Disruptive Technologien. Neue Geschäftsmodelle. Digitalisierung. Und nicht zuletzt: unvorhersehbare globale Ereignisse wie Covid-19. Die Dynamik des Wandels im Wirtschaftsleben kennt keine Grenzen. Ganz klar, Transformationen sind unumgänglich, um langfristig relevant und erfolgreich zu bleiben. Entscheidend ist, ob es gelingt, alle Mitarbeitenden auf den neuen Weg zu führen, unterwegs niemanden zu verlieren, aus Betroffenen Beteiligte zu machen, sie zu aktivieren, motivieren und ihnen das Bewusstsein zu geben, wichtiger Teil des Wandels zu sein.
„Transformationen scheitern zu etwa 80 Prozent am – oft passiven – Widerstand der Mitarbeitenden. Und an mangelnder Kompetenz der Führungskräfte, den Wandel zu moderieren und voranzutreiben“, sagt Dr. Wolfgang Freibichler, Partner bei Porsche Consulting und Experte für neue Formen der erfolgreichen Zusammenarbeit. Er begleitet das Top-Management bei Transformationen. „Ein verblüffender Hauptgrund für das Scheitern oder Verzögern des Wandels ist oft ein wissenschaftlich überholtes Verständnis der Funktionsweise des menschlichen Gehirns.“ Der Change-Experte ist überzeugt, dass die Einbeziehung von Erkenntnissen aus der Verhaltensökonomie es ermöglicht, „Menschen sowohl durch instinktives als auch durch rationales Denken anzusprechen“. Freibichler und sein spezialisiertes Team haben fünf Wirkungskräfte identifiziert, mit denen der notwendige Wandel gelingt.
Der Schlüsselbegriff lautet Strategic Change Management. Zugegeben: Die dahinterliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse sind nicht alle brandneu, werden aber in der Praxis noch zu selten angewendet. Freibichler sieht den entscheidenden Unterschied zum traditionellen Veränderungsmanagement „in der Art und Weise, wie Menschen am Arbeitsplatz in solchen Sondersituationen mitgenommen werden – und vor allem wer sie mitnimmt“. Sein Rat: „Menschen im Wandel mitzunehmen ist Chefsache, ganz oben in der Unternehmensführung.“
Der Instinkt bleibt keine Nebensache
Freibichler betont, dass Führungskräfte bei ihrer Kommunikation neben der bewussten Ebene, dem Verstand, auch die unbewusste Ebene, die Instinkte, ansprechen sollten. Zudem sollte die Emotion eine übergeordnete Rolle spielen: „Es gilt, nicht nur logisch, sondern auch psychologisch zu kommunizieren und zu handeln. Menschen vergessen Fakten. Sie werden sich aber immer daran erinnern, wie sie sich in einer bestimmten Situation gefühlt haben.“ Modernes Führen erfordere viel Gefühl – echtes Mitgefühl, und zwar individuell für jeden Einzelnen.
Freibichler nennt eine Reihe von großen Unternehmen, die Strategic Change Management beispielhaft umsetzen. Die Liste reicht vom Versicherer Axa über Novartis (Pharma) und den Versandhauskonzern Otto bis zum Streamingdienst Spotify und den Autohersteller Tesla. Dessen Chef Elon Musk beispielsweise bringt sein visionäres Ziel auf den Punkt und hat eine leicht verständliche Mission für externe und interne Zielgruppen. Gleiches gilt für Amazon-Gründer Jeff Bezos. Dessen klare und kurze Botschaft lautet: „Das Leben der Kunden vereinfachen.“ Für Freibichler ist das ein Beispiel für das erste Element der Five Forces: „Alle Menschen in Unternehmen brauchen eine klare positive Vision, eine Orientierung mit Blick auf das zentrale gemeinsame Ziel. Entsprechend sollten Führungskräfte ihre Mitarbeitenden mit Enthusiasmus dafür gewinnen, den Wandel mit Leidenschaft voranzutreiben.“
Zweite Kraft für eine erfolgreiche Veränderung: die Kommunikation. „Auch die muss von der Unternehmensspitze selbst ausgehen“, betont Freibichler. „Zur Vorbildrolle von Top-Führungskräften gehört es, einen Wandel mit Glaubwürdigkeit, Empathie und auch der nötigen Autorität einzuleiten. Und das nicht nur einmal, sondern kontinuierlich während der gesamten Transformation. Die Botschaft muss emotional formuliert sowie einheitlich und über sämtliche von der Zielgruppe genutzten Kanäle kommuniziert werden. Und sie kann nicht oft genug wiederholt werden, wenn sie den Prozess des Wandels wirkungsvoll prägen soll.“
