Ein Tastendruck und das graue Rolltor öffnet sich. In der unscheinbaren Lagerhalle in Buchholz, einer norddeutschen Kleinstadt, wird an einem der wichtigsten Zukunftsthemen gearbeitet: einer Welt ohne Plastik. Das Start-up-Unternehmen Traceless Materials GmbH hat dafür eine innovative Lösung parat. Sie verbirgt sich in kleinen Probenbehältern auf dem Labortisch und auch in großen, schwarzen Kisten auf der rechten Seite der Lagerhalle: eine hellorange, kristallförmige Substanz. Mit diesem Kunststoffersatz wollen die beiden Traceless-Gründerinnen Dr. Anne Lamp, CEO, und Johanna Baare, COO, die plastikverarbeitende Industrie revolutionieren – und der Plastikverschmutzung den Kampf ansagen. An diesem Ziel arbeiten die beiden Frauen und ihr Team mit vollem Engagement. Die Überzeugung treibt die Gewinnerinnen des Deutschen Gründerpreises 2022 (Kategorie „StartUp“) an.
Folie aus Getreideresten – Kompost nach neun Wochen
Eine Lastwagenladung pro Minute. Oder in Zahlen ausgedrückt: rund zehn Millionen Tonnen. Das entspricht der Menge an Plastikmüll, die laut des Umweltverbands NABU jährlich in den Weltmeeren landet. Bis zum Jahr 2040 wird sich die Menge mehr als verdoppeln, prognostiziert eine Studie der Non-Profit-Organisation Pew Charitable Trusts und der systemverändernden Firma Systemiq. Mit eine der bedeutendsten Ursachen dafür: die massenhafte Verbreitung von Einwegplastik. Die Folgen sind fatal: Meerestiere und Vögel verenden. Lebensräume, wie Korallenriffe, werden durch Ablagerung von Plastikmüll beeinträchtigt. Und die Artenvielfalt nachhaltig gefährdet. Um den drohenden Kollaps der Meere abzuwenden, braucht es Pioniere – Unternehmen wie Traceless.
Das im Jahr 2020 gegründete deutsche Start-up mit Sitz in Buchholz in der Nordheide, südlich von Hamburg, hat eine vollkommene Produktneuheit entwickelt. Ein Bio-Granulat, das in weiter verarbeiteter Form zur nachhaltigen Alternative für Plastik wird. Um das Produkt Traceless weiterzuverarbeiten, muss die plastikverarbeitende Industrie noch nicht einmal ihre Spritzgussmaschinen umrüsten – denn auch darauf haben die Gründerinnen geachtet. Hergestellt wird das Granulat aus Reststoffen der Getreideverarbeitung – einem natürlichen Material, das auch als Futtermittel eingesetzt wird. Die große Besonderheit: Unter natürlichen Kompostierbedingungen ist das Material zu 100 Prozent biologisch abbaubar – und das einer Rekordzeit von nur neun bis zwölf Wochen, versprechen die Gründerinnen. Wie der Name Traceless schon sagt: eine Lösung, die spurlos wieder verschwindet.
Der erste Großkunde: die Otto Group
Die Idee für Traceless kam der gebürtigen Hamburgerin Dr. Anne Lamp, Jahrgang 1991, vor rund drei Jahren während ihrer Promotionszeit an der Technischen Universität Hamburg. Parallel zu ihrer Doktorarbeit forschte die Verfahrenstechnikerin an einem weiteren Prozess: Wie sich aus Resten der Agrarindustrie ein Material herstellen lässt, das ähnliche Eigenschaften aufweist wie Plastik. Erste Produktproben entstanden. Und das erste Großunternehmen wurde aufmerksam: das Familienunternehmen Otto Group – ein international tätiges Versandhaus mit langer Tradition. „Otto war von Anfang an Feuer und Flamme, obwohl bei den ersten Produktproben noch viel Vorstellungsvermögen notwendig war, wie daraus mal eine echte Verpackung werden kann,“ so Lamp. „Das war für mich das erste Indiz dafür: Da steckt wirklich Interesse dahinter.“
Kurzerhand bewarb sich die Doktorandin mit ihrer Idee und den ersten Produktproben bei der „ActOnPlastic“-Challenge des Berliner Inkubators „Project Together“. So lernte sich auch das junge Gründerinnen-Duo kennen. Lamp: „Bei der Challenge ging es darum, 100 Ideen zusammenzubringen, um das weltweite Plastikproblem zu lösen. Meine Idee war eine davon. Jedem Ideenträger wurde ein Mentor im Bereich Business zugewiesen. Gematcht wurden dann Johanna und ich.“ Ein halbes Jahr lang trafen sich die beiden Frauen virtuell über Zoom zu Besprechungen. Und feilten daran, wie die Idee zum echten Businessmodell wird. Als Lamp dann vor zweieinhalb Jahren den Schritt wagte, zu gründen, war für sie klar: „Ich kann das nicht allein, ich brauche Johanna an meiner Seite.“ Während Anne Lamp die technische Expertise mitbringt, verantwortet die studierte Psychologin und Betriebswirtin Johanna Baare, Jahrgang 1988, den geschäftlichen Bereich. „Was uns als Gründerinnen-Team so stark macht ist, dass wir uns fachlich so gut ergänzen“, betont Baare.
