Lernt die Milchverpackung sprechen und sagt, welches Müsli am besten zu ihr passt? Erkennt die Safttüte im Regal, dass der durstige Kunde müde aussieht, und empfiehlt ihm einen Power-Smoothie? Bestellt der Wasserkarton selbstständig Nachschub? Wenn einer weiß, wie die Lebensmittelverpackung der Zukunft aussieht, dann Roberto Franchitti. Der Londoner mit italienischen Wurzeln hält allerdings gleich dagegen: „Die Frage ist nicht das Wie, sondern vielmehr das Wo.“
Für Franchitti, Vice President für Forschung und Entwicklung im Bereich Carton Value & Economy bei Tetra Pak, dem weltweit führenden Hersteller für Karton-Getränkeverpackungen, gibt es mehr als eine Antwort, und zwar je nach Markt: „Wir sind weltweit präsent und produzieren rund 190 Milliarden Verpackungen pro Jahr – das sind zwanzig für jeden Menschen auf der Erde.“
Es gibt nicht „den“ Trend
Bei der Menge an Verbrauchern sind die Trends so unterschiedlich wie die Konsumentengruppen, wie das Beispiel der Milchprodukte zeigt: „In hoch entwickelten Märkten ernähren sich immer mehr Konsumenten vegan. Hier sind Alternativen zu Milchprodukten, zum Beispiel auf Sojabasis, sowie kalorienarme Getränke stark im Kommen. In anderen Märkten hingegen, zum Beispiel in China und dem Vorderen Orient, steigt die Nachfrage nach Milch.“
Auch die Verpackungsgrößen verändern sich. Franchitti hat kürzlich einen Kunden in Japan besucht – ein Land mit hohem Anteil an älteren Menschen. „Hier braucht man Verpackungen, die mit geringem Kraftaufwand zu öffnen sind, und kleinere Verpackungseinheiten.“ Der Hersteller hat bei Testreihen mit Senioren nachgewiesen, dass ein hoher Anteil von ihnen die üblichen familiengerechten Packungen nur mit Mühe handhaben kann. Außerdem hat die Konsumforschung gezeigt, dass 40 Prozent der Ein- Liter-Milchgebinde nicht vollständig ausgetrunken werden. Deshalb konnte der japanische Kunde von Tetra Pak seinen Marktanteil signifikant steigern, nachdem er auf kleinere Verpackungseinheiten umgestiegen war.
Die Konsequenz aus diesen Beispielen, so Roberto Franchitti: „Wir müssen auf alle Trends vorbereitet sein.“ Das gilt für die Verpackungen selbst, aber auch für die Abfüllmaschinen, die Tetra Pak im Werk Modena (Italien) fertigt. Da diese Anlagen in der Lebensmittelindustrie üblicherweise mehr als zehn Jahre in Betrieb sind, müssen sie sich an die zukünftigen, noch gar nicht bekannten Trends anpassen lassen.
Genau hier gab und gibt es Entwicklungsbedarf. Roberto Franchitti: „Unsere Hyperspeed-Maschinen füllen 40.000 Einheiten pro Stunde ab. Das sind 960.000 Einheiten pro Tag. Die Maschinen arbeiten extrem effizient und zuverlässig. Unseren Kunden waren hohes Produktionsvolumen und niedrige Kosten wichtig.“
Höheres Veränderungstempo
Heute hingegen ist Flexibilität gefragt – aus zwei Gründen. „Die Kunden wünschen individuellere Lösungen mit anderen Verpackungsformen, aber auch einer größeren Vielfalt an Inhalten.“ Außerdem hat sich das Veränderungstempo erheblich erhöht: „Früher gab der Handel mit seinen Aktionen und Kampagnen den Takt an. Jetzt sind es die sozialen Medien. Was heute in bestimmten Märkten und Szenen beliebt ist, kann morgen schon ‚out‘ sein. Das geht sehr schnell.“ Ein aktuelles Beispiel: „In den schwedischen Internetforen für Bodybuilder wurde verbreitet, dass Vollmilch ideal ist für den Muskelaufbau. Die Nachfrage nach entsprechenden Produkten stieg rasant – und sank ebenso schnell, als die Szene zum Magerquark zurückkehrte.“
Das bedeutet: Für die gesamte Lebensmittelbranche und somit auch für Tetra Pak kommt es darauf an, agiler zu sein und schneller auf Markttrends zu reagieren. Dazu muss man diese Trends erst einmal wahrnehmen und – wie Roberto Franchitti es ausdrückt – „die Gesellschaft und die Kunden sehr genau verstehen“. Deshalb ist nicht nur Tetra Pak in den sozialen Medien aktiv, auch Franchitti informiert sich via Facebook, Twitter und Co.
