Es ist dieses Grollen, wenn gleich vier Typen des 917 die Zielgerade entlangstürmen. Der Sound geht durch die Gehörgänge. Es sind diese Formen – wellenförmig beim Ur-Typ, hinten kantiger beim 917/30, luftig beim Spyder. Es sind die Rennfahrer, die diese Ikonen steuern und steuerten: zum Beispiel Derek Bell, Vic Elford, Richard Attwood. Und es sind die 30.000 fachkundigen Zuschauer, die dem Jubilar Porsche 917 huldigen: zum Beispiel dem aufwendig restaurierten 917-001 und dem ebenfalls wiederaufgebauten 917/30-001. Denn es ist das 77. Members Meeting in Goodwood. Pures Klassiker-Racing ohne viel Rummel. Mit den schönsten, wildesten und seltensten Autos der Welt.

Alexander Klein, Leiter des Fahrzeugmanagements im Porsche Museum, kennt die Gründe, warum der 917 schon zu seiner Zeit ein automobiler Held ist: „Die Kraft hatte sich beim 917 im Vergleich zum Vorgänger 908 fast verdoppelt und benötigte starke aerodynamische Hilfestellung, um die Kraft auf den Boden zu bringen. Trotzdem hat das Auto seinen Job perfekt erledigt. Für die Biturbo-Spyder gilt das gleiche. Der 917 ist der Hauptprotagonist in einer ikonischen Ära des Motorsports.“

Der 917-001 ist das erste von 25 Homologations-Exemplaren, die im April 1969 fertig sind und von einem Team um Helmuth Bott, Hans Mezger, Ferdinand Piëch und Peter Falk entwickelt wurden. Die Nummer 001 verdankt genau zwei Umständen ihre heutige Existenz: Erstens war sie immer im Besitz von Porsche und zweitens musste der Viereinhalb-Liter-Wagen mit seinen 580 PS aus einem V12 nie am Renngeschehen teilnehmen. Nach seinem Einsatz als Test- und Präsentationsfahrzeug, wurde das Auto auf ein kurzes Heck umgebaut und umlackiert, um so auszusehen wie der Le-Mans-Siegerwagen 1970 von Richard Attwood und Hans Herrmann. Dazu gehörten auch Änderungen am Auspuff und an der Front. Vor einem Jahr entschloss sich das Porsche Museum zum Rückbau in den Originalzustand, damit er jetzt erstmals seit langer Zeit seine ganze Dynamik wieder auf Asphalt entfalten kann. Es wurden sogar aufwendig die beiden beweglichen Heckklappen links und rechts am großen Flügel neu gebaut: Sie sind jeweils mechanisch mit dem Radträger ihrer Seite gekoppelt. Somit arbeiten sie sowohl beim Beschleunigen und Bremsen als aerodynamische Hilfe als auch bei Kurvenfahrten, da sie unabhängig voneinander sind. Das gefiel übrigens den Le-Mans-Machern nicht, schon bald verboten sie solche Abtriebshilfen.

1971 siegte Porsche ein zweites Mal in Le Mans – diesmal durchaus besser vorbereitet als beim ersten Mal.  Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 222,3 km/h und einer zurückgelegten Distanz von 5.335 Kilometern stellen die Fahrer Gijs van Lennep und Helmut Marko zwei Rekorde auf, die 39 Jahre lang bestehen werden. Ihr Porsche in den Farben von Martini Racing verfügt über die neuen „Haifischflossen“ auf dem Heck, wie sie erstmals beim Vortraining im April gesehen wurden. Sie verleihen dem 600 PS starken Rennwagen Richtungsstabilität und senken den Luftwiderstand. Ganz in Porsche-Manier gewinnt der schnellste Rennwagen in Le Mans den „Index of Performance“, eine Auszeichnung für das sparsamste Verhältnis von Kraftstoffkonsum zu Hubraum. Was aber nicht einmal die Fahrer wissen: Ihr 917 ist der erste in einem Rennen eingesetzte Porsche mit einem Gitterrohrrahmen aus Magnesium. Das Material ist weitaus leichter als Aluminium. Dieser 917 ist dadurch so leicht, dass die Techniker einen 55 Liter fassenden Motoröltank für die Gewichtsverteilung günstig einbauen können, um das geforderte Fahrzeuggewicht von 800 Kilogramm zu erreichen. Das Fahrzeug erlebt eine kurze und steile Rennkarriere. Am 5. Juni fertiggestellt, legt der Rennwagen im Training von Le Mans 552 Kilometer zurück und beendet mit dem Sieg die aktive Rennkarriere.

