Wenn sie in einer stilleren Stunde über Freundschaften im Tennis nachdenkt, dann ist Andrea Petkovic jedes Mal „nicht schlecht überrascht“. Und zwar „erstens, dass es sie wirklich und tatsächlich gibt“. Und zweitens, „dass diese Beziehungen auch sehr schwierige, heikle Momente überstehen können“. Petkovic, einst die Anführerin des deutschen Fräuleinwunders, bestreitet dabei „kein Theorieseminar“. Sie redet vom „eigenen Erleben“, von der „tollen Fed-Cup-Truppe“ und von ihrer speziellen, „echt wunderbaren Freundschaft“ zu Angelique Kerber, die jetzt die Nummer 1 des deutschen Damentennis ist. „Angie gehört zu den wenigen Menschen“, sagt Petkovic, „denen ich absolut jedes Geheimnis anvertrauen würde.“
So sehr sich gelegentlich auch Zweifel bei notorischen Zweiflern rühren, wie weit es mit Harmonie und Eintracht im Porsche Team Deutschland tatsächlich her sei – es gibt keine enthüllende, entlarvende Geschichte hinter der Geschichte einer ungewöhnlichen Einheit. Es gibt stattdessen ein großes Gemeinschaftsgefühl, das sich durch die Lebenslinien und Karrierebiographien der jungen Frauen entwickelt hat, die diese intakte schwarz-rot goldene Auswahl bilden. Die Abwesenheit von Eifersüchteleien, Egoismen und Eitelkeiten erklärt sich eine wie Petkovic schlicht durch die Tatsache, „dass wir uns einfach gegenseitig mögen“. Aber sie hat auch noch eine andere Idee, „warum das so ist mit unserer fröhlichen Mädelscombo, mit dieser klasse Stimmung“: „Wir alle, nicht nur Angie und ich, haben sehr starke Egos. Aber wir sind auch alle ungefähr gleich alt, haben über die vielen Jahre seit der Kindheit und Jugend gelernt, dass man mal weiter vorne, mal weiter hinten ist im Tennis. Konkurrenz wird akzeptiert, das ist keine Bedrohung, sondern Motivation. Du willst es besser machen als die anderen.“
So viele Charaktere, so viele Geschichten, so viel Spaß
Sie können sich auch ohne große Anstrengung in ihrer Verschiedenartigkeit akzeptieren, diese Protagonistinnen der erfolgreichsten deutschen Spielerinnengeneration seit den Tagen von Steffi Graf und Anke Huber. Da gibt es Kerber, die grundsolide, bescheidene, zurückhaltende Frontfrau, die von sich sagt, „dass sie keineswegs jeden Tag ihren Namen in der Zeitung lesen muss“, es sei denn wegen ihrer sportlichen Erfolge. Da gibt es Wimbledon-Finalistin Sabine Lisicki, die blonde Berlinerin mit dem Kosenamen „Bum Bum Bine“, die Glitzer, Glamour und dem roten Teppich keineswegs abgeneigt ist. Da gibt es Petkovic, die quirlige Wortführerin der Truppe, eine junge Frau, die sich sehr verblüffende und tiefsinnige Gedanken um Gott, die Welt und ihr Tennis macht. Da gibt es Julia Görges, die Norddeutsche, deren kühler Intellekt so schwer zu ihrem gefühls- und schwankungsintensiven Spiel passen will.
Da sind die hochbegabten Nachwuchskräfte Mona Barthel und Annika Beck, die nach erstklassigen Schulabschlüssen nun als tüchtige Forscherinnen die Welt des Wanderzirkus erkunden. Und da wäre auch noch die Stimmungskanone fast aus einer anderen Tenniszeit, die Neu-Saarländerin Anna-Lena Grönefeld, die als routinierte Doppelspezialistin gefragt ist. „So viele Charaktere, so viele Geschichten, so viel Spaß und Freude in der Zusammenarbeit mit allen“, sagt Barbara Rittner, die Fed-Cup-Chefin. Sie müsse nicht „dichten und erfinden“, sagt Rittner, um diese Ansicht zu formulieren: „Das ist ein verschworener Haufen. Die verstehen sich gut, die sind hier im Team auf ein gemeinsames Ziel fixiert. Nämlich endlich mal den Pott zu holen.“
Wird der Tennisbetrieb nicht gern und hartnäckig als Versammlung von Ego-Shootern beschrieben, als sportliche Branche, in der jeder Nächstenliebe übt, aber nur, weil er sich selbst der Nächste ist? Wie passt in diese scheinbare Neidgesellschaft, skizziert immer wieder auch als Rudel von Wölfen und Wölfinnen, die deutsche Freundschaftsromantik hinein? „Neid“, fragt Petkovic rhetorisch zurück, wenn sie Argwohn zu hören bekommt, „was ist Neid für mich?“ Und gibt die Antwort: „Wenn man Neid definiert als etwas, was ich auch gern hätte im Tennis, dann bin ich neidisch. Ich wäre gern wieder in einem Grand-Slam-Viertelfinale und in den Top Ten, klar doch. Aber ich definiere Neid als etwas, was man einem anderen nicht gönnt. Und da ist bei mir total Fehlanzeige.“
