Indien boomt: Noch dieses Jahr soll Indien China als bevölkerungsreichstes Land der Welt ablösen, dann mit 1,6 Milliarden Menschen. Auch wirtschaftlich geht es bergauf. Auf dem Subkontinent leben fast 800.000 Millionäre, mehr als Frankfurt Einwohner hat. Dazu gesellen sich 166 Milliardäre. Top 3 in der Welt. Auch für Porsche läuft es in Indien gut. Vergangenes Jahr konnten Brand Director Manolito Vujicic und sein Team genau 779 Sportwagen absetzen. Ein Plus von mehr als 60 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Besonders erfreulich: Der Taycan macht bereits in seinem ersten vollen Jahr in Indien zehn Prozent des Gesamtvolumens aus. 78 vollelektrische Sportwagen fanden einen Käufer. Indien ist mittlerweile der drittgrößte Automarkt der Welt, die Elektromobilität steckt allerdings noch in den Kinderschuhen. Zwar wurden allein im vergangenen Jahr immerhin gut 300.000 Battery Electric Vehicles (BEV) verkauft, dieser Zahl stehen allerdings weniger als 2000 Ladestationen gegenüber. Bis 2027 sollen es dann 100.000 Charger sein.
Die Vorbereitungen
Die Ladeinfrastruktur ist nicht gerade eine ideale Voraussetzung für einen Roadtrip quer durchs Land. Hinzu kommen Temperaturen von fast 40 Grad Celsius. Es ist tiefster Winter in Indien, aber die Klimaautomatik ist im Dauereinsatz.
Die Testwagen sind außerdem mit der Performance Batterie ausgestattet und nicht mit der optionalen Performance Batterie Plus. Löchrige Ladeinfrastruktur, kleine Batterie, hohe Temperaturen. Was soll schon schief gehen?
Tag 1
Donnerstagmorgen Punkt 7 Uhr fahren wir in Mumbai los. Vor uns liegen 750 Kilometer. Gut 400 Kilometer am ersten Tag und knapp 350 am zweiten. Distanzen, die sich in Europa an einem Tag bewältigen lassen, sind in Indien unmöglich zu schaffen - unabhängig von der Antriebstechnologie. Die Durchschnittsgeschwindigkeiten sind auf Grund der schieren Masse an Fahrzeugen aller Art sehr niedrig. Dazu kommen Schlaglöcher im XXL-Format, Fahrbahnen mit der Topografie einer Moto-Cross-Strecke und tierische Verkehrsteilnehmer aller Art. Nachdem wir uns durch die Rush Hour gequält haben, die in Mumbai 24/7 dauert, geht es auf den Freeway Richtung Pune. Der Asphalt hier ist neu und eben. Für die 150 Kilometer lange Strecke brauchen wir ungefähr drei Stunden. Obwohl die Batterie des hinterradgetriebenen Taycan noch gut gefüllt ist, fahren wir zu einer Ladestation neben der Autobahn. Wir wollen herausfinden, ob wir uns gut genug vorbereitet haben und überhaupt laden können.
Um in Indien Strom zu ziehen, benötigt man vier Dinge: ein Smartphone mit indischer Telefonnummer, eine indische Kreditkarte, die richtige App und jede Mende Geduld. Der Ladevorgang funktioniert selten beim ersten Versuch. Entweder streikt die Ladesäule, die App oder beides. Mit der Zeit bekommt man allerdings ein Gefühl, wie der Hase läuft in Indien. Man muss es einfach so lange versuchen, bis der Funke überspringt. App neu starten, Ladestecker wieder an der Säule einhängen und neu verbinden, App wieder öffnen und so weiter.
Eine weitere Besonderheit: In Indien braucht man für jeden Anbieter die passende App. Es gibt noch keinen übergeordneten Ladedienst. Man verbringt also gerade am Anfang viel Zeit mit dem Download von Apps, Registrierungen und dem Eingeben von Kreditkarten-Details. Mit 75 kW ist der erste Lader besonders potent. 30 kW sind hier die Norm im HPC-Bereich. Mit 20 Cent pro kWh gelingt das Laden aber auch recht günstig. Der Preis entspricht etwa einem Drittel von dem, was wir in Deutschland zahlen.
