Jule Niemeier, vor einem Jahr mussten Sie bei den Australian Open noch in die Qualifikation. Dann spielten Sie eine starke Saison mit dem Viertelfinale in Wimbledon als Höhepunkt. Wie blicken Sie auf 2022 zurück?
Jule Niemeier: „Ich bin jetzt eine andere Spielerin und eine andere Person. Als ich in Melbourne das Qualifying spielte, war ich noch sehr frisch auf der Tour. Da war vieles neu für mich, ich musste mich an einige Dinge erst gewöhnen. Jetzt bin ich sehr viel selbstbewusster, auf und neben dem Platz. Ich bin fitter und habe eine bessere Idee, wie ich wirklich spielen will. Da steckt eine Strategie dahinter, die ich mit meinem neuen Team seit letztem April entwickelt habe. Zusammen sind wir auf einem sehr guten Weg.“
Wie zeigt sich Ihr neues Selbstbewusstsein neben dem Platz?
Niemeier: „Ich weiß jetzt viel besser, was gut für mich ist und was ich will. Und das setze ich auch durch. Doch ich habe immer noch meine alten Freunde und will auch, dass das so bleibt – ganz egal wie erfolgreich ich bin.“
Im vergangenen Jahr haben Sie sich, vor allem mit Ihren starken Auftritten in Wimbledon und bei den US Open, in den Blickpunkt gespielt. War das so geplant?
Niemeier: „Es war nicht so, dass wir uns einen bestimmten Weltranglistenplatz als Ziel gesetzt haben. Mit meinem neuen Coach Christopher Kas haben wir versucht, mein Spiel kompletter zu machen. Wir haben großen Wert daraufgelegt, dass ich eine Spielidee habe, dass ich weiß, was ich auf dem Platz will. Das hat relativ schnell gut funktioniert. Wir wollen aus jedem Match das Bestmögliche herausholen, ganz egal, wie es läuft. Auch wenn ich scheinbar aussichtslos zurückliege, versuche ich immer, im Spiel zu bleiben und meine Chancen zu nutzen. Dabei kommt mir meine Fitness zugute, an der wir ebenfalls intensiv gearbeitet haben. Inzwischen kann ich auf dem Platz jedes Tempo mitgehen.“
Ihre starken Auftritte in Wimbledon und bei den US Open haben Sie nicht überrascht?
Niemeier: „Wir sind uns im Team schon einig, dass alles viel schneller gegangen ist, als wir das geplant hatten. Doch wir haben hart gearbeitet, insofern waren diese Erfolge letztlich auch verdient. Dass sie so schnell kamen, gerade mal drei Monate nach dem Beginn unserer Zusammenarbeit, war für viele sicherlich etwas überraschend. Umso wichtiger war es, dass ich die Leistung von Wimbledon bei den US Open bestätigen konnte. Ich hoffe natürlich, dass diese positive Entwicklung in den nächsten Wochen und Monaten anhält. Ich kann aber nicht erwarten, dass ich jetzt bei jedem Grand Slam in die zweite Woche komme. Versuchen werde ich es aber auf jeden Fall.“
Werden Sie von Ihren Kolleginnen seit Ihren starken Grand-Slam-Auftritten anders wahrgenommen?
Niemeier: „Gefühlt schon. Es gibt viel mehr Kontakte, man spricht bei den Turnieren auch mehr miteinander. Die haben schon mitbekommen, dass ich in Wimbledon und bei den US Open ganz gut gespielt habe. Das ändert aber nichts daran, dass wir auf dem Platz in erster Linie Konkurrentinnen sind.“
Haben Sie sich für diese Saison ein bestimmtes Ziel gesetzt, das Sie erreichen wollen?
Niemeier: „Nein. Doch wenn man ein so gutes Jahr hinter sich hat wie ich, mit starken Matches vor allem am Ende der Saison und bei den Grand Slams, dann will man daran natürlich anknüpfen. Ich bin angekommen auf der Tour und habe das Gefühl, dass ich mich nicht mehr verstecken muss. Jetzt will ich versuchen, Schritt für Schritt besser zu werden und vielleicht meinen ersten WTA-Titel zu holen.“
Durch die Babypause von Angelique Kerber sind Sie die bestplatzierte Deutsche in der Weltrangliste, haben das Porsche Team Deutschland im Billie Jean King Cup als Nummer eins in die Play-Offs geführt. Wie fühlen Sie sich in dieser Rolle?
Niemeier: „Ich mache mir da nicht zu viele Gedanken. Mir ist schon bewusst, dass ich jetzt etwas mehr in der Verantwortung stehe und nehme das auch an. Wenn ich mit dem Porsche Team Deutschland im Billie Jean King Cup unterwegs bin, ergreife ich schon mal die Initiative und gehe voran. Das mache ich gerne. Ich spüre jedoch keinen Druck.“
Sie wurden viele Jahre im Porsche Talent Team gefördert. Wie wichtig ist diese Unterstützung für junge Spielerinnen auf dem Sprung zu einer Profikarriere?
Niemeier: „Wenn man in jungen Jahren internationale Turniere spielen will, ist so eine Förderung unheimlich wichtig. Durch sie werden professionelle Strukturen geschaffen, die talentierte Nachwuchsspielerinnen auf jeden Fall weiterbringen. Im Tennis muss man auf dem Weg zu einer Profikarriere sehr viel Geld und Zeit investieren. Wenn man durch diese Unterstützung die Möglichkeit hat, als junge Spielerin auch mal den Trainer mit zu einem Turnier zu nehmen, dann ist das eine große Hilfe.“
Kommen wir zurück auf die Australian Open, wo Sie zum ersten Mal im Hauptfeld stehen. Was sind Ihre Hoffnungen und Erwartungen?
Niemeier: „Ich werde versuchen, die erste Runde zu gewinnen. Wenn das klappt, werde ich versuchen, auch die zweite Runde zu gewinnen. Ich denke von Match zu Match. Damit bin ich in Wimbledon und bei den US Open ganz gut gefahren. Mit einem konkreten Ziel in ein zweiwöchiges Turnier zu gehen, macht wenig Sinn. Dazu kann zu viel passieren. Bei einem Grand Slam ist jedes einzelne Match eine große Herausforderung.“