Nur um auf Nummer sicher zu gehen: Sollte Ihnen mal jemand einen 911 Speedster der Baureihe 993 unter dem Stichwort „original“ anbieten – bleiben Sie skeptisch! Die Chancen, dass es sich um eine Replika handelt, stehen vergleichsweise gut. Denn der puristische Zweisitzer aus der letzten luftgekühlten Generation des Sportwagenklassikers zählt zu den seltensten Autos, die Porsche je gebaut hat: Es gibt überhaupt nur zwei echte Exemplare. Eines wurde tatsächlich verkauft und das andere verschenkt, aber es fand seinen Weg als Leihgabe zurück ins werkseigene Museum. Damit ist es heute von unschätzbarem Wert und wird gehütet wie ein rohes Ei. An die frische Luft darf es nur zu besonderen Anlässen, und als solcher geht ein gemeinsames Fotoshooting mit dem neuen 911 Speedster so gerade eben durch. Exklusiv ist auch der Ort des Meetings: die Dachterrasse des Porsche Museums. Rarität trifft moderne Legende.
Speedster besitzen für Porsche eine enorme Bedeutung: Nur wenige Modelle spiegeln den Markenkern des Sportwagenherstellers so trefflich wider – nämlich Fahrvergnügen und Fahrdynamik – wie die aufs Wesentliche reduzierten Cabrios mit der gedrungenen Frontscheibe. Deren Gene reichen zurück bis zur „Nr.1, Typ 356“, jenem allerersten Porsche, der angesichts einer wahren Flut an offenen Fahrzeugneuheiten aus Zuffenhausen derzeit oft zitiert wird. Als Urvater dieser Karosserievariante gilt jedoch der 356 1500 America Roadster von 1952. Mit Notklappverdeck, Steckscheiben für die Türen und leichten Schalensitzen prägte der speziell für die rennverrückten US-Amerikaner entwickelte Aluminium-Sportwagen bereits wesentliche Speedster-Merkmale. Er wog 60 Kilogramm weniger als das 356 Coupé, wurde nur 21-mal gebaut und war entsprechend teuer.
Im Herbst 1954 folgte der deutlich preisgünstigere Stahlblech-Nachfolger mit puristischer Ausstattung und Notverdeck: der erste 356 Speedster. Er kostete in den Staaten gerade mal 2.995 US-Dollar und wurde schnell zum Renner. Den vorläufigen Höhepunkt bildete 1957 der 356 A 1500 GS Carrera GT Speedster, dessen Königswellen-Fuhrmann-Motor 110 PS leistete. Als erstes Serienmodell von Porsche durchbrach er die 200-km/h-Schallmauer.
Die Verdienste von Ferdinand Alexander Porsche für das Familienunternehmen sind legendär: Der älteste Sohn von Firmengründer Ferry und Enkel von Prof. Ferdinand Porsche hatte 1957 nach kurzem Studium an der Hochschule für Gestaltung in Ulm im Karosserie-Stylingstudio von Porsche angefangen. Sein außergewöhnliches Talent blieb dort nicht lange verborgen: Den faszinierenden 904 Carrera GTS zeichnete er quasi im Alleingang. Endgültig in den Designer-Olymp stieg er mit dem 911 auf, dessen ikonische Form er gemeinsam mit seinem Team prägte – bis heute führt der Elfer die Handschrift von „Butzi“ Porsche fort. 1972 gründete Ferdinand Alexander sein eigenes Design-Studio in Zell am See, blieb dem Haus aber eng verbunden: 1990 übernahm er von seinem Vater den Aufsichtsratsvorsitz der Porsche AG. Und als Ferdinand Alexander am 11. Dezember 1995 seinen 60. Geburtstag feierte, war es Zeit für ein Zeichen der Dankbarkeit und ein besonderes Geschenk. Die Exclusive-Abteilung von Porsche machte sich ans Werk.
Auf Basis eines Carrera-2-Cabriolets kam ein außergewöhnliches Einzelstück heraus: der grüne 993 Speedster aus der 993-Serie. Die flache Frontscheibe übernahmen die Spezialisten prinzipiell vom 964, auch der Heckdeckel mit den eleganten Streamlinern inklusive der eigenwilligen Verriegelungsmechanik mit dem Spannhebel hinter dem Fahrersitz gleicht dem Vorgängermodell. Ein Tiptronic-Getriebe und eine dunkelbraune Lederausstattung inklusive lackierter RS-Sitze, schöner Holzverkleidungen und spezieller Staufächer unterhalb der Dachablage rundeten das Werk ab. Ferdinand Alexander soll sich sehr gefreut haben, wenngleich er mit dem kostbaren Einzelstück offensichtlich nur selten fuhr: Bis heute stehen kaum mehr als 2.000 Kilometer auf der Uhr.
