Entwicklungslabor Motorsport

Was haben Motorsport und Nachhaltigkeit miteinander zu tun? Bei Porsche hat der Technologietransfer zentrale Bedeutung. Serienfahrzeuge sind die wahren Profiteure des Rennsports.

Motorsport und Porsche sind untrennbar miteinander verbunden. Bereits das erste Fahrzeug der Marke beweist die Stärke dieser Kombination. Wenige Tage, nachdem der 356/1 die Straßenzulassung erhalten hat, gewinnt das Auto das Innsbrucker Stadtrennen – im Juli 1948. Schon damals geht es um Erkenntnisse für die technische Weiterentwicklung; sie fließen in die folgenden Serienfahrzeuge ein. Der 356/1 ist die Initialzündung.

An diesem Rezept hat sich bis heute nichts geändert. Der Motorsport liefert wichtige Erkenntnisse für Serienfahrzeuge. Umgekehrt gibt die Serie Impulse für die Rennfahrzeuge – Technologie-transfer in beide Richtungen.

Der aktuellste Technologieträger im Motorsport: der Porsche 919 Hybrid

Mit dem 919 Hybrid gewinnt Porsche 2016 zum achtzehnten Mal die 24 Stunden von Le Mans sowie die Hersteller- und Fahrerweltmeisterschaft. Bei jedem Rennen: Fahren im absoluten Grenzbereich des derzeit technologisch Möglichen. Der Hybridantrieb im 919 Hybrid verbindet innovative Downsizing-Turbotechnologie mit effizienter Benzindirekteinspritzung für den Zweiliter-V4-Verbrennungsmotor und nutzt eine Lithium-Ionen-Batterie als Speichermedium für die elektrische Energie aus zwei unterschiedlichen Rückgewinnungssystemen (Bremsenergie von der Vorderachse und Abgasenergie). Der 919 Hybrid erreicht bei nur 875 Kilogramm Gewicht eine Systemleistung von rund 900 PS und liefert Porsche entscheidende Impulse für die Entwicklung künftiger Straßensportwagen.

919 Hybrid, Paul Ricard, Frankreich, 2016, Porsche AG
Der Porsche 919 Hybrid

Dagegen ist der Porsche Mission E der aktuellste Technologieträger unter den Porsche Serienwagen. Auch er ist unterwegs in einem Grenzbereich – dem der künftigen sportlichen, emissionsfreien Mobilität. Seine Produktion ist beschlossene Sache. Ende dieses Jahrzehnts kommt der erste rein batteriebetriebene Straßen-Sportwagen aus Zuffenhausen in die Showrooms. Mehr als eine Milliarde Euro steckt Porsche in dieses Projekt.

Kleines Daten-Einmaleins des Mission E

Über 500 Kilometer Reichweite, Rekord-Ladezeit. Eine Systemleistung von mehr als 600 PS. Allradantrieb mit Porsche Torque Vectoring. Allradlenkung. Leichtbaukarosserie, niedriger Schwerpunkt mit Lithium-Ionen-Batterie im Unterboden, optimale Gewichtsverteilung, ausgewogene Balance, perfekte Aerodynamik. Das Ergebnis sind herausragende Fahrleistungen und höchste Dynamik: 3,5 Sekunden auf 100 km/h, weniger als 12 Sekunden auf 200 km/h, über 250 km/h Höchstgeschwindigkeit, weniger als acht Minuten für die Nürburgring-Nordschleife – wenn man will.

„Mission Future Sportscar“ – so überschreibt Porsche das Engagement im Motorsport und bringt es damit auf den Punkt: Das Unternehmen ist davon überzeugt, dass Rennsportwagen immer ihre Bedeutung für die Marke haben werden. Doch die Autos wandeln sich – zum Beispiel in Richtung Emissionsfreiheit. Die Aufgaben auf dem Weg dorthin sind keineswegs trivial; nicht einmal für einen Sportwagenhersteller mit der Erfahrung tausender Rennerfolge im Rücken. Denn es geht nicht um Minimalziele, sondern um den besten Sportwagen überhaupt: das perfekte und ausgewogene Gesamtpaket aus Performance, Umweltverträglichkeit und sozialer Akzeptanz.

