Von dort reisen jährlich Millionen Fahrzeuge zum Kunden. Jetzt rüstet Eck die Transportketten für die Zukunft auf. Eines der Schlüsselthemen: Digitalisierung.

Andrea Eck führt durch eine fünf Hektar große Flachhalle aus den Achtzigerjahren. Links und rechts von ihr stehen akribisch aufgereiht neue Porsche-Modelle mit weißen Schutzhauben für jene Weltreise, die sie vor sich haben: Von Bremerhaven aus werden sie zu Kunden in die USA, in den Nahen Osten und nach Asien verschifft. Eck ist im Vorstand der BLG Logistics Group AG & Co. KG für das Automobillogistiknetzwerk verantwortlich. Sie kennt das Geschäft von der Pike auf: Bei der Volkswagen AG zeichnete sie viele Jahre für die Fahrzeuglogistik des Konzerns verantwortlich, bevor sie 2017 zum globalen Logistiker mit Hauptsitz in Bremen wechselte.

95.000 Autos passen auf das Gelände des Seehafenterminals

Eck liebt große Wagen und kleine Flitzer – das Terminal ist ein Paradies für Autofans wie sie und ihr Team. Die Fahrzeuge sind präzise und platzsparend angeordnet, 95.000 Autos passen auf das Gelände des Seehafenterminals. Man sagt: Es sei der größte Parkplatz Europas. Wahr ist: Auf dem Areal, das ungefähr so groß ist wie 330 Fußballfelder, werden tagtäglich Tausende Neuwagen bewegt, rund um die Uhr, das ganze Jahr hindurch. Die täglichen Abläufe managen Geschäftsführer Sören Krüger und der Leiter Gesamtbetrieb, Thomas Rech. „Bei uns fahren mehr als 2.000 Mitarbeiter acht Millionen Autobewegungen im Jahr“, erzählt Krüger, ein Mathematiker aus Bremerhaven, der seinen Job liebt. „Jeder Tag im Hafen ist anders und spannend“, sagt er, „weil wir immer Wind und Wellen ausgesetzt sind – und weil die Modellvielfalt und die Anforderungen der Autohersteller gestiegen sind.“ Diese Herausforderungen wirtschaftlich abzubilden, sei eine der Stärken des BLG Autoterminals.

Wie das geht, kann man von den obersten Etagen der acht riesigen Parkhäuser beobachten, in denen die Fahrzeuge sechsgeschossig gestellt werden: Autozüge aus den Werken der Hersteller rollen an Laderampen heran. Aus den Waggons werden die fabrikneuen Autos im Konvoi herausgefahren, auf Schäden geprüft und für ihre bevorstehende Schiffsreise nach Destinationen aufgereiht. Täglich bringen 26 Güterzüge 5.000 Autos von den Herstellerwerken zur Verladung nach Bremerhaven. An den nahen Kais rollen die Neuwagen später geordnet wie auf einer Ameisenstraße in den Bauch der Schiffsriesen. Oft liegen gleich mehrere der größten Autoschiffe der Welt im Hafen. Es sind sogenannte Roll-on-Roll-off-Schiffe, die innen wie Parkhäuser aussehen. Über Heck und Seitenluken können die Neuwagen besonders schnell an und von Bord gefahren werden. Auf den Ladedecks werden die Autos mit der Hilfe von Einweisern dicht an dicht geparkt. Rund drei Viertel aller Fahrzeuge sind Exporte, die vor allem nach China, Nord- und Südamerika gehen. Etwa ein Viertel sind Importe, vor allem aus den USA, Japan und Korea. Ein Großteil der Fahrzeuge wird in einem der drei BLG-Technikzentren gereinigt und inspiziert, umgerüstet und mit Sonderausstattungen versehen, bevor Lkws, Züge oder kleinere Schiffe die Fahrzeuge abholen.

