Nach dem Regierungswechsel zur Jahreswende 2021/2022 entdeckt Deutschland das „serielle Bauen“: Pro Jahr sollen 400.000 Wohnungen entstehen, vor allem in größeren Städten – in kürzester Bauzeit montiert, mit großer Planungssicherheit, weniger Stress und ohne nennenswerten Baulärm. Doch wie? Durch Vorfertigung großer Bauteile, die vor Ort nur noch miteinander verschraubt werden.
Kann das gelingen? Schaut man nach Finnland, lautet die Antwort: ja. Denn dort steht ein innovativer und sehr ambitionierter Spezialist für die konsequente Fabrikfertigung unterschiedlichster Wohngebäude an der Startrampe. Der Spatenstich soll im Jahr 2022 erfolgen. Das Unternehmen heißt Admares, sitzt in Turku an der finnischen Südwestküste und will im Nahen Osten die modernste Gebäude-Fabrik der Welt bauen. Dort sollen ab 2024 jährlich bis zu 2.200 Villen aus Modulen nahezu schlüsselfertig produziert werden. Ein derartiges Werk gibt es weltweit noch nicht.
Begonnen hat alles als Start-up. Und von Anfang an haben die Finnen die Managementberatung Porsche Consulting eng einbebunden. Aus einem entscheidenden Grund: Ihr Unternehmen Admares soll durch und durch nach dem Vorbild des erfolgreichen Stuttgarter Sportwagenherstellers aufgestellt werden – das war Teil der Gründungsidee. Deshalb arbeitet das Beratungsteam von Porsche in allen Phasen und sämtlichen Ressorts mit – bei der Strategie, in der Industrialisierung der Produkte, bei der Logistik und in der Produktion generell. Die deutschen Industrieexperten kümmern sich gemeinsam mit dem Admares-Team um alle Kernthemen einer Unternehmensbildung. Kurz: die Entwicklung eines Start-ups zu einem großen Unternehmen.
Jetzt geht es in die Praxis: in die Entwicklung der weitgehend automatisierten Smart Factory. Und auch die ist außergewöhnlich, zumindest für die traditionelle Bauindustrie: Porsche Consulting nutzt zur Realisierung der Fabrik modernste, digitale Methoden. Ein Beispiel für diese Digitalisierung steht in Berlin: In der deutschen Hauptstadt werden im Innovation Lab von Porsche Consulting gemeinsam mit Admares Produkt und Prozess konstruiert und modelliert.
In diesem Labor wird Zukunft greifbar
Die deutsche Hauptstadt Berlin, Stralauer Allee 12. Direkt am Ufer der Spree steht das Innovation Lab von Porsche Consulting. Bei unserem Besuch arbeitet gerade eine interdisziplinär besetzte Gruppe von Fachleuten an der Planung einer Smart Factory für das finnische Bauunternehmen Admares. Auf zwei riesigen Monitoren werden die Produktionsstraßen der neuen Fabrik virtuell dargestellt. Augmented Reality und Virtual Reality helfen bei der Modellierung. Sämtliche Prozesse sind digitalisiert. So wird die Praxis von morgen schon heute greifbar: Schnell und höchst realistisch lassen sich Schwachstellen erkennen und beseitigen, Alternativen simulieren und Resultate sicher kalkulieren.
Der Workshop mit Admares-Geschäftsführer Mikael Hedberg ist eine von mehr als 70 jeweils ein- bis dreitägigen Veranstaltungen, die seit der Eröffnung des Kompetenzzentrums im März 2020 erfolgreich abgeschlossen wurden. Die komplette Laborarbeit kann bei Bedarf auch „remote“ organisiert werden. Das ermöglicht die Kollaboration aller Teilnehmer dezentral aus dem Homeoffice heraus. „Unser Innovation Lab arbeitet nicht isoliert, es ist vollständig integriert in die Projektarbeit mit unseren Klienten“, sagt Lab-Manager Benjamin Bartoli. „Wir verstehen uns als Beschleuniger. Unterstützt durch leistungsstarke Technologie können wir den Kundenbedarf schneller identifizieren und verkürzen die Zeit bis zur Umsetzung. Die Grobplanung einer Fabrik zum Beispiel lässt sich in zwei Tagen validieren.“ Das setzt allerdings fachlich und inhaltlich eine intensive Vorbereitung der sehr individuell gestalteten Workshops voraus.
Zum typischen Vorgehen im Labor gehören drei Grundelemente: technische Machbarkeit, Geschäftsrelevanz und Kundenzentrierung. Kombiniert werden im Innovation Lab die Erfahrungen der Berater, die Technologie-Expertise und die Methodik aus dem Service-Design. Für den Workshop mit Admares zogen die Consultants weitere Spezialisten aus anderen Tochtergesellschaften des Porsche-Konzerns hinzu: IT-Fachleute von MHP und Experten von Porsche Engineering.
