August Achleitner ist eins mit sich. Und mit dem, was ihn bewegt. Wenn er die 35 Kilometer zwischen Zuffenhausen und dem Porsche-Entwicklungszentrum Weissach im 911 zurücklegt, dann kommt zusammen, was zusammengehört. Dann passen sie zueinander, der Mensch und die Maschine, kein Blatt dazwischen. Keinem anderen deutschen Sportwagen werden mehr Emotionen entgegengebracht. Wie kein anderer Sportwagen in dieser Welt steht der 911 für den scheinbar unvereinbaren Widerspruch: für das Puristische und den Komfort, für die Exklusivität und das Alltägliche, für das Design und die Funktionalität. Und für etwas, das ganz eindeutig ist: das Begehren. Da ist Achleitner nicht nur dabei. Er ist mittendrin.
Der neue Elfer ist sein dritter 911. „Leiter der Baureihen 718 und 911“ heißt seine Stellenbeschreibung, was der Sinnlichkeit der Aufgabe nicht annähernd gerecht wird. „Hüter des Grals“ nennen sie ihn fast ehrfürchtig, den Bewahrer einer Ikone, Teil eines großen Teams, aber doch irgendwie Kult, der – in der Harmonie des Ganzen – immer weiß, woher er kommt und wohin er will. Entscheidend ist für ihn, „dass der 911 ein Fahrgefühl bietet, das kein anderes Auto vermitteln kann“. Aber wie fühlt sich einer, der einen Mythos zu verantworten hat, der einen Job hat, um den ihn jedes Kind beneidet, der jedes Mal an einer Statue bildhauert? Wie schafft man es, dabei nicht an seiner Kunst zugrunde zu gehen, wie so mancher Komponist oder Dichter am eigenen Werk?
Achleitner: „Um ein Auto zu verstehen, muss man es hören“
Wenn er den 911 auf der Straße lenkt, tut er dies ohne Untermalung. Musik stört ihn, er achtet penibel auf andere Klänge: „Um ein Auto zu verstehen, muss man es hören“, sagt er. Diese Konzentriertheit im Handeln prägt auch seine Arbeit im Büro in Weissach: „Ich bin zu sehr Ingenieur.“ Gedankenpause. „Aber auch nicht so rational, dass ich nicht zur Begeisterung fähig wäre.“
Und schon erzählt er, wie so viele Porsche-Fahrer, vom ersten Mal. Er wird es nie vergessen, wie er 1983 einen Carrera für ein Wochenende bekam, ein neues 911 Cabriolet. Rot. Er lebte damals in München und fährt noch heute im Kopf jede Kurve nach, die er an diesem Tag gefahren ist: Kesselberg, Kochelsee, hintenrum nach Garmisch-Partenkirchen. „Es war ein so fantastisches Erlebnis.“
Man muss sich in jenes Jahr zurückversetzen, um die Magie dieses Tages zu verstehen. Der junge Ingenieur Achleitner ist seit seiner Kindheit mit hochwertigen Autos vertraut. Sein Vater, Hauptabteilungsleiter bei BMW, dort zuständig für Fahrzeugkonzepte, kommt häufig mit neuen Modellen der eigenen Marke oder mit Fahrzeugen anderer Hersteller nach Hause. Die Naherfahrungen prägen den Sohn, auch sein Verhältnis zu Porsche und zum 911: „Von damals drei Porsche-Typen war das eigentlich der technologisch am wenigsten fortgeschrittene.“ Etwas bieder in seinen Augen, wenn nicht sogar ein wenig altmodisch, eher etwas für Traditionalisten, die Gusseisernen. Achleitner will zum Beispiel verstehen, warum der 911 Ausstattungsmerkmale nicht hat, die bei anderen Modellen schon üblich sind. Das Antiblockiersystem zum Beispiel, erkennt er, „genügte den 911-Ansprüchen nicht.“ Zugleich faszinierte ihn „die Strahlkraft“ des Sportwagens, „seine einzigartige Form und das Konzept. Ein Heckmotor galt damals als exotisch.“ Er heuert bei Porsche in der Fahrwerksentwicklung an – und erkennt die Chance, „Dinge besser zu machen, aber das Konzept zu erhalten. Denn der 911 ist nicht austauschbar.“ Diese Haltung gilt bis heute. Deshalb hat der neue Porsche 911 trotz Full-HD-Display im Advanced Cockpit auch weiterhin einen zentralen, ganz klassischen analogen Drehzahlmesser.
Die aufregendsten Porsche-Jahre: 1991 und 1992
Doch damals, als Achleitner bei Porsche seinen Ruf begründet, sind die Probleme wesentlich elementarer: Die neue Generation des 911 soll besser um die Kurven fahren, und zwar auf Basis ganz neuer Erkenntnisse und Berechnungsmethoden. Achleitner und seine Kollegen machen sich sofort an die Arbeit. Immer weiter optimieren die Ingenieure aus Weissach den 911 vom G-Modell über den 964 bis zum letzten luftgekühlten 911: „Der 993 etwa war schon ein großer Schritt im Vergleich zu den Generationen davor“, erinnert sich Achleitner.