„Bei uns steht Team nicht nur auf dem Trainingsanzug drauf.“
Doch gilt das für die anderen auch, eben auch für die anderen im Porsche Team Deutschland? Da muss Petkovic keinen Moment lang zögern, nicht mal einen Moment lang überlegen: „Das unterschreibe ich für jede in unserem Team bedenkenlos.“ Kerber kann da nichts anderes berichten: „Wenn eine von uns etwas Großes erreicht, so wie Sabine Lisicki im vergangenen Jahr in Wimbledon, dann freuen sich alle mit. Gleichzeitig sind solche Erfolge Motivation, das auch einmal zu schaffen.“ Lisicki sagt, sie habe bei ihrer Wimbledon-Mission auch jene besondere Sympathie und Zuneigung der Teamkameradinnen gespürt, die sie Spiel für Spiel aus der Nähe und Ferne aufmunterten: „Bei uns steht Team nicht nur auf dem Trainingsanzug drauf. Wir leben diesen Begriff.“ Spiele man einmal gegeneinander, sei das auch kein Problem, sagt Görges: „Mir wird nicht jemand unangenehm, weil ich gegen ihn verliere. Das muss man auseinanderhalten, die Emotionen klar trennen.“
Exemplarisch für das deutsche Projekt des Miteinanders im Tennis-Gegeneinander ist die Geschichte der Freundinnen Petkovic und Kerber. Dass es Petkovic war, die Kerber im Sommer 2011 mit einer Einladung ins Offenbacher Trainingscamp auf die richtige Spur brachte, ist der seltsame Prolog dazu. „Ohne Andrea stünde ich heute nicht da, wo ich stehe“, sagt Kerber, „sie hat mich damals aus meinem Frust rausgeholt.“ Und aus der Verzweiflung, nicht mehr zu wissen, wie sie in ihrer Karriere „noch vorankommen sollte.“ Und weg von den zeitweiligen Gedanken „aufzuhören, weil das Ganze ja doch keinen Sinn mehr macht.“ Schon bei den US Open zeigte sich damals eine völlig verwandelte Kerber, mit mehr Mumm, mehr Fitness, mehr Widerstandskraft. Und mit dem Wissen, „dass ich ganz viel erreichen kann, wenn ich nur an mich glaube.“ Dass sie die Freundin und Animateurin Petkovic schon bei diesem Turnier übertrumpfte, war zwar auch einer glücklichen Auslosung geschuldet. Aber von Zufälligkeiten sprach bald schon keiner mehr. Nicht Fans und Experten. Nicht Kerber selbst. Sowieso nicht Bundestrainerin Rittner. Aber auch nicht Petkovic.
„Wir sind als Freundinnen sogar zusammengewachsen.“
Viele blickten in jenem Herbst vor bald drei Jahren noch auf die Südhessin, die in einer verzweifelten, vergeblichen Anstrengung versuchte, ein WM-Ticket zu ergattern, aber in ihrem Windschatten vollzog sich schon der stete, beharrliche, unaufhaltsame Aufstieg Kerbers. Mit der totalen Neuvermessung der Tenniswelt, der verwandelten sportlichen Hackordnung, hatten sie beide keine Probleme, die so gegensätzlichen Charaktere. „Wir sind als Freundinnen sogar zusammengewachsen“, sagt Petkovic, „verblüffend, oder? Aber wir gönnen uns beide nur das Schönste und Beste. Wo liegt das Problem für mich zu akzeptieren, dass Angie nun die Bessere ist? Ich bin selbstbewusst genug, um nur auf mich zu gucken.“ Wobei Petkovic noch so dezent und generös ist zu verschweigen, dass sie auch und vor allem abgerutscht war, weil sie zwei richtige Seuchenjahre hinter sich hat, mit reihenweise schweren Verletzungen.
Petkovic kommt sogar ins (nicht ganz ernste) Grübeln, ob was faul sein könnte im Tennisstaate Deutschland mit der freundschaftlichen Mädelsclique: „Ja, manchmal denke ich: Müsste es nicht mal eine geben, die es krachen lässt, die mal Stunk macht? Denn nach Niederlagen mit dieser Truppe fällt es schwer, einen Grund zu finden, warum es nicht geklappt hat.“ Doch schon im nächsten Moment sagt sie, die Vor-Denkerin: „Wir mussten in den vergangenen Jahren alle schwere Erfahrungen machen. Jede hat als Nummer 1 im Team mal so richtig einen Ausrutscher hingelegt. Aber alle sind stärker aus diesen Niederlagen rausgekommen. Wir sind jetzt reif für was Großes.“