Es ist grau und kühl an diesem Frühlingstag am Skidpad im Forschungs- und Entwicklungszentrum in Weissach. Doch das stört die Männer nicht, die fasziniert die Kreise des unglaublich bassig röhrenden Porsche 917-001 verfolgen. Am Steuer: Le Mans-Sieger Marc Lieb. Sie selber: die Macher. Wie zum Beispiel Hans Mezger, damals unter anderem Motorsportchef und Projektverantwortlicher. Oder Hermann Burst, Prozessplaner und Verantwortlicher für die 25 Homologationsautos, die am 21. April 1969 von der FIA auf dem Führungskräfteparkplatz vor Werk 1 inspiziert wurden. Dazu Designer Eugen Kolb, Karosseriebauer Klaus Ziegler, Laminatexperte Roland Bemsel, Testfahrer Günter Steckkönig und Gerhard Küchle, Mechaniker im Motorenbau. Sowie natürlich Kurt Ahrens – einst Werksfahrer ohne Werksvertrag. Ein echter 917-Bändiger.
Hans Mezger, Gerhard Küchle, Roland Bemsel, Klaus Ziegler, Günter Steckkönig, Hermann Burst und Eugen Kolb (l-r)
Die Karosserie
Das Projekt 917 wurde lange geheim gehalten – es bekam seinerzeit die Bezeichnung 912. Das war nicht mal falsch, denn das war der korrekte Projektname des neuen V12-Motors. Das Lastenheft des 917 von 1968 war kurz und eindeutig: der Rennwagen sollte schnell und leicht sein, um in Le Mans endlich den Gesamtsieg einfahren zu können. So entstand ein Gitterrohrrahmen, der nur 45 Kilo wog. Eugen Kolb formte eine Glasfaserkarosserie über das Rohrgeflecht, das von der Waggonfabrik Rastatt realisiert wurde. „Die Karosserieentwicklung beim 917 war eine innovative Aufgabe, die ihresgleichen neu und damit attraktiv für jeden Konstrukteur war,“ erinnert er sich. „Zuerst gab es aber kräftig Widerstand gegen den Kunststoff, das fing schon beim 904 an. Dann brannte auch noch ein privates Kunststoffauto wegen einer defekten Kraftstoffpumpe ab. So sind einige Leute zu Ferry Porsche gegangen und habe gesagt, das Material würde nichts taugen. Er hat sich dann aber doch für CFK entschieden.“ Die Karosserie allein erhöhte die Steifigkeit des Autos um 50 Prozent.
Klaus Ziegler, damals noch nicht lange im Karosseriebau-Versuch bei Porsche, nahm die Atmosphäre damals besonders sensibel wahr. „Der 917 markierte den absoluten Aufschwung. Nicht nur, was den Hubraum und die Geschwindigkeit betraf. Die ganze Technik – Piëch hatte für alles ein offenes Ohr. Wir gingen einfach bei allem in die Vollen. Heute würde man sagen, der 917 war ein Technologieträger.“ Beispiel Motorabdeckung: „Plexiglas war nicht haltbar genug,“ erinnert er sich. „Eine Abdeckung aus Kunststoff biegt sich aufgrund zu hoher Temperaturen, die ein heißer Motor enwickelt.“ Man entschied sich daher für Plexidur, einen thermoplastischen festen Kunststoff.
Der Kunststoff-Karosseriebauer und Laminatexperte Roland Bemsel kann sich noch gut erinnern, welche Probleme die Windschutzscheiben machten. „Die Fahrer hatten Schwierigkeiten mit den Spiegelungen. Alle Scheiben waren unterschiedlich. Denn die wurden per Hand gewölbt. Immerhin unterstützten sie die Stabilität des Autos.“ Aber das Hauptproblem war: „Wird die Karosserie am Rohrrahmen halten? Ist alles richtig fest? So vieles war damals Neuland.“
Der Motor
Die größte Aufmerksamkeit allerdings galt dem 4,5 Liter-V12-Motor. Hans Mezger, damals Motorsportchef, verantwortlich für die 917-Gesamtentwicklung und Konstrukteur des Zwölfzylinders mit bis dahin undenkbaren 580 PS, erinnert sich noch, dass seine Abteilung eigentlich auch ohne das 917-Projekt voll ausgelastet war. „Dennoch haben wir es bewältigt – mit viel Flexibilität und Kreativität. Eigentlich waren 50 Prototypen zur Homologation der Fünf-Liter-Klasse vorgeschrieben,“ erzählt er kopfschüttelnd. „Aber das hätten weder Ferrari noch wir geschafft. Da waren dann nur noch 25 Stück nötig.“ So begann seine Abteilung noch im Juni 1968 mit der Konstruktion – ohne offiziellen Auftrag. Das größte Problem von Mezger und seinem Team: zu wenig Zeit. Der Motor musste von Grund auf neu konstruiert werden, „und nicht viele Teile konnten wir von anderen Aggregaten übernehmen.“ Erst Anfang Dezember lief der erste Motor auf dem Prüfstand.
