„Am Anfang gibt es keine Grenzen“

Als Michael Mauer den ersten Porsche Panamera zeichnete, war das sowohl für Porsche als auch für Mauer persönlich eine Herausforderung. Der Erfolg gab ihnen Recht. Mit dem neuen Panamera stehen beide deshalb vor ganz neuen Herausforderungen.

Michael Mauer, wie viel Risikobereitschaft braucht ein Designer?
Natürlich müssen wir mutig sein, wir müssen immer wieder provozieren und Alternativen zur Debatte stellen. Die Frage ist vielmehr: Wie weit gehen wir? Und wie ist mein Verhältnis zu meinen Chefs?

Woran machen Sie fest, ob Sie mit Ihren Entscheidungen weit genug oder gar zu weit gegangen sind?
Gut festmachen lässt es sich an der ersten Reaktion, wenn Sie intern ein neues Modell vorstellen und von den entsprechenden Personen direkt gesagt bekommen: »Das ist jetzt aber kein Porsche mehr«, oder »Das ist jetzt kein VW mehr«. Dann wissen Sie, Sie sind ein Stück weiter gegangen als es für jemanden, der sich nicht so intensiv damit beschäftigt, nachvollziehbar ist. Wenn Sie selbst aber von Ihrem Vorschlag überzeugt sind, dann lohnt es sich auch, dafür zu kämpfen.

Flapsig gefragt: Ermutigen Sie Ihre Designer zu mutigen Lösungen?
Für eine gute Antwort müsste man die Kollegen selbst fragen. Ich halte es so, dass es am Anfang eines Projekts keine Grenzen gibt. Andererseits bin ich dann auch derjenige, der ums Eck kommt und sagt: »Leute, das gefällt mir nicht, das geht zu weit ...« Ich bin also derjenige, der ermutigt, aber eben auch bremst.

Ist mutiges Design schön?
Nicht zwangsläufig, auch wenn Schönheit im Auge des Betrachters liegen mag. Mutig, das ist immer der schmale Grat zwischen nur anders, um anders zu sein, und anders, um besser zu sein. Aber was ist besser? Es gibt häufig Design, bei dem sehr mutig gearbeitet wurde, das dann aber am Markt nicht erfolgreich war. Da war man mutig, aber schön war es offensichtlich nicht.

Was zeichnet mutiges Design für Sie aus?
Ein guter Indikator ist immer, wenn ich merke, dass jemand beim Betrachten nicht sofort widerstandslos verdaut, sondern sagt: »Wow, jetzt bin ich überrascht!« Das zeigt mir, dass wir ein bisschen weiter gegangen sind, als man es erwartet hätte. Genau hier liegt die Schwierigkeit, denn manchmal geht man zu weit. Das ist im normalen Leben genauso. Ich fahre viel Ski, auch abseits der Piste, und dazu braucht es sicher eine gewisse Portion Mut. Nur, wenn Sie zu mutig sind, kann Sie das eben auch das Leben kosten.

Ist die Grenze zwischen Mut und Übermut eher fließend?
Ich denke schon. Je mehr Erfahrung man hat, je mehr Meisterschaft man hat, desto besser kann man seinem Bauchgefühl vertrauen. Je jünger und unerfahrener jemand ist, desto mehr lässt er sich wahrscheinlich vom Adrenalin pushen und neigt dazu, die Grenzen in den Bereich des Übermuts zu überschreiten.

Verschieben sich die Limits mit zunehmender Erfahrung stets nach unten?
Das würde ich nicht sagen. Die Grenzen können sich durchaus nach oben verschieben. Aufgrund der Erfahrung kann ich Risiken viel besser einschätzen. Je älter ich bin, desto mutiger kann ich sein, weil ich die Erfahrung und das Wissen habe, was der beste Weg, was der richtige Schritt ist. Es kann sich aber natürlich auch nach unten korrigieren, weil mich die Erfahrung gelehrt hat, bis hierhin und nicht weiter.