Vor allem aber vereint die beiden Jungunternehmerinnen ein gemeinsames Ziel, an dem sie vehement alle ihre unternehmerischen Entscheidungen ausrichten: „Unsere Mission ist es, mit unserem Produkt einen wirklichen Impact zu generieren. Wir wollen mit Traceless so viele Kunststoffprodukte wie möglich ersetzen – vor allem solche, die irgendwann in der Umwelt landen könnten, oder technisch nicht recyclebar sind“, unterstreicht Lamp. Die Anwendungsfälle dafür sind vielfältig. Aus dem Granulat lassen sich flexible Folien, Beschichtungen und harte Kunststoffalternativen herstellen. Aber auch Verpackungen und Einwegprodukte stehen ganz oben auf der Agenda: So könnten zukünftig Plastikprodukte wie zum Beispiel Strohhalme, Eislöffel, Einweggeschirr, Obst- und Gemüseverpackungen oder Versandverpackungen durch Traceless ersetzt werden. Damit die auch klar von herkömmlichen Kunststoffprodukten unterscheidbar sind, soll jedes Endprodukt durch das eingestanzte Traceless-Logo erkennbar sein.
Vom Pilotprodukt zur Startbahn
In Kooperation mit mehreren Partnern – darunter die beiden zwei großen Konzerne Otto Group und Lufthansa AG – arbeitet das 22-köpfige Team bereits intensiv an den ersten Pilotprodukten. Noch im Jahr 2022 sollen zum Beispiel erste Versandverpackungen aus Traceless-Materialien bei Otto getestet werden. Und auch mit der größten deutschen Fluggesellschaft Lufthansa stehen schon die ersten Prototypen im Bereich Onboard-Verpackungen in den Startlöchern. Um in einem industriellen Maßstab produzieren zu können, sind aber noch weitere Schritte notwendig. Momentan wird das Granulat in kleinen Mengen auf einer ersten Pilotanlage in Buchholz produziert. „Verglichen mit den Mengen, die wir anfangs im Labor produziert haben, ist das für uns schon sehr viel: In der plastikverarbeitenden Industrie jedoch wäre das gar nichts – da müssen wir noch ganz schön skalieren“, betont Baare. „Das ist für uns die große Herausforderung, aber auch der Ansporn, so schnell wie möglich unsere Materialproduktion hochzufahren. Denn wir sehen ganz klar: Die hohe Nachfrage ist da.“ Aktuell arbeitet das Team daran, die nächstgrößere Produktionsanlage im Jahr 2024 in Betrieb zu nehmen. Um Masse zu liefern – und so auch in naher Zukunft Plastik in ganzen Produktlinien durch Naturmaterialien ersetzen zu können.
Traceless – im Ganzen nachhaltig
Wichtig war den Traceless-Gründerinnen schon von Anfang an, dass ihr Material insgesamt nachhaltig ist, ohne unerwünschte Nebeneffekte. Es soll nicht nur das Problem der Plastikverschmutzung lösen, sondern auch keine neuen Probleme fördern – wie zum Beispiel eine vermehrte Landnutzung oder einen erhöhten Energieverbrauch. Kurzum: Traceless soll einen ganzheitlich positiven Fußabdruck auf dem Planeten hinterlassen. Daher haben Dr. Anne Lamp und Johanna Baare, nach eigenen Angaben, bei der Entwicklung ihres Produkts alle Umweltbelastungsindikatoren berücksichtigt und das Material nach dem sogenannten Cradle-to-Cradle-Prinzip entwickelt. Der Grundgedanke dahinter: "Abfall ist Nahrung". Das bedeutet, dass alle Materialien in kontinuierlichen Kreisläufen gehalten und nach ihrer Verwendung wieder in Nährstoffe verwandelt werden.
Der Schlüssel für die hervorragende Kompostierbarkeit von Traceless liegt in seinen natürlichen Inhaltsstoffen: „Das Besondere an unserer Lösung ist, dass wir keine synthetischen Polymerketten herstellen. So wie das die Chemieindustrie bei herkömmlichen Kunststoffen macht und wie das auch bei Bioplastik der Fall ist. Wir nutzen Polymere, die es in der Natur schon gibt. Deshalb kann die Umwelt sie auch abbauen – und das in nur wenigen Wochen“, sagt Baare.