Gerhard Küchle war Mechaniker im Motorenbau unter Mezger und arbeitete parallel am Achtzylinder für den Porsche 908. Mit zwei bis drei Kollegen baute er alle 25 917-Motoren für die Homologationstypen per Hand: „Das war ein riesiger Kraftakt, das funktionierte nur mit vollem Arbeitseinsatz und mehr. Aber wir fühlten uns auch als Elite. Das waren schon gigantische Gefühle.“ Zumindest, wenn genug Teile vorhanden waren: „Das Warten auf Nachschub bestimmte die Pausenzeiten.“ Währenddessen ersannen die Macher wilde Produktionsmethoden: So wurden zum Beispiel die Einspritzleitungen mit der Hitze aus dem Fön gebogen.
Die Homologation
Hermann Burst war für die Prozessplanung und die Homologation – und somit für den Bau und die Funktionsfähigkeit der 25 ersten 917 – zuständig. Der technische Angestellte und Aerodynamik-Spezialist kann sich noch an den Stress erinnern: „Voll montiert ging es in den Windkanal des Forschungsinstitutes für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren (FKFS) in Stuttgart-Untertürkheim, denn Porsche besaß noch keinen eigenen. Da wurde drauf geachtet, dass die Wollfäden schön eng an der Karosserie anlagen.“ Tatsächlich ging es nur um den Luftwiderstandsbeiwert. „Dass die Auftriebswerte kritisch waren, ist keinem aufgefallen.“
Als die FIA am 21. April zur Homologierung kam, standen dort 25 Prototypen, mit Hilfe eines Seils perfekt ausgerichtet. „Das sollte beeindruckend wirken, und das hat geklappt,“ freut sich Burst noch heute. „Alle waren fahrbereit,“ erinnert er sich – und meint rollbereit. „Der FIA-Mann suchte sich die Nummer 12 aus und wir kippten etwas Benzin in die Ansaugtrichter.“ Tatsächlich startete die Zwölf, rollte aus eigener Kraft zum Werkstor und zurück. FIA glücklich, Burst glücklich, Porsche glücklich: „Der Prüfer hatte zufällig ein Auto ausgesucht, dass alle Fahrwerksfedern besaß,“ verrät Burst, „denn einige standen auf Wasserrohren, weil wir nicht genug Federn hatten.“
Testen und Rennen
Vor dem ersten Einsatz musste der 917 so schnell und so viel wie möglich getestet werden. Burst erinnert sich an genau 258 Runden auf dem Skidpad links und rechts herum, um die Haltbarkeit der Radlager zu prüfen. Ingenieur und Testfahrer Günter Steckkönig freute sich immer, wenn er zum Fahrversuch in die Motorsportabteilung gerufen wurde. Auch wenn er mit dem 917 KH auf die Rüttelstrecke musste: „Das ging echt auf die Knochen. Alltag für uns war auch der 1000-Kilometer-Dauerlauf mit drei bis vier Fahrern.“ Sein prominentester Gast im Weissacher Renntaxi-917 war Stardirigent Herbert von Karajan – „und dann haben wir die Plätze gewechselt.“ Was kein Problem war: Der Musiker war ein so rasanter wie guter Fahrer. Aber auch im Rennen hat Steckkönig den 917 bewegt: „Beim Training in Silverstone regnete es viel. Das ganze Wasser kam rein – vorne unten war der Wagen völlig offen. Ich habe mich gefühlt wie in einer Badewanne.“ Was ihn nicht hinderte, im Rennen Sechster zu werden.
