Behutsam fährt Jörg Kerner den Schubhebel hoch. Sofort liegt das gewaltige Drehmoment der E-Maschine an. Bei 20,5 Knoten – im Display werden die umgerechneten 38 km/h angezeigt – hält der Baureihenleiter Macan bei Porsche kurz inne. „Cruising Speed“ nennt er den flotten Fahrmodus. Und auch als er weiter beschleunigt – wir nähern uns der Marke von 100 km/h –, passiert einfach nicht, was zu erwarten wäre: Weder dröhnt ein Motor, noch reckt sich der Bug steil in den Himmel über Italiens Gardasee. Fast waagerecht gleitet die Frauscher × Porsche 850 Fantom Air über das Wasser. Entspannte Haltung, freie Sicht. „Diese einzigartige Fahreigenschaft haben wir durch die tiefe zentrale Positionierung des Antriebs und der Batterien im Rumpf erreicht“, erklärt Kerner, ohne seine Stimme erheben zu müssen. Zu hören ist ein angenehmes Summen, untermalt von Wasserrauschen. „Dieses wertige und natürliche Hintergrundgeräusch hat mich am meisten überrascht“, schwärmt der Schwabe, während er Kurvenmanöver demonstriert, die Boote bislang noch nie leisten konnten.
„Für die Kurven haben wir das Drehmoment sogar reduziert, damit die Fahrt komfortabel beherrschbar bleibt.“ Die präzise Dosierbarkeit des Schubs und die stabile Lage sind auch perfekt fürs Wasserskifahren oder Wakeboarden. „Dieser Sport war mit den kleinen, bislang erhältlichen E-Booten nicht möglich. Jetzt geht das hervorragend und ganz ohne Abgasgeruch.“ Bei einer Breite von zweieinhalb Metern misst das Boot gut achteinhalb Meter vom Bug bis zum Heck. „Länge läuft“, sagt Kerner, „das gilt für Boote genauso wie für Autos, bei denen ein größerer Radstand Ruhe bringt und Raum bietet.“ Bis zu neun Personen kann die eFantom aufnehmen. Geplant ist eine First Edition mit 25 Exemplaren, die über Frauscher vorbestellt werden können und ab 2024 ausgeliefert werden sollen.
Vorreiter für nachhaltige Mobilität
Die Idee wurde im Frühjahr 2021 bei einem Meeting mit dem Vorstandsvorsitzenden Oliver Blume geboren. Porsche hat das Ziel, auch über Renn- und Straßenfahrzeuge hinaus Vorreiter für nachhaltige Mobilität zu sein.
So rief der Porsche-Vorstand ein neues Projekt ins Leben und berief Philip Ruckert zum Projektleiter „eBoot“. Gemeinsam mit Porsche Engineering wurde der technische Grundstein gelegt. Nur ein Jahr später folgte dann die Entscheidung, das Projekt in die Baureihe Macan zu integrieren und zur Serienreife zu bringen. Bereits zu Beginn nahm Ruckert Kontakt mit der renommierten Frauscher Werft im österreichischen Ohlsdorf auf. „Uns verbindet eine lange Geschichte mit Porsche“, sagt Michael Frauscher, der als Geschäftsführer für die Produktion verantwortlich zeichnet. „Erstens hat schon mein Großvater Boote für die Familien Porsche und Piëch gebaut. Zweitens haben wir vor über zehn Jahren Porsche Consulting kennengelernt. Dass aus unserem damaligen Handwerksbetrieb die erfolgreiche Manufaktur wurde, die wir heute sind, haben wir unter anderem dieser Beratung zu verdanken. Dadurch haben wir gelernt, nicht nur hochqualitativ, sondern auch schlank zu produzieren.“ In der Ohlsdorfer Werft stehen derzeit 18 Boote, an denen rund 100 Mitarbeiter parallel bauen.
„Und drittens“, zählt Frauscher weiter auf, „verbindet uns mit Porsche derselbe Anspruch in Sachen Performance, Design und Innovation. Unsere Boote müssen kompromisslos schnell und schön sein.“ Frauscher baut bereits seit 1955 kleine E-Boote für Verleihbetriebe, weil sich Michaels Vater schon damals daran störte, dass Außenborder das Seewasser verschmutzen. „Später waren wir die Ersten mit Hybridantrieben und die Ersten mit Wasserstoff. Aber die eFantom ist jetzt die echte Revolution. Ich fahre mein Leben lang Boote – und dieses ist bei Weitem das beste, das ich je gesteuert habe. Da kann kein Boot mit Verbrennungsmotor mithalten.“
Philip Ruckert erinnert sich: „Auf die Idee folgte eine Machbarkeitsstudie. In der Konzeptphase 2021 fiel die Entscheidung, den Rumpf des Daycruisers Frauscher 858 Fantom Air als Basis zu verwenden und den stärksten E-Antrieb des kommenden vollelektrischen Macan einzusetzen. Für eine perfekte Balance zwischen E-Maschine und Z-Antrieb haben wir dessen Leistung auf ein Maximum von rund 400 kW begrenzt.“ Mit dem Macan führt Porsche 2024 die neue Antriebstechnologie PPE ein. Die Premium Platform Electric wurde zusammen mit Konzernschwester Audi entwickelt und bietet eine gemeinsame Architektur für vollelektrische Fahrzeuge. Sie zeichnet sich unter anderem durch eine Lithium-Ionen-Hochvoltbatterie mit einer Gesamtkapazität von rund 100 kWh aus sowie durch eine permanenterregte Synchron-Elektromaschine und modernste Leistungselektronik.
