Rekordjäger Porsche 919 Evo trifft auf sein historisches Vorbild 917/30

Bei seiner letzten großen Ausfahrt im Rahmen der „919 Tribute Tour“ trifft der Rekordwagen Porsche 919 Hybrid Evo auf ein historisches Vorbild: den 917/30 aus dem Jahr 1973.

Die beiden Fahrzeuge gehören zu den Stars bei der „Porsche Rennsport Reunion VI“ – der weltweit größten Zusammenkunft historischer und gegenwärtiger Rennfahrzeuge von Porsche. Die sechste Auflage dieses außergewöhnlichen Events findet derzeit auf der Rennstrecke Laguna Seca in Kalifornien südlich von San Francisco statt.

Extremsportler aus zwei Epochen: 919 und 917

Der 919 Hybrid und der 917 dominierten die Rennen ihrer Zeit. Der Hybridrennwagen gewann von 2015 bis einschließlich 2017 drei Mal hintereinander das 24-Stunden- Rennen in Le Mans sowie jeweils den Hersteller- und Fahrertitel in der FIA Langstrecken-Weltmeisterschaft WEC. Der 917 holte 1970 und 1971 die ersten beiden von mittlerweile 19 Gesamtsiegen der Marke in Le Mans und bescherte Porsche in jenen Jahren den Markentitel in der Sportwagen-Weltmeisterschaft. Sowohl beim 919 als auch beim 917 beeinflussten technische Reglements den WM-Ausstieg, wenngleich die Fälle unterschiedlich gelagert waren: Beim 919 schloss das Regelwerk weitere serienrelevante Hybrid-Innovationen aus. Der 917 indes dominierte derartig, dass die Sportbehörde seinen fünf Liter großen Zwölfzylindermotor 1972 nicht mehr zuließ. Doch anstatt das Museum anzusteuern, erfuhren beide Rennwagen danach starke Weiterentwicklungen und eine zweite Karriere.

Rekordjagden auf der Nürburgring-Nordschleife und in Talladega

Mehr als 2,7 Millionen Mal wurde das Youtube-Video bisher angeklickt: Die Onboard-Aufzeichnung von Timo Bernhards Rekordrunde auf der Nordschleife des Nürburgrings ist nichts für schwache Nerven. Der zweimalige Le-Mans-Sieger und Langstrecken-Weltmeister aus Bruchmühlbach-Miesau hat den legendären 20,8 Kilometer langen Parcours mit der Evo-Version des Porsche 919 Hybrid am 29. Juni 2018 in 5:19,55 Minuten umrundet. Der 37-Jährige erreichte dabei in der „Grünen Hölle“ eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 233,8 km/h und einen Spitzenwert von 369,4 km/h. Die Formel-1-Welt gratulierte. Sie kannte den Evo schon, denn bereits im April unterbot Neel Jani (CH) damit in Spa-Francorchamps/Belgien die bisherige Rekordmarke der Königsklasse. Im August holte sich die Formel 1 den Streckenrekord auf der sogenannten Ardennen-Achterbahn zurück. Der Evo ist eine Weiterentwicklung des Le-Mans-Siegerwagens von 2017. Am Ende seiner grandiosen Karriere entfesselten ihn die Ingenieure von einigen Reglement-Restriktionen, damit er zeigen konnte, was in ihm steckt.

Porsche 917/30 und Porsche 919 Hybrid Evo (l-r), Porsche Rennsport Reunion VI, Laguna Seca, 2018, Porsche AG
Porsche 917/30 und Porsche 919 Hybrid Evo (l-r)

Bei der Genese des Evo spielte erbliche Vorbelastung eine Rolle: 1973 hat Porsche schon einmal einen Siegertypen auf links gedreht – aus dem 917 wurde der 917/30. 15 Langstreckensiege hatte der 917 auf dem Konto, als er 1972 nicht mehr in der WM mitfahren durfte. Es kam zur ersten Ausbaustufe für Einsätze in Übersee. Nordamerika war zum wichtigsten Einzelmarkt für Porsche avanciert und der Canadian-American Challenge Cup, kurz CanAm, zu einer hoch attraktiven Rennserie. Um dort gegen die vorherrschenden McLaren mit 800 PS starken Achtliter-Chevrolet-V8 zu bestehen, reichte der V12-Saugmotor des Porsche 917 nicht aus. Leistungssteigerung per Turboaufladung war noch ein weithin unerschlossenes Gebiet, in das sich Porsche nun vorwagte. Der damals 34-jährige US-Amerikaner Mark Donohue, erfolgreicher Rennfahrer und Ingenieur, trieb die Entwicklung mit voran.