Nach ungefähr 45 Minuten setzen wir unseren Roadtrip fort. Es geht weiter auf dem Highway. Bei den Ortsdurchfahrten muss die Luftfederung des Taycan alles geben. Die Speed-Bumps hier sind mehrere hohe Asphaltwülste hintereinander. Selbst mit dem besten Fahrwerk werden die Passagiere durchgeschüttelt. Schrittgeschwindigkeit ist hier viel zu schnell, der Liftmodus Pflicht. Wer eine dieser Fallen übersieht, ist zumindest sein Fahrwerk los. Dies gilt aber nur, wenn man in eine Stadt hineinfährt. Außerhalb der Städte sind die Straßen größtenteils in sehr gutem Zustand. Zur Mittagszeit legen wir einen weiteren Stopp ein. Ladestation und Restaurant finden wir dank der App gleich nebeneinander. Der Taycan lädt für eine gute Stunde mit 30 kW, wir probieren während dessen Paneer Masala und Aloo Jeera Dry. Köstlich. Im Vergleich zur durchschnittlichen Raststätte in Europa servieren die Inder Sterneküche zu einem Bruchteil des Preises. Sitt und satt für weniger als vier Euro.
Unser Tagesziel für heute heißt Solapur. Klingt nach reiner Sonnenenergie, ist aber eine Millionenstadt im westindischen Bundestaat Maharashtra. Hier wirkt der Taycan im Straßenbild wie ein UFO. Fast jeder dreht sich nach dem Porsche in Frozenblue um, winkt, lächelt, zückt das Handy, um ein Video zu drehen oder ein Selfie mit dem Auto zu machen. Jedes Mal, wenn wir anhalten, sind wir sofort umzingelt von neugierigen Locals. Besonders Kinder reagieren auf den Taycan, auch oder gerade wegen der Tatsache, dass sie wahrscheinlich noch nie einen live gesehen haben. Unser Hotel erreichen wir gegen 18 Uhr. Elf Stunden für 400 Kilometer. Die Durchschnittsgeschwindigkeit liegt bei etwa 50 km/h. Der Rest ging für einen Ladestopp, die Mittagspause und Fotofahrten drauf. Im Hotel gibt es eine positive Überraschung. In der Tiefgarage gibt es drei AC-Lader mit jeweils 7,4 kW Ladeleistung. Kurios: Die Kilowattstunde Strom kostet hier mehr als der DC-Strom an öffentlichen Ladepunkten. Was tut man nicht alles für 100 Prozent State of Charge (SoC) am nächsten Morgen…
Tag 2
8 Uhr Abfahrt. 350 Kilometer bis Hyderabad. Die Formel E wartet und der Verkehr aus der City raus. Jeder Zentimeter Verkehrsraum wird genutzt. Das permanente Hupen der Auto-Rikschas, Taxen und LKW ist omnipräsent. Was bei uns meist als grimmige Warnung gewertet wird, gilt hier als gut gemeinter Hinweis. Das Hupen ersetzt den Außenspiegel. Achtung, ich bin neben und hinter dir, so das Motto. Es funktioniert – irgendwie. Auch weil die Inder ohne jegliche Aggression fahren. Also raus aus der Stadt und rauf auf den Highway. Hier kommen wir zum ersten Mal an die Grenzen der indischen Ladeinfrastruktur. Auf dem Teilstück von Solapur nach Hyderabad finden wir lediglich Ladesäulen eines Anbieters. Um es vorwegzunehmen: Keine einzige funktioniert. Die meisten sind nicht mal angeschlossen.
Freundliche Tankstellenmitarbeiter verraten uns Stationen, die nicht in der App zu sehen sind und angeblich funktionieren sollen. Aber auch hier: alle Bildschirme schwarz. Zum Glück erweist sich der Taycan unter diesen Bedingungen als Effizienz-Wunder. Der Verbrauch sinkt auf 16 kWh / 100 km. Trotz kleinerer Batterie sind so weit über 400 Kilometer möglich. Wir beschließen, unsere Mittagspause weit nach hinten zu legen und in einem Rutsch an den Stadtrand von Hyderabad zu fahren. Dort gibt es ein Hotel mit zwei HPC-Ladern. Auch dort dauert es 20 Minuten bis der Ladevorgang startet. Eine weitere Erkenntnis: Wir laden immer etwas mehr als nötig. Man weiß nie, wann es wieder frische Elektronen gibt. Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir Hyderabad.
Tag 3
Der dritte Tag steht ganz im Zeichen des Grundes für diesen Roadtrip: dem ersten Formel E-Rennen in Indien. Nach einem heftigen Unfall im Training muss Porsche-Pilot Pascal Wehrlein am Freitag kurzzeitig zur Beobachtung ins Krankenhaus. Die Ärzte geben aber grünes Licht und Wehrlein kann neben Antonio Felix da Costa, der in Indien sein 100. Formel E-Rennen bestreitet, am Qualifying am Samstag teilnehmen. Die beiden stellen ihre Porsche 99X Electric auf P12 und P13.