Und dann wartet der wohl stärkste 917-Rennwagen auf seinen Einsatz, der -917/30 Spyder (Sunoco). Sein 5,4-Liter-V12-Biturbo gibt 1200 PS auf die Hinterachse ab, und das bei einem Gewicht von nur 850 Kilo. Seine Höchstgeschwindigkeit beträgt 375 km/h, aber das tut das Museum weder dem Auto noch dem Fahrer an. In Goodwood ist die Gerade auch etwas zu kurz dafür.  Überhaupt „Turbo“: Porsche war der einzige Hersteller, der den Lader in die Can-Am-Serie trug, und zwar 1972 im 917/10. Ein Jahr später war der 917/30 immer noch das einzige Modell mit Turbolader. Mark Donohue gewann damit alle acht Rennen überlegen. 1975 stellt er im 1230 PS starken Schwesterauto einen Temporekord für die Renn-Rundstrecke auf: 355,848 km/h auf dem Talladega Superspeedway.

Romain Dumas steuert den Vaillant-917 – der erste 917/30 mit der Chassisnummer 001, gebaut als Versuchswagen für die CanAm-Serie. Der Gitterrohrrahmen ist bei diesem Renner in Sachen Radstand ausnahmsweise variabel. Tests sprachen letztlich für einen um 184 Millimeter verlängerten Radstand, was jetzt 2,5 Meter bedeutete. Vic Elford fuhr den 1.000 PS starken Wagen dank Fünfliter-V12-Biturbo gleich bei dessen erstem Einsatz auf Platz 1 bei der Interserie in Hockenheim. 1974 wurde der 800 Kilo leichte Renner voll eingesetzt und degradierte die Konkurrenz in fünf von sechs Läufen. Jetzt ist der 360-km/h-Wagen voll restauriert, in den Rennfarben seines letzten Rennens in Hockenheim 1975.

Porsche hat ausschließlich Le-Mans-Fahrer nach Goodwood mitgebracht. Klar, dass auch Derek Bell hier ist. Seine große Le Mans-Karriere begann erst 1981, aber 1970 fuhr er – zusammen mit Jo Siffert – im Porsche 917 LH in Le Mans. Und das, obwohl er und Siffert 1971 ausfielen. Er lacht übers ganze Gesicht, wenn er über den 917 spricht: „Es ist das Auto meines Lebens“, sagt er. „Ich passte erstaunlich gut in das Auto, obwohl ich recht groß bin. Ich kam von der Formel 1, bis 1970 fuhr ich nie in einem solchen Sportwagen.“ 1971 saß er dann im weiterentwickelten 917: „Ein Jahr zuvor pilotierte ich dort einen Ferrari 512 S. Der war zum Beispiel beim Einlenken längst nicht so präzise wie der Porsche.“ Hat er je über Sicherheit nachgedacht? Zum Beispiel daran, dass die Füße und Beine sich fast völlig ungeschützt an der Fahrzeugfront befanden? „Nein, denn damals waren alle Autos so gebaut. Es gab keine Alternativen. Und bei einem Unfall wäre noch viel Schlimmeres passiert.“ Allerdings hatte er nie einen Unfall im 917. Bell absolvierte elf Rennen in fünf verschiedenen 917 und gewann Monthlery und Buenos Aires, beides im Jahr 1971.