1972 gewann Porsche mit dem rund 1000 PS starken 917/10 TC Spyder (TC stand für Turbo Charged, Spyder für das offene Cockpit) sechs CanAm-Läufe und den Titel. Als die Konkurrenz für 1973 aufrüstete, antwortete Porsche mit dem 917/30. Donohues Verbesserungswünsche machten selbst vor dem Radstand nicht halt, er wurde von 2.310 auf 2.500 Millimeter verlängert. Hinzu kamen eine gestrecktere Frontpartie und ein weit hinausragender Heckflügel – aerodynamische Maßnahmen, mit denen Porsche noch wenig Erfahrung besaß. Die langen Geraden in Le Mans verlangten einen geringen Luftwiderstand, nun hingegen war Abtrieb gefordert, um eine monumentale Motorleistung auf den Boden zu bringen. Der V12 schüttete 1100 PS über dem 800 Kilogramm leichten Spyder aus, und das Ansprechverhalten des Turbos war problematisch. Der mittlerweile 5,4 Liter große Motor entfaltete seine Leistung spät und brachial. Mit vielen Detaillösungen versuchte Porsche dieses Turboloch in den Griff zu bekommen. Im spartanischen Cockpit konnte Donohue ein „Dampfrad“ bedienen, um den Ladedruck des V12 zu domestizieren. Beim Start konnte er ihn hoch- und im Rennverlauf wieder herunterdrehen, um den Motor zu schonen und Benzin zu sparen. Der Durst des Motors war beachtlich, weshalb der Tank des 917/30 bis zu 440 Liter Benzin fasste.

Mark Donohue gewann 1973 sechs von acht Rennen zur CanAm-Serie und fuhr den Meistertitel ein. Dann sorgte erneut eine Reglementänderung dafür, dass der überlegene Rennwagen außen vor blieb. Doch am 9. August 1975 hatte der 917/30 noch einen letzten fulminanten Auftritt: Auf dem 4,27 Kilometer langen Superspeedway in Talladega im US-Bundesstaat Alabama stellte Donohue mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 355,78 km/h (Höchstgeschwindigkeit 382 km/h) einen Weltrekord auf, der elf Jahre bestehen bleiben sollte. Dank erstmals eingesetzter Ladeluftkühler leistete der V12-Motor dabei 1230 PS.

Porsche 917/30 (5,4-Liter-V12-Turbomotor), Porsche Rennsport Reunion VI, Laguna Seca, 2018, Porsche AG
5,4-Liter-V12-Turbomotor des Porsche 917/30

So wenig wie Porsche bei der Entwicklung des 917 an eine Fahrt im steilen Oval dachte, so wenig war der 919 Hybrid für die Nordschleife prädestiniert. Die Parallelen reichen von der Wiege bis zur Rekordfahrt: Beide wurden auf dem Genfer Automobilsalon vorgestellt – nur diese beiden Male rückte Porsche einen Rennwagen ins Zentrum des Markenauftritts. Beide galten als die innovativsten Rennwagen ihrer Zeit, und beider Entstehung wohnte eine gehörige Portion Mut inne. Das galt für Ferdinand Piëchs Entschlossenheit, 1969 trotz wirtschaftlicher Risiken die nötigen 25 Exemplare zur Homologation des 917 zu bauen ebenso wie für die Vorstandsentscheidung bei Porsche, 2014 mit einem technologisch extrem anspruchsvollen Hybrid-Fahrzeug nach Le Mans und in die Sportwagen-WM zurückzukehren.

Anders als bei der Entwicklung des 917/30 blieb bei der Evo-Version des 919 die Hardware des Antriebsstrangs unangetastet. Der nur 2,0 Liter große V4-Turbo, der die Hinterachse antreibt, wurde lediglich von der Kraftstoffbegrenzung der WEC befreit. Auf diese Weise und mit einiger Softwareunterstützung entwickelt der Verbrennungsmotor im Evo 720 statt zuvor 500 PS. Massive Unterstützung kommt von den beiden Energierückgewinnungssystemen. An der Vorderachse wird Bremsenergie eingesammelt, im Abgastrakt erzeugt eine Zusatzturbine elektrischen Strom, der ebenfalls in einer Lithium-Ionen-Batterie zwischengespeichert wird. Hatten die WM-Regularien die einsetzbare Energiemenge aus diesen Systemen limitiert, durften sie bei den Rekordfahrten im Evo ihr volles Potenzial entfalten. Die E-Maschine an der Vorderachse des temporären Allradlers steuerte 440 PS bei, zehn Prozent mehr als in der WEC. Daraus erwuchs eine Systemleistung von 1160 PS bei einem Fahrzeuggewicht, das von 888 Kilogramm (inklusive Fahrerballast) auf 849 kg sank.

Die Aufrüstung zum Rekordjäger umfasste zudem ein radindividuelles Brake-by-Wire-System, Fahrwerksverstärkungen und eigens entwickelte Michelin-Reifen für die höheren aerodynamischen Kräfte. Der größere Front-Diffusor und der mächtige Heckflügel erhielten eine aktive Aerodynamik: Ähnlich wie in der Formel 1 stellen „Drag Reduction Systeme“ (DRS) Flügelelemente flach, um den Luftwiderstand auf langen Geraden zu reduzieren. Zusammen mit einem aerodynamisch optimierten Unterboden und seitlichen Schürzen entwickelt der 919 Evo 53 Prozent mehr Abtrieb als im WM-Einsatz. „Wie auf Schienen“, beschrieb Timo Bernhard das Fahrgefühl in den schnellen Kurven der Nordschleife. Von so einer Straßenlage konnte Donohue bei seinem Husarenritt in Talladega nur träumen.

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