Ablauf und Methoden der sogenannten Design-Sprints werden individuell gewählt. Neben schnellen Iterationen und greifbaren Prototypen gehören zur Charakteristik ausgefeilte Designmethoden. Die Klienten reagieren positiv. Dr. Matthias Schubert vom TÜV Rheinland beurteilte das Ergebnis der neuen Form der Zusammenarbeit für sein Unternehmen kürzlich so: „Unterm Strich waren wir in der Hälfte der Zeit doppelt so produktiv wie sonst.“ Und Admares-Chef Hedberg resümierte zum Schluss: „Ich kann mir keinen anderen Weg als diesen vorstellen, eine neue Fabrik zu planen.“
Wandel in der Bauindustrie
Doch zunächst ein Blick zurück: Anfang 2018 begann das Management von Admares konkret über einen grundlegenden Wandel der Bauwirtschaft nachzudenken. Lassen sich Gebäude nicht effizienter in modularer Bauweise herstellen? Führt Standardisierung nicht zu besseren Produkten, zudem schneller und günstiger? Ist gleichzeitig eine Individualisierung der Gebäude möglich – ganz nach Anspruch und Bedarf der Kunden? Können wir Hotels, Wohn- und Krankenhäuser wie Autos bauen? „Unsere Erkenntnis war, dass für eine Industrialisierung der Fertigung von Gebäuden eine neue Produktionswelt gebraucht wird“, sagt Admares-Geschäftsführer Mikael Hedberg. „Wir benötigen andere Fabriken.“ Die Finnen kontaktierten Porsche Consulting. Hedberg: „Wer kann uns besser helfen als Porsche mit seiner langjährigen Erfahrung in der Produktion hochwertiger Sportwagen, die weltweit als Spitzenmarke gelten?“ Sofort war für Matthias Möhrke, Associate Partner bei Porsche Consulting, klar: „Wir helfen, diese brillante Idee Realität werden zu lassen.“
Gemeinsam arbeitete man sich Stück für Stück vor, entwickelte digital die Vision der Fabrik der Zukunft. Kein Modell aus Pappe, kein Prototyp aus Metall. Um die Entwicklungszeit minimal zu halten setzt man voll auf virtuelles Arbeitsmaterial: Daten, Bilder, Animationen – alles digital. „Jetzt gehen wir in die Vollen“, sagt Mikael Hedberg. „Wir simulieren nun die Realität, überprüfen und hinterfragen die einzelnen Funktionen im Produktionsprozess.“ Dazu gehört zum Beispiel, zu schauen, wie die Prozessabläufe der Equipments sind, ob Wartungskanäle frei zugänglich sind und alle Fenster an den richtigen Stellen geplant sind.
Der größte Unterschied zur Fertigungsweise anderer Bauunternehmen? Hedberg: „Bis zu 100 Prozent der Wertschöpfung entsteht in unserer Fabrik. Dadurch erzielen wir höchste Effizienz. Die Produktion der vollständigen Häuser in der Fabrik bedeutet: Wir stellen fertige Produkte her, statt die Projekte erst auf der Baustelle auszuführen.“ Die Herstellung der Gebäudeeinheiten wird in kleine Schritte zerlegt und alle handwerklichen Leistungen werden im Vorfeld vollständig geplant. Die Module werden fertig ausgebaut und enthalten sämtliche Versorgungsleitungen, beispielsweise für Wasser und Strom. Damit in der Fertigung alles fehlerfrei klappt, muss Admares das gesamte Orchester an Zulieferern integrieren. Größere Lieferketten außerhalb der Fabrik darf und wird es nicht geben. Vor Ort, auf dem Baugrundstück für das jeweils neue Gebäude, werden dann nur noch letzte Arbeitsschritte ausgeführt, etwa die so genannten Plug- &-Play-Verbindungen von Raummodulen und Gebäudekernelementen. Oder der Anschluss der fertig montierten Versorgungsleitungen an die öffentlichen Netze. Möhrke: „Admares wird die Construction Industry revolutionieren wie einst Henry Ford mit der Fließbandfertigung den Automobilbau.“
Ein „Schock“ für die Branche
Die Vorteile dieser Fertigungsweise für den Bauherren als Auftraggeber liegen auf der Hand. Wenn alles klappt, verkürzt sich die Gesamtbauzeit für ein Gebäude auf ein Minimum. Ein Hotel etwa soll nach sechs Wochen Montage bezugsfertig an den Betreiber übergeben werden. Und die Baukosten für ein Gebäude sinken dank gesteigerter Effizienz um durchschnittlich etwa 30 Prozent. Mikael Hedberg erwartet, dass sein Unternehmen als Modularbau-Produzent mit industriellem Zuschnitt für viel Aufmerksamkeit in der Hochbaubranche sorgen wird: „Das könnte bei manchem Wettbewerber einen Schock auslösen“, vermutet der Finne.
Admares will Zeichen setzen und hat ehrgeizige Ziele. „In den nächsten fünf Jahren werden wir kräftig wachsen“, gibt CEO Hedberg die Richtung vor. Dazu gehöre die Eröffnung weiterer Standorte. Der ersten Fabrik in Middle East, die eine Blaupause für weitere Werke darstellen wird, soll der Sprung auf den nordamerikanischen Markt folgen. Auch Europa haben die Finnen im Auge. Deshalb verfolgen Admares und Porsche Consulting bei der Fabrikentwicklung einen skalierbaren Ansatz. Das Ziel ist, je nach Anforderung und Region die Wertschöpfungsprozesse in der Fabrik zu optimieren.
Info
Text erstmalig erschienen im Porsche Consulting Magazin.