Kurt Ahrens war einer der wichtigsten 917-Test- und Rennfahrer. Nie vergessen wird er den Schreckmoment, als er rund drei Wochen vor Le Mans 1969 das Auto auf der 24 Kilometer langen Hochgeschwindigkeitsstrecke von VW testete, als er mit Slicks auf einer Wasserlache ausrutschte und in die Leitplanke rauschte. Die Plankenhalter halbierten den Renner, Ahrens rutsche angeschnallt ohne Dach überm Kopf und ohne Vorderbau 200 Meter weiter. Und dennoch startete Ahrens 1969 und 1970 auf dem 917 Langheck in Le Mans – warum? „Weil es ein Porsche war,“ grinst er. 1969 gewann er mit Jo Siffert sogar das 1000-Kilometer-Rennen von Zeltweg. Es war der erste Sieg eines 917 überhaupt. Aber leicht zu bändigen war der 800 Kilo leichte Porsche nicht: „Das Heck schwänzelte bei 350 km/h extrem, es stieg bei scharfem Bremsen stark hoch. Bei 380 km/h habe ich dann doch das Gas etwas gelupft.“
Die Frauen der verheirateten Rennfahrer sollen ihre Göttergatten vor dem Rennen in Spa unter Tränen angefleht haben, nicht einzusteigen. Ahrens: „Aber der Sound war das Geilste. Da kam ja alles hinten raus, was drin war.“ Der 917 konnte übrigens offiziell gekauft werden – auf der Preisliste standen 140.000 Mark. Miterworben wurde dann sowohl das demontierbare lange Heck, um den Wagen in einen Kurzheck zu verwandeln, aber auch die Tatsache, dass jeder Motor im Rennen in Le Mans bei jedem Stint den Nachschub von vier Litern Öl benötigte. Und der Makel, dass sich so einige Auspufftüten auf Nimmerwiedersehen verabschiedeten – sie rüttelten sich einfach los.
Die Studie 917 Living Legends
2014 baute Porsche eine Designstudie, die bislang nur ein paar Führungskräften bekannt war, aber nie der Öffentlichkeit gezeigt wurde: der 917 Living Legends. Aber 50 Jahre Porsche 917 ist Grund genug, diese faszinierende Neuinterpretation jetzt auch den alten Recken vorzustellen. Das Concept Car kommt wie das Vorbild mit kurzem Radstand, guter Aerodynamik, Keilform und tiefer Nase. Das Monocoque besteht aus CFK, das Fahrwerkslayout ähnelt dem Porsche 918 mit umgelenkten, liegenden Federn. Als Antrieb sahen die Macher einen 750 PS starken V8-Biturbo mit PDK-Getriebe vor. Die Aerodynamik spielt mit adaptiven Splittern, adaptiven Schwellern, einer ausklappbaren Hutze über dem Motor mit Lüfterrad, Radhausentlüfter und einem mächtigen beweglichen doppelstöckigem Heck-Spoiler mit ausfahrbaren Gurney-Flaps. Einige Details fanden ihren Weg in die Serie bei verschiedenen Straßenfahrzeugen.
Der 917-001 in Fahrt
Apropos Straße: Wohl kaum jemand anderer als Le Mans-Sieger Marc Lieb ist besser geeignet, den restaurierten Porsche 917-001 auf Asphalt zum Leben zu erwecken. Der Le Mans-Sieger saß im Jahr 2002 zum ersten Mal in einem 917, allerdings war das ein Kurzheck. Jetzt darf er die perfekt und mit so viel Originalmaterial wie möglich restaurierte Nummer 1 brüllen lassen – vor den leuchtenden Augen der Macher. Die waren beim Rückbau der Nummer 1 vom Kurz- zum Langheck ständig mit eingebunden, weil nur sie bestimmte technische Dinge, Maße und Besonderheiten noch wissen und bei der Reproduzierung von bestimmten Teilen und Karosserieformen helfen konnten. Denn es gibt zum Vergleich keinen zweiten authentischen Langheck mehr auf der Welt.
„Ich würde das Auto schon mal gerne in einem Feld und um die Wette fahren,“ sagt Lieb, „aber immer mit viel Respekt – nicht voll und immer bereit, zurückziehen.“ Mit der Eleganz eines perfekten Rennfahrers treibt er die Nummer 001 über das Testgelände: „Er hängt gut am Gas fährt sich wie ein normales Auto,“ sagt der Profi. „Nur die Bremsen sind eine Herausforderung.“