Andrea Eck bereitet eine Art Terminal-Netzwerk 4.0 vor

Um die Transportketten für die Zukunft zu rüsten, geht Eck nun einen Schritt weiter: Ausgehend vom mehr als hundert Jahre alten Überseehafen bereitet sie eine Art Terminal-Netzwerk 4.0 vor: „Seit vorigem Jahr standardisieren wir unsere Prozessketten und erfassen diese digital“, berichtet die erfahrene Managerin. Alle Fäden des BLG-Autonetzwerks von der Autoproduktion bis zum Kunden, wozu europaweit 20 Standorte gehören, sollen in einem IT-Netz zusammenlaufen: Aufträge, Kundendaten, Statusmeldungen über Fahrzeuge und Verkehrsmittel, Flächenbelegungen, Fahrpläne. „Mit diesem Datenpool bekommen wir eine enorme Transparenz über die Abläufe im Netzwerk“, sagt Eck. „Wir erkennen unseren Bedarf und unsere Kapazitäten, die Prozesse werden stabiler und flexibler.“

Zukünftig sollen sogar äußere Bedingungen in die Terminalsteuerung einfließen: Wetterdaten, Verkehrswarnungen, Änderungen der Schiffsreisezeiten. Mithilfe künstlicher Intelligenz sollen selbstlernende Systeme und ein Frühwarnsystem etabliert werden, die auf drohende Störungen wie zum Beispiel Unwetter hinweisen. Bis 2020 soll das Planungsteam der BLG an einem Multitouch-Tisch, der das virtuelle Spiegelbild des komplexen Autoterminals zeigt, die Abläufe in Echtzeit steuern und Szenarien simulieren können. Fahrer erhalten dann die Aufträge über ihr Smartphone. „Uns leitet die Vision“, sagt Eck, „die Logistik für unsere Kunden einfacher, das heißt transparenter, schlanker und robuster, zu machen – und damit unsere Kunden erfolgreicher.“

Die BLG setzt auf Fortschritt

Einige der Digitalisierungsideen entstanden in einem Beratungsprojekt mit Porsche Consulting. „Für eine vorausschauende Planung ist es wertvoll, die gesamte Prozesskette zu betrachten“, sagt Berater Carsten Kahrs. Der Projektleiter und sein Team haben geholfen, die vorausschauende Planung als Basis für eine zukünftige Softwarelösung zu entwickeln, die Vernetzung mit Reedern zu verbessern, Stellflächen zu optimieren und Fahrzeugbewegungen zu reduzieren. „Die Produktivität auf dem Terminal wurde spürbar gesteigert“, sagt Geschäftsführer Krüger.

Die BLG setzt auf Fortschritt. Deshalb leistet sich das Unternehmen ein eigenes fünfköpfiges Innovationsteam. Es testet in 100-Tage-Projekten den Einsatz neuer Technologien, beispielsweise mit Drohnen, Datenbrillen und 3D Druck, Scanhandschuhen und Robotern. Zudem bereiten sich die Logistiker auf die Ankunft selbstfahrender Neuwagen vor. „Wir gehen fest davon aus, dass autonom fahrende Fahrzeuge Realität werden, die dann auch miteinander kommunizieren können“, sagt Eck. In der Industrie gebe es bereits die Vision, dass Neuwagen die Logistikwege mittels Güterzügen und Schiffen alleine bewältigen könnten. Daher bietet die BLG den Herstellern dafür Testflächen an – schließlich ist das Hafengelände ein einmaliger geschützter Raum ohne Ampeln oder spielende Kinder. „Viele Neuentwicklungen können Hersteller auf unserem Gelände hervorragend testen“, sagt Gesamtbetriebsleiter Rech. Möglich seien viele Optionen, etwa zu Steuerungsmodellen, Big-Data-Anwendungen oder zur Stromversorgung von Elektroautos.

BLG-Vorstandsmitglied Eck ist allerdings überzeugt: Es wird auch in Zukunft viele Tätigkeiten geben, die das Auto nicht alleine bewältigen kann – von der Organisation bis zum Verzurren auf Güterwaggons und Lastwagen. Auch neue Geschäftsmodelle seien denkbar. „Wir sind vorbereitet und stehen in engem Austausch mit unseren Kunden“, sagt Eck. „Wir haben die Erfahrung und wir haben die Technologien.“

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