Rennfahrer können gut trainierte PR-Plauderer sein, auch fachlich versierte Kommentatoren. Doch sie glänzen nur selten als humorvolle Geschichtenerzähler. Einer dieser wenigen ist Willi Kauhsen. Der heute 79-Jährige steckt voller Anekdoten aus einer Zeit, als Sex noch sicher und Racing lebensgefährlich war. Zuweilen hat der gebürtige Aachener mit seinen Histörchen – gefärbt vom „Öcher Platt” – ganze Partygesellschaften in Heiterkeit tauchen können. Kauhsen hat nicht nur einen Sinn für Pointen, sondern er kann sich auch selbst auf die Schippe nehmen. Kurz: Dieser ehemalige Porsche-Werksfahrer ist aus einem Holz geschnitzt, das heute nicht mehr wächst.
Hier gleich mal eine Geschichte, die typisch für Kauhsen ist. Ebenso für seine Ironie und seine Eigenkritik. Kauhsen testete zwischen 1969 und 1973 ständig Porsche-Rennmodelle, darunter natürlich auch die 917 Spyder, die über 1.100 PS leisteten und später mit Mark Donohue die amerikanische CanAm-Serie beherrschten. Originalton Kauhsen: „Der Donohue wurde erstmals bei Porsche erwartet. Ich holte ihn vom Flughafen Stuttgart ab und sagte: ›Du bist ja 20 Stunden auf den Beinen. Du willst sicher erst mal ins Hotel.‹ Da sieht der mich ganz schief an und sagt: ›No. Ich will fahren. Gleich.‹ Wir also raus nach Weissach. Der Mark zieht sich die Rennschuhe an, Helm auf – nicht mal ’nen Overall hatte der an! Und – was soll ich sagen: Nach ein paar Runden stellte der meinen Rekord ein! Hunderte Runden hatte ich da gedreht und dachte: ›Hier ist keiner schneller!‹ Da hab ich zu den Porsche-Leuten gesagt: ›Wenn das so ist, dann gebe ich die Rennerei auf.‹” Nun, er tat es dann doch nicht.
Aber wir wollen Willi Kauhsen ja hier keinesfalls als Büttenredner skizzieren, sondern als Rennfahrer, Testfahrer, Teamchef. Der Journalist Rainer Braun hat ihn mal „Mister 1.000 PS” genannt. Das trifft den Kern; denn mit Geräten dieser Power-Liga polierte Willi Kauhsen einst in der Interserie und auch in der CanAm-Serie seinen Namen. Und dieser ist eng verbunden mit einem der extremsten Rennwagen des 20. Jahrhunderts: mit dem Porsche 917. Der ist „das” Auto seines Lebens. Und dazu passt, dass Kauhsen gerade einen dieser legendären 917-Typen aufgebaut hat. Das „ready to race”-Machen hat sechs Jahre gedauert. Und Anfang Juli rollt dieser Kraftprotz nun bei „Le Mans Classic”.
Ralf Kelleners hat diesen ehrwürdigen Rennboliden, den man dem Jahr 1969 zuschreiben muss, ausführlichen Testfahrten in Valencia und Barcelona unterzogen. Resümee: Auto läuft top. Damit existiert nun – zumindest von der Fahrgestellnummer her (005) – ein 917, der allerdings eine ziemlich schauerliche Historie hat. Denn „005” war jener Porsche, in dem der Brite John Woolfe 1969 beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans tödlich verunglückt ist.
Eine Tragödie
Die damalige Tragik lag darin, dass John Woolfe in der ersten Runde gegen die Leitplanken knallte. Der 917 überschlug sich, geriet in Brand. Woolfe war sofort tot. Er war nicht angeschnallt gewesen! Und diese Tatsache führte dazu, dass ab 1970 der sogenannte „Le-Mans-Start” (der Sprint von der gegenüberliegenden Straßenseite zum Auto) nicht mehr praktiziert wurde. Zu viele Fahrer fuhren unangeschnallt los, um in der Startphase nicht zu viel Zeit zu verlieren. Bodenloser Leichtsinn, aber auch mangelndes Sicherheitsbewusstsein von Sportbehörden. Kein Wunder, dass Rennen der 60er- bis 80er-Jahre ein Spiel auf Leben und Tod waren. In allen Kategorien des Motorsports.
Wie war die Porsche-Situation Ende der 60er-Jahre? Ferdinand Piëch, damals in Stuttgart der Befehlshaber einer furchterregenden Porsche-Armada, hatte alles darangesetzt, um aus der Marke der Klassensieger eine Marke der Gesamtsieger zu machen. Gegen Ferrari, Ford, Alfa Romeo, General Motors. Das Ziel war klar fixiert: die Marken-Weltmeisterschaft (das glückte 1969). Aber vor allem sollte „der” Klassiker gewonnen werden, die 24 Stunden von Le Mans. Das gelang erst 1970, und zwar mit einem Doppelsieg durch Herrmann/Attwood und Kauhsen/Larrousse. Aber 1969, im Jahr der Woolfe-Tragödie, fielen die zwei Werks-917 noch aus, wenn vorn liegend.
Der Porsche 917, von Ferdinand Piëch konzipiert („das größte Risiko meines Lebens”), muss als ein „Jahrhundertauto” gelten. Zunächst fuhren die Renn-Coupés mit 4,5-Liter-Zwölfzylindermotoren und über 600 PS alles in Grund und Boden und errangen 1970 und 1971 die WM-Titel. Daraufhin änderte die FIA das Reglement. Der 917 konnte nicht mehr mitspielen. Doch Porsche entwickelte den 917 weiter. Und zwar als Spyder mit bis zu 1.100 PS starken Turbomotoren. Auch gegen diese Geräte hatte die Konkurrenz keine Chancen. Weder in der europäischen Interserie noch in der nordamerikanischen CanAm-Serie.