Die Speedster-Geschichte bei Porsche ging weiter. 2010 folgte die zweisitzige Ausführung der 997-Serie, mit Turbo-Karosserie und 408 PS starkem Boxersaugmotor großzügig motorisiert. Entgegen der Tradition war die auf 356 Einheiten limitierte Sonderserie aber sehr umfangreich ausgestattet. Viele fanden: historisch eigentlich nicht korrekt. Ein Speedster sollte leicht sein, asketisch, ein rohes Eisen und die Quelle reinen Fahrspaßes – eine echte Maschine also, in der Emotionen explodieren, Erlebnisse eskalieren und Erfahrungswerte erodieren. Ein Auto, das niemand wieder vergisst, der es jemals bewegt hat. Ein Klassiker von morgen für das Hier und Heute. Im Entwicklungszentrum Weissach nahmen sich die Motorsportler der Sache an. Natürlich mit der ihnen eigenen Konsequenz.
Dass sie ihren ersten Entwurf exakt 70 Jahre nach dem ersten Sportwagen der Marke präsentierten, war kein Zufall: Den 911 Speedster Concept schenkte sich Porsche im Juni 2018 zum runden Geburtstag selbst. Ein Dreivierteljahr später startete die Serienversion – und die kann sich sehen lassen, auch wenn sie angesichts der Limitierung auf 1.948 Exemplare selten zu sehen sein wird: Erstmals basiert ein Speedster auf einem GT- Modell. Mit dem 510 PS starken 4,0-Liter-Sechszylinder des 911 GT3, der so gierig hochdreht wie ein reinrassiger Rennmotor und dessen Schreien Suchtsymptome auslösen kann, bevor ihm bei 9.000 Touren Einhalt geboten wird. Mit kraftvoll dosierten Zwischengasstößen beim Herunterschalten, dass die Nackenhaare Spalier stehen. Mit einem GT3-Fahrwerk, das Rundstrecken-Präzision vermittelt. Mit konsequentem Leichtbau, der sich in geheimnisvoll schimmernden Kohlefasermustern widerspiegelt. Zumindest da, wo sie zu sehen sind: auf der Unterseite des formschönen Heckdeckels zum Beispiel, der inklusive aller Anbauteile lediglich zehn Kilogramm auf die Waage bringt. Und mit einem Leichtbauverdeck, das sogar Waschanlagen trotzt.
Ohne Frage: Puristisch, wie er ist, kommt der neue, noch auf der 991-Serie aufbauende 911 Speedster dem Ideal des leichten und rasant schnellen Sportlers wieder so nah wie seit Langem keiner mehr. 4,0 Sekunden vergehen, bis er die Tempo-100-Marke durchschlägt. Die Viertelmeile ist aus dem Stand nach 11,9 Sekunden Geschichte. Und falls es pressiert, dann geht es auf der Autobahn mit 310 km/h voran. Die Gefühle, die er auslöst, beschreibt dies jedoch nur unzureichend: Denn die sind schlicht überwältigend.
Bleibt eine Frage ungelöst: Was war mit dem zweiten 993 Speedster?
Dass es bei dem Unikat für „Butzi“ Porsche nicht bleiben sollte, lag an Jerry Seinfeld. Der US-Schauspieler, Star der nach ihm benannten Sitcom, ist glühender Fan der Marke und stolzer Besitzer einer veritablen Sammlung zumeist seltener Porsche. 1998 hatte er ein silbernes 911 Cabriolet bestellt und erhalten. Zwei Jahre später schickte er das turbobreite und handgeschaltete 4S- Modell wieder über den Atlantik zurück, verbunden mit der innigst vorgetragenen Bitte, es wie das Vorbild in einen echten Speedster zu verwandeln. Porsche kam dem Wunsch des guten Freundes nach. Im Oktober 2001 trat das fertige Auto erneut die Reise gen Amerika an. Somit gibt es ein zweites Original. Sollte Ihnen also jemand einen 993 Speedster als „echt“ anbieten: Wir haben Sie gewarnt ...
Info
Text erstmalig erschienen im Magazin „Porsche Klassik“, Sonderausgabe „8 Generationen 911“
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