Was für ein Gelb! Hellgelb, Porsche-Farbcode B6B6/117. Eine Lackfarbe wie der Sommer. Aufgetragen auf einen Porsche 911 S in der US-Version, Baujahr 1974. Angetrieben von einem 175 PS starken 2,7-Liter-Sechszylinder. 225 km/h schnell. Rein theoretisch. Denn die Geschichte dieses 911 S ist eine andere. Noch während der Produktion wurde er „ausgesteuert“; statt von Stuttgart-Zuffenhausen Richtung Fährhafen Emden und dann nach New York, schickten sie ihn nach Weissach ins Entwicklungszentrum – jetzt ohne Motor, ohne Getriebe, ohne Motoröltank, ohne Kraftstoffpumpe. Der Sportwagen wurde so zum Erprobungsfahrzeug. Er ist der wahrscheinlich erste 912 E-Prototyp, der auch fuhr. Ein Wagen, der ein weißes Blatt Porsche-Historie mit Farbe füllt und eine Lücke in der 912-Geschichte schließt.
Norddeutschland, irgendwo an der Weser, ein erster warmer Maitag nach viel Regen und rotzigen Temperaturen. Jan Adams steht neben seinem 912 E und erzählt die Story dieses Autos, die jetzt auch ein Teil seiner Geschichte geworden ist. Adams ist eine Art Sommelier für ausgesuchte automobile Kostbarkeiten. Ein leidenschaftlicher Experte, der die Technik der Autos ebenso gut kennt wie ihre Geschichte. Er restauriert, repariert, vermittelt, kauft, verkauft, sammelt. Spezialisiert auf klassische Porsche und Volkswagen, macht er sich aber auch schon mal für Kunden auf die Suche nach einem Lancia Delta Integrale oder anderen Exoten.
Wenige Wochen vor diesem sonnenreichen Maitag führte ihn sein Weg nach Hamburg ins Automuseum Prototyp. Dort sah er ihn, den 912 E in Hellgelb. Seit 2005 stand er in der Speicherstadt. Klar war, dass im Heck ein 90-PS-Flachboxer von Volkswagen mit vier Zylindern steckte. Ein VW Bulli-, VW Typ-4- und VW-Porsche 914-Motor. Jan musste den 912 E kaufen. Wollte hören, wie er klingt, wollte spüren, wie er fährt. Oliver Schmidt und Thomas König, die Geschäftsführer des Automuseums, schlugen ein. Und so stehen wir hier im Mai und steigen ein. Starten den Motor und entfesseln die Kraft der Geschichte, die manchmal nur 137 Nm entwickelt und doch sehr stark sein kann. In aller Reduziertheit ist dieser 912 E ein Sportwagen der reinen Lehre. Ein Wagen, dem seine Einzigartigkeit eine Seele einhaucht.
356-Gefühl im 911
Der Flachboxer klingt natürlich nach Volkswagen, hat aber einen sonoren, sprotzelnden Sound wie ein gut gemachter T2-Bulli oder ein frecher 914. Die 1.957 cm³ Hubraum entfesseln keine Urgewalten, doch harmoniert die Leistungsentfaltung überraschend gut, ja sogar faszinierend gut mit dem verbauten Fünfganggetriebe. Bei 4.900/min kreischt der Boxer und schickt seine höchste Leistung an die Hinterachse. Doch so hoch muss er heute nicht mehr gedreht werden. Wie viele alte Sportwagen fühlt er sich am besten beim Cruisen an. Als Fahrer vergisst du dann die Leistung im Heck. Eigentlich ist es – obwohl in diesem Fall natürlich kein 356-Vierzylinder – immer noch ein 356-Gefühl im 911. So wie bei der ersten Serie des 912 (1965 bis 1969). Doch diesmal eben in einem G-Modell.
Die Amerikaner liebten beide Versionen des 912, auch wenn der 912 E (Typ 923) aus modellpolitischen Gründen nur ein Jahr – 1976 – angeboten wurde. Ja, der Wagen gehört mit dieser Farbe eigentlich nach San Francisco. Es wäre ein Traum, unten von Fisherman’s Wharf entlang am Golden Gate Yacht Club raus auf die Brücke und dann Richtung Sausalito, hoch bis nach Bolinas zu fahren. Dafür wurde dieser Porsche gebaut. Für USA-Geschwindigkeiten und den heute immer noch existierenden American Way of Drive. Bis es so weit war, dass vor 45 Jahren das erste von nur 2.099 Exemplaren des 912 E in die USA geschickt wurde, musste der hellgelbe Erprobungswagen ran. Dessen Vorgeschichte beginnt wahrscheinlich schon 1971. Damals entstand der Plan, einen neuen 912 zu entwickeln und ihn international und damit auch in Europa anzubieten. Verbürgt ist, dass ab 1972 die Wirtschaftlichkeit und die Entwicklung des 912 Porsche-intern diskutiert wurden.
Natürlich noch auf der Basis des 911 F-Programms, des Vorgängers des G-Modells. Über das Prototypstadium kam die Entwicklung aber nicht hinaus. Zunächst war insbesondere die US-Händlerschaft nicht an dem Wagen interessiert, da der 914 als Einstiegsmodell erfolgreich war und nicht im Wettbewerb mit dem 911 stand. Ein günstiger 912 hätte dem teuren 911 wohl in der Tat einige Kunden abgejagt. 1974 fiel dann die Entscheidung, den 912 E doch in die USA zu bringen, den weltweiten Einsatz aber abzublasen. Der 912 E – nun auf der Basis des 911 G-Modells – sollte aus folgendem Grund nach Amerika exportiert werden: Der VW-Porsche 914 würde im Jahr 1976 auslaufen, der nachfolgende Porsche 924 aber im selben Jahr – anders als in Europa – in den USA noch nicht zur Verfügung stehen.
An dieser Stelle kam der hellgelbe 912 E-Prototyp ins Spiel. Er spulte auf der Straße und auf den Prüfständen 95.471 Kilometer herunter. Den Motor hatte Porsche nicht nur mit einer Bosch L-Jetronic aufgerüstet, sondern zusätzlich auch mit einer Sekundärlufteinblasung und Thermoreaktoren (Reduktion der CO- und HC-Emissionen) und einer Abgasrückführung (weniger NOx) ausgestattet und so auf das Einhalten der US-Abgasnormen getrimmt. Fakt ist, dass Porsche am 30. Juli 1975 ein „Certificate of Conformity With the Clean Air Act“ des Staates Kalifornien erhielt – die Bestätigung, dass der 912 E die gesetzlichen vorgeschriebenen Emissionsgrenzwerte erfüllt.
Ein Jahr später wurde der 912 E-Prototyp ausgemustert. Er erhielt einen Austauschmotor und wurde durch Vermittlung des damaligen Porsche-Entwicklungschefs Helmuth Bott an einen privaten Käufer aus Leonberg veräußert. In dessen Familie blieb der Wagen 29 Jahre, bis er an das Automuseum Prototyp verkauft wurde.
Info
Text erstmalig erschienen im Magazin Porsche Klassik 20.
Autor: Thomas Fuths
Fotograf: Andreas Lindlahr
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