Heute sind die „917er” (ob als Coupés oder Spyder) Raritäten, für die Sammler Millionen Dollar hinblättern. Willi Kauhsen, der in diesen 917-Donnerbolzen 1970 bis 1974 selbst zu den Matadoren gehörte, besaß aus seiner aktiven Zeit noch den Ex-Jo-Siffert-917-Spyder. Auch diesen Superrenner hatte er schon einmal restauriert und im Jahr 2000 in Pebble Beach versteigern lassen. Nun hat er also den zweiten 917 seines Lebens fertig.
Wie es dazu kam?
Kauhsen: „Ich hatte Ende der 1980er-Jahre, als Dr. Ulrich Bez bei Porsche Entwicklungsvorstand war und die Gruppe-C-Ära endete, zwei verunfallte Rothmans-956er vom Werk gekauft. Und Berge von Ersatzteilen, die in Zuffenhausen lagerten. Darunter waren auch viele Teile für den Porsche 917.” Das war eine Top-Basis zum Aufbau eines neuen 917ers. Das Typenschild mit der Fahrgestellnummer „005” erwarb Kauhsen von der Familie Woolfe in England. Wie auch immer: Einen Hauch von Authentizität besitzt der nun fertiggestellte 917 ohne Zweifel.
Kauhsen selbst startete seine Karriere in einem Abarth 1000 TC Corsa, mit dem er 1967 den Europapokal gewann. Dann begann die Porsche-Epoche. 1968 war er (zusammen mit Glemser und Linge) Sieger im Marathon de la Route, den 84 Stunden auf dem Nürburgring, in einem Werks-Porsche 911. Im gleichen Jahr gewann er mit Helmut Kelleners auch noch die 24 Stunden von Spa (ebenfals in einem 911). 1969 saß Kauhsen im Porsche 908, zum Teil im Cockpit von Werkswagen. Die waren ja damals mit Topstars besetzt. Mit Vollgasprofis wie Siffert, Rodríguez, Bell, Elford, Stommelen, Hermann, Ahrens, Mitter, Attwood. An deren Zeiten biss sich Willi Kauhsen damals zwar öfter die Zähne aus, aber gleichzeitig bestach er durch andere Qualitäten: Er warf keine Autos raus, und er erwies sich als ausdauernder Testfahrer, der Aussagen machen konnte, die dem Technikstab nützten.
Kauhsen in dem bunt bemalten Hippie-917 (Zweiter in Le Mans), Kauhsen im knallgelben Bosch-917-Spyder immer ganz vorn dabei und oft siegreich – so ist er den Fans noch heute im Bewusstsein. Aber 1974, gerade mal 35 Jahre alt, machte er mit der Rennerei Schluss. Er wurde Chef des „Willi Kauhsen Racing Teams” (WKRT). Und schon der Auftakt verlief grandios. Kauhsen durfte für Alfa Romeo die Werkswagen von Tipo 33 einsetzen. Mit Fahrern wie Ickx, Bell, Stommelen, Merzario und wie sie alle hießen. WKRT gewann sieben von acht WM-Läufen. Was für ein Auftakt als Rennmanager.
Doch so blieb es nicht. Den Aachener lockten die Formel 2 und die Formel 1. Sogar an eine Eigenkonstruktion für die Grand-Prix-Rennen wagte er sich. Doch kurz gesagt: Die Sache ging schief. Willi Kauhsen widmete sich danach dem Aufbau historischer Rennwagen. Das war „sein Ding” und ist es bis heute; denn sein Fachwissen aus der Porsche-Ära ist unübertroffen. Kein Wunder, dass in seiner Garage Juwele stehen. Neben dem 917 sind das etwa der berühmte 907-Langheck-Porsche von 1967, ein Porsche Carrera RSR von 1974, ein Porsche 934 Turbo.
Willi Kauhsen lernte im Auf und Ab seines bunten Autolebens alle Asse aus dem Rennzirkus noch persönlich kennen. Die Reihe ist lang. Sehr lang. Egal ob Emerson Fittipaldi (den er auf dem Nürburgring mal in einem seiner Porsche 917 einsetzte), ob Ickx, Mass, Stuck, Andretti oder sonst wer. Mit vielen war er befreundet – wie etwa mit Rolf Stommelen. „Der war extrem fit und hat mich animiert, nach dem Cooper-Test der Astronauten zu trainieren. Das war ja auch nötig. Bei einer Rakete wie dem 917. Da traten ja Belastungen von 4 oder 5 g auf.” Die Schnellsten im 917? Kauhsen: „Jo Siffert und Pedro Rodríguez. Das waren Giganten, aber sie bezahlten auch mit ihrem Leben dafür. “ Wen er noch bewunderte? „Klar. Ferdinand Piëch. Was er im Porsche-Rennsport angeschoben hat, ist einmalig. Und auch sonst ist er sehr speziell.” Wieso? Kauhsen: „Nun ja, wortkarg.” Und wieder kommt eine Kauhsen-Anekdote. „Ich war mal bei ihm zu Hause. Er zeigte mir den Swimmingpool und sagte: ›Wenn Sie das nächste Mal kommen, bringen Sie ’ne Badehose mit.‹ Habe ich gemacht. Und dann sind wir – er und ich – wohl eine halbe Stunde im Pool rumgeschwommen. Ohne ein einziges Wort miteinander zu wechseln.”
Info
Text erstmalig erschienen im Magazin Porsche Klassik "Sonderheft 70 Jahre Porsche Sportwagen".
Text: Eckhard Schimpf // Fotografie: Theodor Barth
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