskanerkirche, der ersten europäischen Kirche Indiens. Je tiefer man in die Stadt eindringt, desto mehr wird die Historie spürbar.
Das Vermächtnis der Legende
Auch die Familie Salmaan hat sich einen Platz in den örtlichen Geschichtsbüchern verdient. Als wir am Nachmittag die Auffahrt zu Dulquer Salmaans Anwesen hinauffahren, empfängt uns der Gastgeber mit einem breiten Lächeln. Vor dem Haus parken sein Panamera Turbo, sein 911 GT3 (991) und ein 911 Carrera S (997). Aus europäischer Sicht exotische Pflanzen dominieren im Garten, das Haus wirkt wie ein Kunstatelier. Salmaan lebt hier mit seiner Frau Amaal Sufiya und der gemeinsamen Tochter. Familie ist ihm wichtig. Fast all seine Leidenschaften, sein Beruf, seine Hobbys haben einen direkten Bezug zu seiner Familie.
So wie auch die Passion für Porsche. Wie bei vielen Menschen beginnt alles mit einer weit entfernten Kindheitserinnerung. „Wir waren damals im Oman“, erinnert sich Salmaan. „Ein Freund meines Vaters hatte sich einen 944 gekauft. Ich habe immer wieder auf das Auto gestarrt und versucht, den Firmennamen richtig auszusprechen. Dann machten wir im Dunkeln eine Spritztour – damit fing alles an.“ Auch sein Vater Mammootty hegte lange den Traum von einem Porsche für die ganze Familie. „Deshalb gefällt mir der Panamera auch so gut“, sagt Salmaan junior. „Er bietet wahnsinnig viel Platz.“ Mitte der 1990er-Jahre hatte sein Vater sich wegen der beiden Kinder noch gegen den Kauf eines 911 entschieden. Für Sohn Dulquer damals eine herbe Enttäuschung. Erst später legte sich auch der Vater eigene Modelle zu. Und die beiden haben noch etwas gemein: Auch Mammootty gilt in Indien als Schauspiellegende. In rund 50 Jahren hat er fast 400 Filme gedreht. Dass Dulquer Salmaan einmal in seine Fußstapfen treten würde – damit hatte lange niemand gerechnet.
„Außerhalb der Familie hatte ich früher wenig mit kreativen Menschen zu tun“, erzählt er. Nach der Schule studierte er Wirtschaftswissenschaften und arbeitete als Manager in verschiedenen Unternehmen. „Aber ich wurde nirgendwo glücklich und hatte nie das Gefühl, dass meine Mühe belohnt wird.“ Dann begannen Freunde damit, Kurzfilme zu produzieren – und Salmaan stieg mit ein. Die Drehs bereiteten ihm immer mehr Freude, er arbeitete bis zu 18 Stunden am Tag und erkannte, was es bedeutet, seiner Leidenschaft nachzugehen. „Ich war beeindruckt vom kreativen Prozess“, sagt der Schauspieler. „Ich wurde langsam erwachsen und merkte, dass ich meine Ängste überwinden kann, wenn ich mich ihnen stelle. Man wird glücklicher und erreicht inneren Frieden.“ Es war der Moment, der Salmaans Leben in eine andere Richtung lenken sollte.
In elf Jahren zum Superstar
Heute ist er ein Star des indischen Kinos. Das viel mehr ist als das im Ausland bekannte Bollywood. Der Begriff – eine Verbindung der Wörter Bombay und Hollywood – steht zwar global für die kommerzielle Filmproduktion auf dem Subkontinent. Doch eigentlich meint Bollywood ausschließlich die Filme, die auf Hindi produziert werden. Zwar gilt die Hindi-Industrie mit bis zu 1.000 Filmen pro Jahr als eine der produktivsten der Welt, in Indien ist sie jedoch nicht die einzige. Fast jeder Bundesstaat hat eine eigene Filmindustrie. Und in Indien gibt es 22 offizielle Sprachen. Salmaan steht für Hindi-Produktionen aus Bollywood genauso vor der Kamera wie in seiner Heimat Kerala, wo Malayalam gesprochen wird. Auch auf Tamil und Telugu hat er bereits gedreht. „Wenn ich in unterschiedlichen Sprachen arbeite, mache ich jedes Mal die gleiche Erfahrung wie jeder Inder, der innerhalb seines Landes reist“, sagt der Schauspieler. „Ich erlebe all die unterschiedlichen Kulturen, und doch fühlen sich die Geschichten irgendwie indisch an. Solange ich die Sprache einigermaßen beherrsche, fühle ich mich immer noch zu Hause.“
„Wenn man sich seinen Ängsten stellt, wird man glücklicher – und erreicht inneren Frieden.“ Dulquer Salmaan
Fast 40 Filme hat Salmaan seit seinem Debüt vor elf Jahren gedreht und dabei mehr als 20 Auszeichnungen gewonnen. Vielseitigkeit ist ihm wichtig, der Inder dreht Komödien, Dramen oder Thriller. „Ich möchte, dass jeder Film sich vom vorigen unterscheidet“, sagt er. Er will seinen eigenen Weg gehen und arbeitet sich mit viel Akribie in seine Rollen ein. Für die Figur des Schauspielers Gemini Ganesan im Biopic Mahanati besuchte er dessen Nachfahren und studierte die Eigenarten der tamilischen Leinwandlegende. Ganesan war ein Filmstar der 1950er-Jahre, drehte mehr als 200 Filme und gilt in Indien bis heute als „König der Romanze“.