Damit eignet es sich für Produkte, die leicht als Abfall in der Natur landen können. Aufgrund seiner hohen Kompostierfähigkeit ist das Material allerdings weder wetter- und säurebeständig, noch hält es lange Zeit Flüssigkeiten stand – wie das etwa bei einer Orangensaftflasche erforderlich ist. Lamp ergänzt: „Bei diesen Produkten kann der Einsatz von Kunststoffen durchaus noch Sinn machen – sofern ein geschlossener, technischer Kreislauf besteht, in dem die Materialien vollständig recycelt werden können. Aber für alle Anwendungen, bei denen der Kreislauf nicht geschlossen werden kann, brauchen wir den biologischen Kreislauf – und Materialien wie Traceless.“
Das Bio-Granulat bringt auch noch einen weiteren Vorteil in Punkto Nachhaltigkeit mit: Für die Produktion von Traceless wird der Reststoff von einjährigen Pflanzen genutzt. Das Material muss also von der Ökobilanz her auch nicht wieder verwertet werden. Anders als beispielsweise bei Holz oder Papier. Hier dauert es sieben Jahre, bis der materialgebende Baum wieder gewachsen ist.
Deutscher Gründerpreis – das Finale
Der Deutsche Gründerpreis zeichnet seit 2002 Persönlichkeiten aus, die sich nicht scheuen, aus Visionen Businesspläne zu entwickeln. Und die Ideen in Unternehmen verwandeln. Neben der Traceless Materials GmbH qualifizierten sich 2022 fünf weitere Nominierte in den Kategorien „StartUp“ und „Aufsteiger“ für das große Finale und die Preisverleihung, die am 13. September in Berlin gefeiert wurde.
GEWINNER (Aufsteiger)
Piraten-Stopper Transparenz, Berechenbarkeit und Vertrauen entlang der gesamten Lieferkette – mithilfe ihrer B2B-Software schützt die Osapiens Services GmbH aus Mannheim Verbraucher und global agierende Unternehmen vor Produktfälschungen, Piraterie und Schmuggel. Dank eines speziellen Codes, eines Scanners und einer innovativen Technologieplattform können Fahnder zum Beispiel die Herkunft und den Weg eines Produktes lückenlos zurückverfolgen.
NOMINIERT (Aufsteiger)
Flinker forschen Die Hamburger Appinio GmbH stellt die Branche auf den Kopf: Statt Tage oder Wochen dauert es im Schnitt nur wenige Minuten, bis das Unternehmen eine Umfrage „draußen im Feld“, also bei den Befragten, digitalisiert durchführt und die Ergebnisse vorliegen. Mit einer völlig neuen Methodik, Social-Media-Mechanismen und einer ordentlichen Portion Entertainment gewinnt Appinio schneller bessere Daten – auch weil die Befragten mit diesem System offenbar ehrlicher antworten.
NOMINIERT (Aufsteiger)
Schneller Schotter Digitaler, schneller, transparenter: Mit ihrer App für Schüttgüter, Transporte und Entsorgung modernisiert die Schüttflix GmbH die Baubranche – und macht Schluss mit Problemen am Bau. Kies, Schotter und Sand sind ganz einfach und schnell per Handy-App bestellbar. Abladepunkte können auf einer virtuellen Karte markiert und der Lieferstatus minutengenau verfolgt werden. Zudem hilft das in Gütersloh ansässige Unternehmen Baustofflieferanten und Spediteuren, über die eigene Region hinaus zu arbeiten, Leerfahrten zu vermeiden und damit auch die Ökobilanz zu verbessern.
NOMINIERT (StartUp)
Antrieb aus dem Drucker Der Additive Drives GmbH aus Dresden ist es gelungen, die stromleitenden Komponenten aus Kupfer und Aluminium, aus denen Elektromotoren zusammengebaut werden, im 3-D-Druck herzustellen. Vorteil: Wo bei herkömmlichen Verfahren etwa nur Kupfer in Drahtform verarbeitet werden kann, ermöglicht die additive Fertigung ganz neue und effizientere geometrische Formen. Die Motoren sind deshalb am Ende so stark, dass sie bis zu 45 Prozent mehr Leistung bringen. Neben allen großen deutschen Autoherstellern gehören bereits Ford (USA) und Toyota (Japan) zum Kundenkreis.
NOMINIERT (StartUp)
KI: Intelligenter antworten Künstliche Intelligenz (KI) erreicht eine neue Dimension: Die Aleph Alpha GmbH aus Heidelberg hat ein KI-Modell entwickelt, das logische Zusammenhänge in Texten, aber auch von Bildinhalten versteht. Es erkennt nicht nur Objekte, sondern erfasst Kontext sowie Ursachen und reagiert nahezu kreativ. Die von der KI ausformulierte Antwort ist nicht nur präzise, schnell und transparent, sondern auch sprachlich auf den Menschen ausgerichtet. So können erstmalig Fragen, die in komplexen, großen Datenmengen verborgen sind, mithilfe von KI beantwortet werden.
Info
Text erstmalig erschienen im Porsche Consulting Magazin.