Ein Mann für viele Gangarten

Fritz Enzinger ist Leiter LMP1 bei Porsche. Mit rund 200 Mitarbeitern bereitet er in Weissach die Rückkehr nach Le Mans vor. Ein Porträt.

Ein weißes Blatt Papier. Damit begann Fritz Enzinger Ende 2011 in Weissach. „Die Chance, bei Porsche ein so anspruchsvolles Projekt von null auf anzulegen, die Strukturen zu schaffen, die Mannschaft zusammenzustellen, die Prozesse aufzusetzen, um ein ganz neues Rennauto in einem Haus zu erschaffen“, zählt der studierte Maschinenbauingenieur auf, „das ist ein Traum.“ Er spricht schnell, denn er hat keine Zeit zu verlieren. Dementsprechend kurz heißt sein Projekt LMP1. Liest sich schlicht, ist aber spektakulär. Das Kürzel übersetzt sich in Le Mans Prototyp Klasse 1. Das sind die, die um den Gesamtsieg fahren, die das Zeug zur Legendenbildung haben.

Als Enzinger in Weissach anfing, waren für das Projekt 15 Mitarbeiter abgestellt und zwei Gebäude in Planung. Mitte 2013 war der angestrebte Personalstand von 200 erreicht. „Anfangs waren wir auf vier Häuser verteilt“, erinnert sich Enzinger. „Aber so baut man kein Team auf. Wir arbeiteten dann drei Monate in einem Container. Es war zwar bloß ein Container, aber wir waren wenigstens alle zusammen drin.“

Der Österreicher kennt den Rennsport aus allen Perspektiven. Nach seinem Studium kam er 1981 als Fahrwerksingenieur zu BMW, wo er fünf Jahre später in die Motorsportabteilung wechselte. Dort blieb er ein Vierteljahrhundert. Dieser Steirer pflegt, was ihm gefällt. Er füllte Management-Funktionen in den verschiedensten Programmen aus. Tourenwagen, Sportwagen, Formel 1 – Einkauf, Logistik, Sponsoring, Networking. Er hat durch und durch verstanden, wie Motorsport funktioniert. Technisch, politisch und im Wettkampf.

Es gibt keine unwichtigen Details

Erst das weiße Blatt Papier bei Porsche lockte ihn aus München weg. „Wenn man BMW toppen will, muss es Porsche sein“, verdichtet er seine Markenphilosophie. Am Rennsport faszinieren ihn Komplexität und Messbarkeit. „Es gibt keine unwichtigen Details“, weiß Enzinger. „Man darf nichts vernachlässigen, muss alles im Blick haben. Der Unterbau muss stimmen, von oben braucht es Rückendeckung.“

Das Projekt verschlingt ihn, aber er geht darin auf. Es hat Monate gedauert, bis er erstmals den Blick von der Terrasse seines möblierten Apartments bei Tageslicht sah. Technische Synergien für die Serienentwicklung sind das übergeordnete Interesse. Teamgeist ist dabei nicht nur an der Rennstrecke die oberste Maxime. Das LMP1-Projekt umfasst viele Mannschaften, die zusammen ein großes Team sind. Mit klaren Verantwortlichkeiten. „Es muss jeder an dem Platz sitzen, den er am besten ausfüllt und wo er sich am wohlsten fühlt. Sonst verschwenden wir Energie.“

Seine gläserne Bürotür ist immer offen und passt damit zu dem Menschen dahinter. Enzinger kommt ganz ohne Dünkel aus, Vertrauen und Loyalität sind ihm wichtiger. Mit zwei großen Zielen ist er in Weissach angetreten: Erstens eine optimale Struktur für die Rückkehr des Unternehmens in die Topkategorie der Sportwagenweltmeisterschaft aufzubauen. Zweitens möglichst bald mit Porsche in Le Mans zu gewinnen. „Die Voraussetzungen sind geschaffen, jetzt müssen wir liefern“, weiß er.

Eine Pferdestärke, natürliche Traktion

Im Juni 2013 absolvierte der LMP1-Prototyp in Weissach seinen Rollout, seither läuft das Testprogramm für den 919 Hybrid auf internationalen Rennstrecken. Absoluter Höhepunkt der World Endurance Championship (WEC) sind die 24 Stunden von Le Mans am 14. Und 15. Juni. „Angesichts der Konkurrenzsituation wird das ein 24-Stunden-Sprint“, sagt Enzinger mit Verweis auf die Engagements von Audi und Toyota. Der LMP1-Chef wirkt wie aufgezogen. Mit jeder Faser strahlt er Begeisterung und Leidenschaft aus für den Sport.

Geht es immer nur schneller und weiter? Er schüttelt den Kopf und sagt nur: „Island“. Sein Lieblingsreiseland. Sein Synonym für Ruhe, der Name des Kontrastprogramms. Seine mittlerweile erwachsene Tochter importierte die Leidenschaft für Pferde und riss ihre Eltern mit. Pferde gehören heute in München zur Familie. „Wenn ich im Urlaub in der Früh ausreite, die klare Luft und das Tier spüre, dann finde ich Ruhe“, erzählt Fritz, der Familienmensch. „Ich komme runter und weiß auch wieder, was wirklich wichtig ist.“ Der salzige Wind vom Meer, unbeschlagene Hufe auf Lava. Eine Pferdestärke, ganz natürliche Traktion. Enzinger kennt sich aus mit den Pferden aus dem hohen Norden. Nur zu gern referiert er über das Tölten, eine angeborene, besondere Gangart dieser Spezies.

Der Mann hat Siege in sämtlichen Tourenwagenkategorien, in der FIA GT-Weltmeisterschaft, in Le Mans und in der Formel 1 gefeiert. Was ist für ihn sein bisher größter sportlicher Erfolg? „Dass ich bei meinem ersten Ausritt nicht aus dem Sattel gefallen bin.“ Das LMP1 Projekt hält ihn auf Trab. Die Zeit bis zum nächsten Renneinsatz galoppiert.

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