Richard Attwood, der 1969 zusammen mit Vic Elford mit dem Ur-917 und der Karosserienummer 008 erstmals in Le Mans fuhr, hat den Wagen differenziert erlebt: „Ich hatte Kopfschmerzen bis zur Blindheit, war taub vom Lärm und der Nacken tat auch weh. Der Wagen reagierte instabil und nervös. Es war purer Stress. Ich wollte danach nie wieder so ein Auto fahren.“ Er setzte sich doch wieder in einen 917 – und zwar beim Le Mans-Rennen 1970. „Es war das schlimmste Regenrennen, das ich je absolvierte,“ erinnert sich der Brite. „Und eigentlich war der 917 KH nicht konkurrenzfähig. Wir hatten nur die Kurzheckversion, außerdem den schwächeren 4,5-Liter-V12 und ein Viergang- statt wie im Jahr zuvor ein Fünfganggetriebe. Aber den ersten Gang durften wir nicht benutzen, um die fragile Konstruktion zu schonen. Auf der Geraden waren wir rund 35 km/h langsamer, in den Kurven drei Sekunden.“ Und dann fielen alle Autos vor ihm und Hans Herrmann aus – der erste Le-Mans-Sieg für Porsche war perfekt. Insgesamt ist Attwood fünf verschiedene 917 in neun Rennen gefahren, wobei auch noch ein erster Platz in Kyalami heraussprang.

Klar, dass „Quick Vic“ sich gerne an den 917 erinnert. Er fuhr damit schon 1969 in Le Mans mit Richard Attwood. Elford erinnert sich sehr gerne an die frühe Langheckversion: „Das war schon ein ‚nasty biest‘, denn der Motor war sehr schwer. Das Getriebe war hinter der Maschine angepflanzt. Durch Verwindung wurde das Schalten im Laufe des Rennens immer problematischer. In der Mulhouse mussten wir dann mit Getriebeschaden aufgeben.“ 1973 fuhr er zum letzten Mal einen 917: „Wir haben uns einen 917/30 vom Werk für den Interserienlauf in Hockenheim ausgeliehen. Ich war vorher noch nie in einem Turbo-Rennwagen unterwegs, deshalb musste ich in Weissach bei Tests zeigen, dass ich so etwas auch fahren kann. Da habe ich gleich den Rundenrekord geknackt und dann auch noch Rennen gewonnen. Ich liebte das Auto eben.“ Elford pilotierte sechs verschiedenen 917 in 16 Rennen von 1969 bis 1971. Der größte Erfolg war ein 1. Platz in Sebring. Bei sechs Einsätzen in Le Mans konnte er allerdings nie siegen.

Kein Zweifel: Le-Mans-Sieger Neel Jani fühlt sich im Porsche 919 Hybrid wesentlich wohler als in einem für ihn so ungewohnten 917 – alleine schon, weil er einen Rennwagen noch nie mit H-Schaltung gefahren ist. „Trotzdem ist das Auto fast bequem,“ sagt der Schweizer mit indischen Wurzeln. „Nur die Sitzposition ist katastrophal. Man muss fast drin liegen. Der verlängerte Rücken hängt in der Luft. Rückt man näher ans Lenkrad, ist das Bein im Weg.“ Er ist jedoch begeistert von der Soundfrequenz des Gulf-917, auch wenn er grundsätzlich mit Ohrstöpseln fährt. Das Auto am Limit zu pilotieren will er aber gar nicht erleben: „Das kann ich im 919 Hybrid. Aber ich würde mir nie anmaßen, den 917 zu fahren wie die alten Recken. Außerdem würde es mir bei dem Auto keinen Spaß machen – weil ich es nicht kann.“ Ehrliche Worte.

Der Vaillant-Pilot, „Mr. 10.000 PS“ Romain Dumas, ist kein 917-Novize. Er steuerte bei den Le Mans Classic bereits einen frühen 917 LH. Allerdings mit gemischten Gefühlen: „Das Auto kann Einem wirklich Angst machen: Der Motor ist so unglaublich kraftvoll, und Sicherheit gibt es so gut wie nicht.“ Dumas bevorzugt außerdem eher die offenen Versionen: „Da kann man erstens schneller rausspringen, wenn man muss. Und zweitens stößt der Helm nicht immer an den Dachholm.“ In Goodwood allerdings musste er keine Sorge haben – er durfte ein paar nicht ganz so schnelle Demorunden fahren.

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