Modulares Maschinenkonzept
Wie aber setzt man diese Trends auf der Maschinenseite um – immer unter der Maßgabe, dass die Abfüllanlagen über mehr als ein Jahrzehnt rund um die Uhr hoch produktiv arbeiten? Die Antwort heißt: mit einem modularen Maschinenkonzept. Hier kommt Porsche Consulting ins Spiel. Zusammen mit Tetra Pak haben die Berater die Grundlagen für die nächste Maschinengeneration geschaffen, die vollständig modular aufgebaut sein wird. Dabei steht das Baukastensystem Pate, nach dem die Volumenhersteller der Automobilindustrie, zum Beispiel Volks wagen, ihre Fahrzeuge konstruieren.
Die neuen Maschinen werden sich flexibel an veränderte Anforderungen wie Verpackungsgrößen, Abfüllleistung und Zusatzfunktionen anpassen lassen, indem man einzelne Module einfach austauscht oder hinzufügt. Roberto Franchitti: „Der Kunde muss sich nicht mehr für viele Jahre entscheiden: Welche Größe will ich verpacken und welche Leistung soll die Maschine haben?“ Davon profitiert der Lebensmittelhersteller, aber auch Tetra Pak: „Wir können die Module baureihenübergreifend nutzen, das erhöht die Effizienz in Entwicklung und Produktion. Wir können auch die einzelnen Module per Container zum Kunden in Übersee verschiffen und die Anlage erst dort aufbauen – auch das spart Kosten.“
Automobilindustrie als Vorbild
Die von Porsche Consulting angewandte Methode aus der Automobilindustrie führt zu einer durchgängigen Modularisierung auf Basis des gemeinsam erstellten Pflichtenheftes und schließt sogar neue Funktionen ein. Zum Beispiel will Tetra Pak künftig das zum Reinigen der Maschinen verwendete Wasser zu 100 Prozent aufbereiten. Dafür benötigt man ein separates Modul.
In das Projekt wurden Verantwortliche aus der gesamten Wertschöpfungskette bei Tetra Pak eingebunden – vom Marketing über den Vertrieb sowohl der Verpackungen als auch der Maschinen bis zur Produktion und zum Service. Was hat Tetra Pak gelernt? Roberto Franchitti: „Die Berater haben uns eine neue Perspektive aufgezeigt. Sie haben uns gelehrt, wie man eine Maschine in Systeme und Subsysteme zergliedert und diese wiederum durch standardisierte Schnittstellen trennt und verbindet. Das war neu für uns. Jetzt übernehmen wir das Steuer und beginnen mit der eigentlichen Konstruktion der neuen Maschinengeneration.“
Neue Technologien
Parallel dazu bereitet Porsche Consulting gemeinsam mit Tetra Pak auch inhaltlich die neue Maschinengeneration vor. Giulio Busoni, bei Porsche Consulting Italia verantwortlich für die Konsumgüterindustrie: „Wir haben gemeinsam rund fünfzig digitale Anwendungsfälle und ihre Auswirkungen auf die Maschinenkonstruktionen untersucht. Dazu gehören beispielsweise Funktionen wie die Rückverfolgbarkeit der Gebinde und das Erfassen von qualitätsbezogenen Daten für jede Einheit, aber auch neue Technologien wie additive Fertigung und neue Architekturen für die Industrie 4.0.“ Damit ist Tetra Pak bestens vorbereitet auf die nächsten Schritte der Digitalisierung in der Lebensmittel- und Verpackungsindustrie.