„Wenn ich diesem Weg treu bleibe, kann ich dem Namen meines Vaters hoffentlich alle Ehre machen“, sagt Salmaan lächelnd. „Ich lasse mich von seinen Werten inspirieren, aber versuche nie, ihn zu imitieren. Ich will mein eigenes Vermächtnis hinterlassen.“
Kunst als ästhetische Schule
Salmaan zeigt auf ein über ihm hängendes Gemälde des sri-lankischen Künstlers Senaka Senanayake. Die Kunst fasziniert ihn schon immer. „Ich denke, dass sich dadurch mein Geschmack und meine Wahrnehmung kontinuierlich verbessern, auch in Bezug auf den Film“, sagt er. „In den Häusern, in denen ich als Kind gelebt habe, gab es schon immer Gemälde, Skulpturen und Musik. Das hilft dabei, Filme nach meinem ästhetischen Geschmack auszuwählen.“ In jedem Raum von Salmaans Haus findet sich ein neues Kunstwerk, ihn beeindrucken die indischen Künstler Bhavna Sonawane und Gunda Anjaneyulu. Aber auch eine Sammlung alter indischer Landkarten aus der Zeit der britischen Herrschaft befindet sich in seinem Besitz.
Und dann kommt er wieder auf Kochi zu sprechen, seinen Anker. Erst kürzlich fand hier die Kochi-Muziris Biennale statt, Indiens erste Ausstellung dieser Art. „Das Event kann es international mit den besten Veranstaltungen in der Kunstbranche aufnehmen“, sagt Salmaan.
2012 wurde die heute bedeutendste Kunstausstellung des Landes ins Leben gerufen, elf Jahre später ist die Biennale das größte Festival für zeitgenössische Kunst in Asien. Damals konnte Salmaan noch unbeschwert die Werke der jungen, aufstrebenden Künstler aus der Region bestaunen. Heute, mit mehr als 20 Millionen Followern in den sozialen Medien, wird das immer schwieriger.
Doch daran hat sich Salmaan gewöhnt. Ohnehin ist er als Schauspieler viel auf Reisen und genießt in Kochi die Zeit der Ruhe. Und seine Porsche-Fahrzeuge. Am nächsten Morgen, wenn die Sonne noch nicht so hoch steht, wird er uns mit dem 911 GT3 (991) durch seine Heimatstadt führen, an die Plätze, von denen er so schwärmt und die ihn so geprägt haben: der Süßwarenladen in Mattancherry, der alte Hafen aus dem 14. Jahrhundert, das historische Fort Kochi. Orte, die heute auch seine Tochter und seine Neffen prägen. Heimat und Familie – das gehört für ihn zusammen. „Es sind immer alle da, wenn ich in Kochi bin, das Haus lebt“, sagt er. „Meine Tochter spielt mit den Kindern meiner Schwester, wir sitzen beisammen, wir lachen.“ Nach dem Abendessen steht das Familienritual an: der gemeinsame Filmabend im hauseigenen Kinoraum. „Meine Tochter hat dann immer die Macht über die Fernbedienung“, lacht Dulquer Salmaan. „Für mich sind das die schönsten Momente.“
Info
Text erstmals erschienen im Christophorus Magazin, Ausgabe 408 – seit heute verfügbar!
Autor: Arjun Ramachandran
Fotos: Vikram Bawa
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