Im Rennen läuft es dann deutlich besser: António Félix da Costa fährt sensationell als Dritter über die Ziellinie und damit aufs Podium. Pascal Wehrlein baut als Vierter seine Führung in der Fahrerwertung aus. In der Teamwertung steht Porsche nach vier von 16 Rennen an der Spitze des aktuellen Klassements. Zufriedene Gesichter beim TAG Heuer Porsche Formel-E-Team. Am Abend ist Pascal Wehrlein entsprechend glücklich. Auch wenn er mit einigen blauen Flecken zurück nach Deutschland fliegt.
Tag 4
Am Sonntagmorgen machen wir uns auf den Weg zurück nach Mumbai. Dieses Mal sind es 350 Kilometer am ersten Tag und 400 am zweiten. Hyderabad schläft noch. Der Verkehr ist nicht so heftig wie sonst. Es geht wieder durch wuselige Ortschaften und über zweispurige Landstraßen – nun gen Westen. Zur Überraschung aller finden wir dieses Mal einen Lader, der angeblich funktionieren soll. Nach knapp 200 Kilometern verlassen wir die Schnellstraße und biegen auf eine staubige Nebenstraße, die an Nordafrika erinnert. Der Taycan ist sofort mit feinstem Staub überzogen. Dakar-Feeling kommt auf. Der 30 kW-Lader neben einem Reifenhändler funktioniert tatsächlich und wir können den Ladestopp erneut mit der Mittagspause verbinden.
Nach unserer Rückkehr lädt ein anderes E-Auto. Wir kommen ins Gespräch. Herr Singh ist IT-Spezialist aus Pune und auf Familienausflug mit Frau und Schwiegereltern. Er interessiert sich für neue Technologien und hat sich deshalb ein E-Auto gekauft. Auch wegen des Kostenvorteils gegenüber seinem Diesel. Zum Vergleich: 100 Kilometer Taycan-Fahren kostet in Indien keine fünf Euro. Ein vergleichbarer Verbrenner kostet wegen der relativ hohen Spritpreise fast dreimal so viel. Gegen 14 Uhr nehmen wir die letzte Etappe des Tages zurück nach Solapur in Angriff. Für die 150 Kilometer brauchen wir drei Stunden. Im Hotel können wir auf die bereits bekannten, insgesamt drei AC-Lader zurückgreifen und die Taycan über Nacht vollladen.
Tag 5
Gegen 7 Uhr bricht der letzte Fahrtag an. Die letzten 400 Kilometer. Da wir bereits mit Sonnenaufgang losgefahren sind, bleibt sogar noch Zeit, um am Straßenrand einen zuckersüßen Chai Tea zu genießen. Schwarzer Tee mit Milch und traditionell gewürzt mit Kardamom, Ingwer, Nelken, Zimt und schwarzen Pfefferkörnern. Einheimische zahlen 7 Rupien – umgerechnet 8 Cent. Touristen und Road-Tripper etwas mehr. Auch hier kommen sofort wieder sehr freundliche Einheimische dazu, um Fotos zu machen und einen Blick in das Innere des Taycan zu werfen. Das zusätzliche Beifahrer-Display sorgt für Begeisterung.
Zurück auf dem Highway wird die Fahrt immer wieder durch Mautstationen unterbrochen – Italien lässt grüßen. Da der Taycan eine beschichtete Windschutzscheibe hat, erkennt der Scanner nicht immer den Mautaufkleber. Aber auch hier wird uns sofort geholfen und ein manueller Scanner innen an den Sticker gehalten. Unseren Lunchstopp planen wir dieses Mal in Pune direkt in der City. Hier gibt es die Ladestation eines Anbieters, mit dem wir bisher die besten Erfahrungen gemacht haben. Dafür nehmen wir auch den Dauerstau in der Stadt in Kauf. Gegen 14 Uhr geht es weiter und wir nehmen die letzten 150 Kilometer in Angriff. Auf diesem Teilstück verläuft die Strecke eine ganze Weile bergab. Das wirkt sich auf den Verbrauch des Taycan aus. Zwischenzeitlich sinkt dieser auf knapp 12 kWh / 100 km. Auf dem Freeway dürfen wir 100 km/h fahren. Bis nach Mumbai steigt der Verbrauch deshalb wieder auf 13,5 kWh / 100 km an. Auch, weil der Verkehr noch dichter ist als sonst und wir vier Stunden benötigen.
Fazit
1.500 Kilometer elektrisch durch Indien mit dem Porsche Taycan. Das klingt nach großem Abenteuer – und das ist es auch. Das Land steht erst am Anfang der Elektromobilität. Wenn man das in Betracht zieht, war es fast schon einfach, diese Distanz mit einem BEV zurückzulegen. Man braucht die richtigen Apps, viel Geduld und ein effizientes E-Auto, um dieses Abenteuer zu meistern – eben den Taycan. Im Gegenzug erlebt man im Zusammenhang mit der Elektromobilität erstaunliche Dinge und wird oft positiv überrascht. Was für ein Erlebnis…