2022 beginnt der Bau des Prototyps
Frauscher adaptiert den Rumpf aus glasfaserverstärktem Kunststoff für die Aufnahme der Antriebseinheit an optimal tiefer Schwerpunktposition. Parallel wird im Projekthaus der Macan-Entwicklung in Hemmingen bei Stuttgart an Anpassungen getüftelt.
Alle Hochvoltkomponenten – die Spannung liegt Porsche-typisch bei 800 Volt – inklusive der Batterie können 1 : 1 für die eFantom übernommen werden. Ebenso die Ladeperformance mit Schnellladedose an Bord. Alle Aktivteile der E-Maschine passen, nicht aber das Gehäuse. Anstatt einer Pedalerie verfügt das Boot über einen Schubhebel. Die Kraft wird nicht an Räder übertragen, sondern von der E-Maschine über eine Welle an den Z-Antrieb – so genannt wegen seiner Form außerhalb des Rumpfs am Heck – und bis zur Schraube.
Als größten Entwicklungsaufwand benennt Kerner das zentrale elektronische Steuergerät. „Weil man auf dem Wasser nun einmal keine Radgeschwindigkeiten erfassen kann oder beispielsweise keine Parkbremse hat, ergaben sich viele offene Schnittstellen. Um bei dem Beispiel zu bleiben: Der Macan lädt nur, wenn die Parkbremse geschlossen ist. Solche und andere fehlende Signale mussten wir erst generieren.
Mit dem Prototyp geht es in die Erprobungsphase. Im September 2022 startet das Entwicklungsteam zur Jungfernfahrt auf dem Traunsee unweit der Werft – ein knappes Jahr später wird bereits am deutlich größeren Gardasee erprobt. „Für die Erprobungen und Testfahrten ist die Schnellladefunktion inklusive entsprechender Ladesäule von höchster Relevanz“, sagt Kerner. „Da hat uns ADS-TEC mit einem ChargePost massiv unterstützt.“ Die Säule des Unternehmens aus Nürtingen in Baden-Württemberg erinnert in ihrer Dimension an eine alte Telefonzelle. Allerdings in frischem Design mit individuell bespielbaren großen Displays.
„Das beste Boot, das ich je gesteuert habe.“ Michael Frauscher
Herzstück der Schnellladesäule ist ein starker Akku, der mit einem 22-kW-Anschluss gespeist werden kann, wie er in jedem noch so kleinen Hafen verfügbar ist. „Ohne eine unkomplizierte Infrastruktur hat die Umstellung auf E-Boote keine Zukunft“, sagt Kerner. „Bisher wurden sie praktisch nur dort eingesetzt, wo Verbrenner verboten sind. Aber für eine Erfolgsstory braucht es faszinierende Produkte und bis zum Ende gedachte Prozesse.“ Konkret rechnet er vor: „Mit rund einer Million Euro für sechs solcher einfach zu installierenden Schnellladesäulen könnte der gesamte Gardasee fit für E-Boote werden. Das ist eine sinnvolle Investition und gilt für andere Gewässer dieser Welt und die Küstenregionen genauso.“ Für eine flexible Tagesgestaltung beim Bootsausflug spielen kurze Stopps und schnelles Laden mit Gleichstrom eine wichtige Rolle. AC-Laden ist aber natürlich ebenfalls möglich. Die Reichweite ist naturgemäß tempoabhängig: Der sportliche Cruising Speed mit 40 km/h reicht für rund 60 Minuten – bei Höchstgeschwindigkeit ist der Wert entsprechend geringer.
Michael Frauscher ist überzeugt: „Die Tiefe, in der Porsche beim Engineering angefangen hat, erreichen andere Hersteller auch am Ende ihrer Entwicklung nicht. Und vor allem: Unsere Frauscher × Porsche 850 Fantom Air ist kein Ausstellungsstück, sondern ein auf höchstem Niveau abgesichertes Serienmodell, das man schon jetzt bestellen kann.“
Info
Text erstmals erschienen im Christophorus Magazin, Ausgabe 408.
Autor: Heike Hientzsch
Fotos: Bernhard Huber
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