Ganz spontan: ein Beispiel für gelungenes, mutiges Design?
Der Panamera.

Das mussten Sie jetzt sagen!
Nein, ganz ehrlich. Mit einer Limousine, die nicht nach dem klassischen Drei-Box-Schema entwickelt wird, in ein Segment zu gehen, das Neuland bedeutet, das war schon mutig. Ein anderes Beispiel ist mein Lancia Stratos aus den 70er-Jahren. Verglichen mit all den anderen Sportwagen aus dieser Zeit fällt er hier klar aus der Reihe, und er war zwar sportlich erfolgreich, aber ein Verkaufsschlager war er nicht. Damals hätte man so eine Kiste kaufen müssen, mittlerweile sind die fast unbezahlbar.

Und mal außerhalb der Autoindustrie gedacht?
Das iPhone ist sicherlich ein Klassiker. Aber wirklich fasziniert bin ich von dem Dyson Ventilator, ich denk da immer: Über hunderte Jahre hatten Ventilatoren solche Flügel, und dann kommt da dieses Ding um die Ecke und steht ohne Propeller da. Dass das überhaupt funktioniert, finde ich schon klasse.

Fällt Ihnen auch ein Gegenbeispiel ein, ein Auto, bei dem etwas riskiert wurde und es gründlich in die Hose ging?
Hmm ... so spät in der Nacht ... vielleicht dieser eine SUV? Ein ganz hässliches Ding. Der Name fällt nur gerade nicht ein.

Uns fällt spontan der Fiat Multipla ein ...
Da kann man zumindest drüber nachdenken. Eigentlich ein schönes Konzept, man kann vorne zu dritt sitzen, die Seitenscheiben sind relativ aufrecht für mehr Schulterfreiheit, doch so richtig angekommen ist er nicht.

Generell gedacht: Geht unserer Gesellschaft im Vergleich zu früheren Abenteurern und Entdeckern etwas die Risikobereitschaft ab? Ein Kolumbus ist einfach losgesegelt, heute versuchen wir alles mit Simulatoren und Hochrechnungen abzusichern.
Schwierige Frage. Grundsätzlich gilt für mich, dass wir uns als Gesellschaft nicht weiterentwickeln können, wenn wir nicht die Bereitschaft zeigen, immer mal wieder etwas Neues zu wagen, auch Dinge, die mit einem gewissen Risiko verbunden sind. Ich stimme aber sicher zu, dass die Weltumsegler und Entdecker, aber auch die Rennfahrer früher ganz andere Typen waren. Ich meine, die Jungs haben sich ein Lederkäppi aufgezogen und sind dann mit 300 Sachen losgedonnert. Da war sicher viel mehr Wagemut dabei, vielleicht sogar mehr Übermut.

Zurück zum Design. Gibt es, vielleicht ähnlich der Angst des Schützen vor dem Elfmeter, eine Angst des Designers vor der finalen Form?
Angst nicht. Aber die Verantwortung ist da. Wenn man davon überzeugt ist, dass der Erfolg eines Modells zu einem großen Teil auch vom Design abhängt, und man weiß, dass davon wiederum Arbeitsplätze und der Erfolg der Firma abhängen,dann kann jeder nachvollziehen, dass man mit seinen Entscheidungen nicht zu leichtfertig umgeht. Auf der anderen Seite ist es so, wenn ich mich zwei Jahre intensiv mit einem Modell beschäftigt habe und viele Alternativen und Varianten habe kommen und gehen sehen, dann bin ich mir sicher, wenn ich eine Entscheidung treffe.

