Hochzeit bei Porsche

Autobauer in der ganzen Welt sprechen von der „Hochzeit“, wenn sie auf der Fertigungslinie Fahrwerk, Getriebe und Motor in die Karosserie einsetzen. Auch in Zuffenhausen, wo die Zeremonie auf ganz spezielle Art abläuft.

Der Besuch im Bau 60 beginnt mit einer Irritation. Roboter. Wo sind die Roboter? Vergebens sucht der Beobachter von Geisterhand bewegte Maschinen. Bei den großen Volumenherstellern wirbeln bis zu 15 Roboter in einem vergleichbaren Produktionsabschnitt herum. Hier in Zuffenhausen arbeiten im Zentrum der Montage hochmotivierte Mitarbeiter in Zweier-Teams. Nicht aus nostalgischen Gründen wird das Herzstück – der Boxermotor – per Hand direkt im Fahrzeug verbaut. Bei der Variantenvielfalt und Komplexität sind die Hochzeitswerker aus Zuffenhausen unschlagbar. „Wir haben hier mit Absicht keinen hohen Automatisierungsgrad“, erklärt Fertigungsleiter Mario Pawlowski, „Wir müssen hier auf engstem Raum schwere, komplexe Teile in hoher Varianz mit Präzision und zuverlässiger Technik verarbeiten.“ 

Unter „engstem Raum“ verstehen Pawlowski und seine Werker den Motorraum der Modellreihen 911 und Boxster. Hier bleibt vor und nach dem Einbau des Motors tatsächlich wenig Luft oder Platz. Jeder Kubikzentimeter ist ausgenutzt – restlos.  Fertigungsleiter Pawlowski und Fertigungsplaner Schnabel sind die Zuffenhausener Zeremonienmeister der Hochzeit. Allein die Vielfalt der 280 Achsenvarianten schließt nach ihrer festen Überzeugung eine Automatisierung aus. Hinzu kommen 20 Motor-/Getriebe- und 10 Karosserie-Varianten. Es gibt im ganzen Werk in Zuffenhausen nur diesen einen Punkt für die Hochzeit. Ob Mittel- oder Heckmotor, Turbo oder GT3, Allrad- oder Heckantrieb. 

Hochzeit, Zuffenhausen, 2014, Porsche AG
Handarbeit bei der „Hochzeit“

Der eigentliche Hochzeits-Akt geht derart schnell über die Bühne, dass der unvorbereitete Zeuge, den Höhepunkt schon einmal verpassen kann. Fast lautlos schweben die bereits lackierten und vormontierten Karosserien von 911 und Boxster auf der Gehängestrecke heran. Es gilt noch eine 90-Grad-Kurve zu absolvieren, im selben Moment nähert sich das Fahrwerk mit Motor auf der so genannten Lafette – dem mobilen Träger der Achsen und des Motors. Die Karosserie und die Lafette synchronisieren sich, dann hebt sich die Lafette. Die Zweier-Teams fixieren das Aggregat zügig und routiniert – ohne jede Hektik. Wenn Mitarbeiter mit hochmodernen und überwachten Elektroschraubern das Fahrwerk inklusive Motor befestigen, ist es auch schon vorbei. Hochpräzise Sekundenarbeit, doch immer wieder anders. So gut wie nie kommen zwei identische Hochzeitspaare nacheinander zu ihrer Vermählung.

Die Variantenvielfalt verhindert bei den Hochzeitswerkern jede Gefahr einer fehleranfälligen Monotonie. Manches Motoren-Kraftpaket benötigt sogar einen dritten Mann, damit es bei der Hochzeit unter die Haube kommen kann. So muss beim Turbo-Motor ein zusätzlicher Werker einspringen, um die komplexe Zusatztechnik  zu verbauen. Logischerweise heißt der dritte Mann „Turbowerker“. Schnabel: „Der ersetzt den dritten Arm bei der festen Mannschaft.“ 

Schon beim Prototypenbau einer neuen Modellgeneration sind die Mitarbeiter an Bord. „Wir haben hier ein unglaubliches, über die Jahre gewachsenes Know-how, deshalb ist es sinnvoll, in einer sehr frühen Projektphase die Mitarbeiter in den Entwicklungsprozess einzubinden. Wir leben hier unsere Philosophie „Aus Betroffenen Beteiligte machen“, sagt Pawlowski. „So bringt sich Jeder aktiv in den Gestaltungsprozess ein.“ Oft sind es kleine Details und Ideen, die anschließend Teil des Ganzen werden. Ein Beispiel: Damit überstehende Kabel beim Einbau nicht an der Karosserie hängenbleiben, hält zuerst ein  extra konstruierter Halter die Kabel zusammen. Erst im Motorraum wird dieser abgelöst und die Kabel werden verlegt.

Ihren Stolz hier zu arbeiten, verbergen die wenigsten. „Erst nach der Hochzeit kann man eigentlich von einem richtigen Auto sprechen“, sagt beispielsweise Mustafa Kocyigit. Der Produktionsmeister ist auch nach vielen Jahren von seiner Arbeit begeistert und scheut sich auch nicht, tiefgründige Vergleiche anzustellen. „Es ist wie eine Schöpfung. Hier wird jedem Porsche das Leben eingehaucht“, sagt Kocyigit. „Jedes Fahrzeug ist absolut präzise und sicher verschraubt. Der Kunde kann nun darauf vertrauen, dass er seinen Wagen mit mehr als  300 Stundenkilometer schnell auf einer Rennstrecke bewegen kann“, sagt Kocyigit. Mindestens so wichtig ist für den Meister, dass er mit seinem hochmotivierten und kompetenten Team  mehr als 200 Mal am Tag einen echten Bund fürs Leben geschlossen hat. Bei einer faktisch nicht-existierenden Scheidungsrate. Welcher Standesbeamte kann derartiges schon von sich behaupten?

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