Zudem sei ein Dialog auf Augenhöhe aller Ebenen der Belegschaft notwendig. Dabei müssen, so Freibichler, beide Gehirnhälften, also Ratio und Instinkt, gleichermaßen angesprochen werden: „Chefs sollten aufstehen und immer zuerst selbst in den direkten Austausch mit ihrem Personal gehen, und zwar in allen Etagen. So lassen sich inhaltlich unbegründete Vorbehalte und Befürchtungen im individuellen Dialog entkräften. Dann weichen Ängste und Sorgen. Gleichzeitig ergeben sich auf emotionaler Ebene gute Chancen, dass sich der Enthusiasmus der Chefs auf die Belegschaft überträgt.“
Allerdings müssen den Worten dann Taten folgen. So gelte es etwa, Leitlinien und Kennzahlensysteme im Unternehmen anzupassen – das ist das dritte Instrument des Strategic Change Management. Es gehört zum notwendigen organisatorischen Rahmen, der die Voraussetzung für das Erreichen des visionären Ziels der Transformation ist. Freibichler: „Ohne die Anpassung des regulatorischen Kontexts werden sich neue positive Verhaltensmuster kaum durchsetzen können.“
Vorbilder in der Chefetage
Die vierte Kraft des Wandels ist eine moderne, auf die Realitäten der Zukunft ausgerichtete Interpretation der Arbeitsabläufe. „Bestehende Formen der Zusammenarbeit sollten zu agilen Arbeitsmethoden über Ressortgrenzen hinaus weiterentwickelt werden, um Kreativitäts- und Innovationspotenziale freizusetzen, die andernfalls innerhalb noch zu oft vorhandener Silos ungenutzt blieben“, sagt Freibichler. Stichwort: New Work. „Die Unternehmen sind aufgerufen, dafür die physischen und digitalen Arbeitsbereiche entsprechend neu zu gestalten.“
Von den Führungskräften könne man erwarten, dass sie mit gutem Beispiel vorangehen, ihre Vorbildfunktion ausfüllen, am besten durch „beobachtbares Verhalten“. Dazu gehörten auch klassische Merkmale. So sind für Freibichler die nicht selten noch vorhandenen hermetisch abgeriegelten Chefetagen „Machtsymbole von vorgestern“. Er betont: „Nur wenn sich Chefs ehrlich, transparent und wirklich zugänglich zeigen, sich auch physisch in offene Arbeitsbereiche mit verschiedensten Hierarchien eingliedern, kann der so wichtige Austausch mit allen Beteiligten gelingen.“
Der fünfte Schlüssel zum Erfolg sind die neuen, zukünftig wichtigen Fähigkeiten. Laut einer Umfrage unter den 100 größten Unternehmen in Deutschland besitzt nur jeder vierte Beschäftigte heute schon die Kompetenzen, die künftig aus unternehmerischer Sicht benötigt werden. Freibichler: „Ausgefeilte Modelle für bessere Zusammenarbeit und gute Arbeitsumgebungen allein sind wertlos, wenn die Belegschaft nicht so genau weiß, wie sie die angestrebte Umgestaltung eigentlich in die Praxis umsetzen soll.“ Deshalb müssten Unternehmen zuerst attraktive Angebote für die Aus- und Weiterbildung ihres Personals schaffen, die alle in die Lage versetzen, „sich weitgehend selbstbestimmt und individuell zu entwickeln“. Zugekaufte Trainingsangebote „von der Stange“ eigneten sich dafür nicht.
Erfolgversprechender als Schulungsprogramme von externen Dienstleistern sei beispielsweise der Aufbau oder die Weiterentwicklung guter betriebseigener Akademien. „Solche Investitionen in die Zukunft rechnen sich immer – sowohl wirtschaftlich als auch beim Image, der Identität und der Attraktivität als innovativer Arbeitgeber“, sagt Freibichler. Ihm ist zudem wichtig, dass Weiterbildung direkt und auf Dauer in den Arbeitsalltag integriert wird. „Weiterbildung darf nicht als Fremdkörper im Betriebsablauf wahrgenommen werden. Sie muss sich wie selbstverständlich in den Arbeitsalltag integrieren. Dann wird das so wichtige lebenslange Lernen am besten angenommen, wird als persönliche Bereicherung empfunden, positiv bewertet und kann so optimal wirken.“
Der Experte für den Wandel verspricht seinen Klienten aus Erfahrung: „Wenn Unternehmen die fünf Kräfte der Veränderung optimal kombinieren und dirigieren, werden sie Verhalten und Denkweise der Belegschaft mit den Transformationszielen ihrer Organisation in Einklang bringen.“
Info
Text erstmalig erschienen im Porsche Consulting Magazin.