Digitalisierung in der Fahrzeugentwicklung

Wo bisher physische Bauteile im Prototypenstatus getestet wurden, werden bei Porsche zukünftig Komponenten und hoch vernetzte Funktionen im Gesamtfahrzeug digital erlebbar gemacht. Der Newsroom zeigt Beispiele auf.

Matrix-Beam-LED-Scheinwerfer, 2019, Porsche AG
Die Matrix-Beam-LED-Scheinwerfer berechnen die optimale Lichtverteilung


Dadurch lässt sich virtuell die aktuelle Ausleuchtung der Umgebung visualisieren. „So wollen wir in Zukunft frühzeitig im Virtuellen Fahrerplatz komplexe Fahrzeugfunktionalitäten erlebbar machen“, sagt Stefan Singer, Virtuelle Erprobung. Steffen Strebel, Test und Validierung, ergänzt: „Durch die hybride Herangehensweise können die im realen Straßenverkehr nur schwer reproduzierbaren Verkehrssituationen objektiv und reproduzierbar getestet werden.“

Auch die heraufziehende Ära der Elektrofahrzeuge bringt im hybriden Entwicklungsprozess viele Neuerungen. Etwa beim Thermomanagement, das dafür sorgt, dass sich die Temperatur von Hochleistungs-Akku und E-Antrieb zu jeder Zeit in einem definierten Fenster bewegen. So nutzt etwa der Taycan von den rechnerisch 15 Millionen Verschaltungsmöglichkeiten seines hydraulischen Kühlkreislaufs etwa zweihundert – im sogenannten Strömungslabor in Weissach wird dies intensiv simuliert, indem reale Thermomanagementsysteme am Prüfstand mit digitalen Prototypen sowie realen Steuergeräten vernetzt werden. Dies verkürzt auch hier die Entwicklungszeit bis zur Typisierung – und reduziert so die Zahl realer Prototypen.

Strömungslabor in Weissach, 2019, Porsche AG
Das Strömungslabor in Weissach


„Wenn wir parallel an vernetzten Systemprüfständen, dem sogenannten ThermoLab, arbeiten, beschleunigen wir den Entwicklungsprozess zusätzlich“, blickt Daniel Eichacker, Leiter Thermomanagement V-Motoren, in die nahe Zukunft. „Wenn wir dann Informationen wie beispielsweise die Temperatur zwischen Strömungslabor und Kältekreis/Klimatisierung austauschen, bedeutet das für das thermische Gesamtfahrzeug-Modell einen echten Meilenstein.“

Datengetriebene Entwicklung, 2019, Porsche AG
Steuergeräte im Fahrzeug analysieren die Beanspruchungen


„Wie oft wird die Sport-Taste tatsächlich gedrückt? In welchem Fahrmodus wird mehrheitlich gefahren? Solche dank PDRM gewonnenen Erkenntnisse fließen direkt in die weitere Verbesserung unserer Produkte“, sagt Alexander Haug, der auf eine möglichst hohe Teilnahmebereitschaft der Taycan-Kunden am PDRM-Projekt hofft. Denn selbstverständlich könne jeder Kunde selbst entscheiden, ob er zur Datenanalyse beitragen wolle oder nicht. Er muss dies sogar aktiv im Fahrzeug bestätigen. Zudem bleibe die Anonymität der Kunden in jedem Fall gewährleistet: „Selbst bei aktiviertem PDRM erfahren wir immer nur, dass sich ein Fahrzeug zum Beispiel im Stau befunden hat, aber nicht wo und wann.“

Total Human Model for Safety, 2019, Porsche AG
Menschenmodelle stellen den menschlichen Körperaufbau und die Biomechanik dar


Das Menschmodell dagegen versucht, die gesamte menschliche Anatomie exakt nachzubilden. Somit eignet sich das THUMS hervorragend für sogenannte Kinematikstudien, die Bewegungsabläufe sichtbar machen. Sie helfen beispielsweise, aktive Sicherheitssysteme wie den Notbremsassistenten zu bewerten. Aktuelle THUMS-Modelle erlauben die Auswertung von Verletzungsrisiken und eignen sich somit zur Bewertung von neuen Unfallszenarien im Bereich des autonomen Fahrens. „Die Menschmodelle werden mehr und mehr zum Werkzeug der Wahl bei der Erarbeitung, Bewertung und Argumentation künftiger Rückhaltesysteme“, erklärt Keding. „Sie halten auch zunehmend Einzug in Ratings und Gesetze.“ So treiben die amerikanische Gesetzgebung NHTSA und die europäische Gesellschaft für Fahrzeugsicherheit Euro NCAP ihren Einsatz voran.

Auch wenn sich mit den detailgetreuen Simulationen mehr Vielfalt darstellen lässt als mit physischen Crashtest-Dummys, ändert das nichts an der Tatsache, dass jeder Mensch anders ist. Genau hier liegt wohl die größte Herausforderung: Die enorme Bandbreite der biologischen Eigenschaften kann nur mit viel Aufwand auf die Menschmodelle übertragen werden. Denn jeder Mensch unterscheidet sich hinsichtlich seiner Beweglichkeit, seinem strukturellen Knochenaufbau und der daraus resultierenden Interaktion mit den Rückhaltesystemen. „Wir beschäftigen uns seit 2013 mit Menschmodellen und treiben die Entwicklung stetig voran“, sagt Keding. „Für eine Weiterentwicklung werden spezifische Kompetenzen, die über das klassische Ingenieurswissen hinausgehen, erforderlich sein – beispielsweise aus den Bereichen Biomechanik und Medizin.“

Design-Studio, 2019, Porsche AG
Durch die VR-Brille entsteht ein realistischer Eindruck vom neu gestalteten Innenraum


Die nächste Ausbaustufe im digitalisierten Designprozess, die sogenannte UX-Sitzkiste, bietet eine Verknüpfung mit interaktiven Medien und damit maximalen Realismus und Erlebbarkeit. Die Bildschirme und berührungsempfindlichen Displayflächen im detailgetreuen Nachbau eines Cockpits können nach Belieben mit interaktiven Inhalten bespielt werden. Dabei greifen die Designer beispielsweise per Smartphone oder Tablet auf ihr neu angelegtes zentrales Grafik-Archiv zu, wo sämtliche Animationen und Piktogramme abgelegt sind. Verschiedene Entwürfe können so per Smartphone ausgewählt, auf eines der Displays der UX-Sitzkiste übertragen und so innerhalb von Sekunden nacheinander betrachtet werden.

„Die Xperience Engine bildet das Fundament für unsere UX-Sitzkisten, verbindet sich nahtlos mit der Visualisierung und kann dadurch mit neuartigen digitalen Präsentationswerkzeugen wie den VR-Brillen dargestellt werden“, verrät Meissner. Fachgebietsübergreifend ist hier ein System entstanden, welches die Prozesse der Visualisierung mit denen des UX-Designs verbindet. „Einen entscheidenden Vorteil der Digitalisierung sehen wir darin, unsere Produkte früher zu erleben, ganzheitlich zu gestalten und effizienter entwickeln zu können“, erklärt Viktor Weizel, Visualisierungsspezialist VR Präsentationen.

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