Dabei sollte das Beste noch kommen. Wenn Achleitner heute danach gefragt wird, wann die aufregendsten Porsche-Jahre für ihn waren, gibt er die überraschende Antwort: 1991 und 1992. Das Unternehmen in der Krise. Untergangsstimmung. „Ein Ruck ging durch die Mannschaft.“ Wechsel in der Produktpolitik. Der Boxster – der Porsche für Einsteiger – „endlich“. Der 911, Typ 993, kommt. Rettung. Beim Nachfolger, Typ 996, ist Achleitner bereits für die Fahrzeugkonzeption zuständig. Die komplette Baureihenverantwortung übernimmt er 2001, vor zwei Jahren kam noch die 718-Baureihe hinzu.
Auch im Privaten befasst er sich immer häufiger mit beruflichen Aufgaben: „Den Radstand des 996 haben wir Sonntagnachmittag beim gemeinsamen Kaffee festgelegt“, sagt er. „Acht Zentimeter plus.“ Beim Typ 997 lernt der neue 911-Chef erstmals den gesamten Zyklus der Entwicklung kennen: „Du agierst mehr oder weniger vier Jahre im Verborgenen, geheim, vertraulich. Und dann gehst du an die Öffentlichkeit und bekommst das Feedback für fast ein halbes Jahrzehnt Arbeit auf einen Schlag.“ Er spürt „enorme Spannung“, denn „manche Entscheidungen kommen aus dem Bauch“. Umso mehr freut er sich über begeisterte Kunden und eine gute Medienresonanz.
Dabei ist Achleitner Treiber und Getriebener zugleich. Denn Ingenieure sind immer eine Evolutionsstufe voraus. Und manchmal auch eine Fahrstufe: Der neue 911 verfügt erstmals über ein Porsche-Doppelkupplungsgetriebe (PDK) mit acht Gängen inklusive der sogenannten Blitzschaltung. Ein echter Zugewinn an Fahrgenuss. Der achte Gang fungiert als zweiter Overdrive. Das spart Benzin. Und: „Die Gänge sind noch harmonischer abgestimmt.“ So gerne Achleitner entspannt über die Pässe Europas fährt, so wenig kann er dabei den Entwickler in sich ausblenden: „Der Ingenieur in mir bricht schlagartig durch, wenn das Auto nicht das tut, was ich will.“ Dann wird in Weissach so lange daran gearbeitet, bis Achleitner sagt: „Jetzt ist er so, wie er sein muss.“ So lange, bis er begeistert ist, wie vor Kurzem, als er in Tirol in heftigen Regen kam und den neuen Porsche Wet Mode aktivierte: „Die Regelsysteme funktionieren extrem sensibel. Der Unterschied ist absolut deutlich. Das gibt es anderswo nicht.“
Motorradfahren macht bessere Autofahrer
Der Rationalist ist sensibel und voller Gespür. Er „fühlt“ seine Sportwagen, auf der Nordschleife des Nürburgrings oder eben auf seiner Lieblingsstrecke nach Tirol. Hinter dem Lenkrad eines Elfers ist das Business, auf dem Motorrad herrscht die Passion. Heute ist er überzeugt: Motorradfahren macht bessere Autofahrer. „Auf dem Motorrad muss man seine Umgebung viel stärker im Auge behalten. Man ist sensibler für Gefahrensituationen, hat ein größeres Gesamtbild von der Verkehrslage und wird aufmerksamer für das, was das Fahrzeug unter einem macht und wie es reagiert.“
Der fünffache Motorradweltmeister Toni Mang ist deshalb Achleitners Held der Jugend. Und natürlich: Walter Röhrl, „eine eigene Dimension“. Längst ist ihm das Idol zum Freund geworden. „Ich finde ihn super, weil er authentisch und ehrlich ist. Manchmal auch etwas unbequem, aber er sagt die Dinge so, wie sie für ihn sind. Ich glaube, da bin ich nicht viel anders.“
Es gibt so vieles, was Achleitner mit Röhrl verbindet
Es gibt so vieles, was Achleitner mit Röhrl verbindet: „Das geht über das Thema Auto deutlich hinaus. Walter ist begeisterter Sportler, Mountainbiker, Skifahrer, Frühaufsteher und einer, der nicht bis um zwei in der Nacht herumhängt. Ich bin genauso, mir ist der nächste Tag zu wichtig.“ Manchmal sitzt Achleitner andächtig neben Röhrl auf dem Beifahrersitz, tief beeindruckt von der Ruhe, die der zweifache Rallyeweltmeister ausstrahlt. Auch der 911-Chef ist ruhig am Lenkrad.
Vielleicht verstehen sich die beiden auch deshalb so gut, weil Röhrl und Achleitner nicht nur ähnlich denken, sondern auch ähnlich lenken. Der eine im Auto, der andere im Unternehmen. Achleitner schöpft Kraft aus dem Inneren – Hektik ist ihm fremd. Andere mögen sich ereifern. Er ist dann ganz bei sich. Auch jetzt, wo sich der neue Elfer erstmals öffentlich zeigt. Es ist August Achleitners Grande Finale als Leiter der Baureihen 718 und 911.
Verbrauchsangaben
911 Carrera S: Kraftstoffverbrauch kombiniert 8,9 l/100 km; CO₂-Emissionen kombiniert 205 g/km;
911 Carrera 4S: Kraftstoffverbrauch kombiniert 9,0 l/100 km; CO₂-Emissionen kombiniert 206 g/km
Info
Text erstmalig erschienen im Porsche-Kundenmagazin Christophorus, Nr. 389