Sie haben uns im Zuge des CarWash-Beitrags für ramp #32 verraten, dass der Ur Panamera das erste Projekt unter Ihrer Leitung war. Welche Bedeutung hat der Panamera für Sie?
Er hat schon eine große Bedeutung für mich. Zunächst mal muss ich aber sagen, dass der Panamera tatsächlich das erste Projekt war, das ich vollständig unter meiner Leitung entwickeln durfte, wir haben zuvor ein paar andere Sachen gemacht, wie zum Beispiel den 997 GT3. Wie oben schon angesprochen, war die Entscheidung für den Panamera nicht einfach, schließlich war man sich im Haus einig, die Welt braucht jetzt nicht noch eine weitere konventionelle Limousine.

Was macht den neuen Panamera aus?
Zum einen haben wir am Grundkonzept mit dem Fließheck festgehalten und sehr subtil die Proportionen optimiert. Insgesamt ist das Auto ein bisschen nach hinten gerutscht, steht noch mehr auf der Hinterachse und geht für mich mehr in Richtung GT.

Sie fahren aktuell auch einen Panamera. Warum?
Für mich ist es die ideale Kombination. Wenn ich alles auf scharf stelle, ist es ein guter Sportwagen, und wenn ich die Heckklappe aufmache, die Rücksitze umklappe, bekomme ich mein Sport-Equipment rein. Ich schwanke immer bei der Farbe zwischen Schwarz und Silber.

Wieso?
Ich weiß nicht so genau. Wenn ich ein schwarzes Auto habe, denke ich, jetzt wäre ein Heller schön, damit sich so eine Seitenscheibengrafik besser absetzt. Man verbringt so viel Zeit damit, diese Grafik zu tunen und geht hunderte Male am Modell vorbei, um es noch ein bisschen besser zu machen, und am Schluss hat man ein schwarzes Auto mit schwarzer Scheibenfassung und man kann die Grafik gar nicht sehen. Dann hat man ein silbernes Auto und da wirkt die Grafik richtig gut, aber dann denke ich mir, jetzt wäre ein schwarzer Panamera auch wieder schön.

Wie wichtig werden Design und Designer für die Zukunft der Mobilität, für die Marken?
Jetzt geht es erst richtig los. Wenn man sieht, wie sich Antriebs- und Fahrwerkstechnik in den vergangenen 30 Jahren weiterentwickelt haben, dann mussten wir Designer Schritt halten und uns im gleichen Maße weiterentwickeln, dabei haben wir natürlich versucht, Marken- und Designsprachen zu entwickeln, die mehr die Identität unserer Produkte hervorbringen. Mit den neuen Technologien haben wir hier mehr Möglichkeiten als in der Vergangenheit. Deshalb glaube ich, dass es jetzt eigentlich erst richtig spannend wird.

Zumal die Elektromobilität ganz andere Ansprüche an ein Fahrzeugkonzept stellt wie ein konventioneller Verbrennungsantrieb?
Früher hatte man die Technik und die Menschen und musste definieren: großes Auto, kleines Auto, viele Menschen, viel Gepäck. Dieses Thema des Technikvorhalts wiegt heute aber immer weniger schwer. Man entscheidet: Soll der Platz für Menschen oder für Gepäck genutzt werden? Ansonsten kann man im Grunde aber eine vogelwilde Form drumherum bauen. Wie der Maybach in Pebble Beach, zum Beispiel.

Sie freuen sich also auf die Zukunft?
Absolut. Vor allem, weil ich glaube, dass Design noch viel wichtiger werden wird als in der Vergangenheit. Wir haben in den vergangenen Jahren darum gekämpft, nicht nur als kreative Spinner und Künstler wahrgenommen zu werden, sondern zu zeigen, dass man mit Design viel bewegen kann. Das ist sicher auch Firmen wie Apple mit zu verdanken. Jetzt aber Forderungen zu stellen, das ist nicht meine Art. Vielmehr bin ich der Typ, der erst mal Angebote macht, Ideen liefert, die so keiner bedacht hat. Die Kollegen sollen erkennen: Es lohnt sich, zu den Designern zu gehen.

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