Der 919 Hybrid ist so ein perfekter Sportwagen unter den Le Mans-Prototypen – „wie so oft der beste seiner Zeit“, sagt Fritz Enzinger, Leiter des LMP1-Projekts. „Auf höchste Effizienz getrimmt, bei Antrieb, Leichtbau und Aerodynamik.“ Für die Rennsaison 2016 reduziert das WEC-Reglement erneut den vorgeschriebenen Kraftstoffkonsum sowie dessen Durchflussmenge. So verhindert das Regelwerk, dass die Le Mans-Prototypen endlos schneller werden und befeuert gleichzeitig den Eifer der Ingenieure, immer mehr Leistung aus immer weniger Kraftstoff zu generieren. Effizienz-Maximierung und Elektrifizierung sind die entscheidenden Eckpunkte.

Szenenwechsel, Testlabor Rennstrecke

Zwei Tage im März 2016. Der Ort: Circuit Paul Ricard in Südfrankreich. Porsche hat einen 30-Stunden-Test mit dem 919 Hybrid angesetzt, um sich auf die kommende Rennsaison vorzubereiten. Eine übliche, aber alles andere als einfache Übung, denn sie fordert Menschen und Maschine immens. Woher kommt die 30-Stunden-Zeitvorgabe?

„24 Stunden dauert das Rennen von Le Mans, das härteste Langstreckenrennen der Welt“, sagt Porsche Team Principal Andreas Seidl. „Noch ein paar Stunden dazu – danach wissen wir genau, wo wir stehen.“ Genau 31,7 Stunden und insgesamt 5.939 Kilometer werden es schließlich sein. Und unermessliche Erkenntnisse über das Fahrzeug, seine Technologien und seine Performance.

Tests unter Extrembedingungen

Unter realen Rennbedingungen fährt der 919 Hybrid kontinuierlich über den Circuit, unterbrochen nur von kurzen Boxenstopps und betreut vom Werkstatt- und Ingenieursteam, das ebenfalls alle Abläufe probt. Die Fahrer bewegen sich und das Fahrzeug am Limit. Wie in Le Mans wechseln sie sich ab, durch den Tag, durch die Nacht und noch ein Stück durch den nächsten Tag. Zwei bis drei Stunden dauert eine Phase – stundenlange sportliche Höchstleistung.

Die Anspannung und Müdigkeit ist Timo Bernhard anzusehen, als er aus dem Cockpit klettert und den Helm vom Kopf zieht. Umgehend auf die Massage-Liege und in die Behandlung des Physiotherapeuten, das wäre jetzt verlockend. Doch Bernhard ist noch nicht fertig. Umringt von Ingenieuren, sitzt er vor einer langen Reihe von Computermonitoren. Seine Kollegen analysieren, was der Rennfahrer Runde um Runde gegen die Stoppuhr geleistet hat. Nichts entgeht ihrer Aufmerksamkeit. Sie wollen wissen, wie jedes einzelne System funktioniert hat, wie das Auto unter bestimmten Bedingungen reagiert, welches Verbesserungspotenzial der Fahrer sieht.

Wir Rennfahrer sind Datenrekorder

Es geht um Optimierungen im Zehntel- und Hundertstel-Sekundenbereich. Es ist eine anstrengende Arbeitssitzung. Nach manchem Stint dauert sie vielleicht nur fünf Minuten. Diesmal jedoch wird Bernhard erst nach einer guten halben Stunde entlassen. Er antwortet präzise auf alle Fragen und sprudelt weitere Erkenntnisse heraus, etwa wie aus seiner Sicht der Racing-Start von der Box weg verlief und wie sich das Gesamtsystem 919 Hybrid in allen Einzelheiten anfühlt. „Ich fahre nicht einfach nur am Limit“, sagt er, „sondern speichere ununterbrochen eine Vielzahl von Empfindungen und Eindrücken ab. Wir Rennfahrer sind Datenrekorder. Und zwar solche, mit denen man anschließend reden kann.“ Bernhard schaut in die Gesichter der Ingenieure. Sie scheinen zufrieden zu sein. Endlich darf der Pilot auf die Liege und unter die Hände des Physiotherapeuten.

Im Rennen geht es vor allem um schnellstmögliche Rundenzeiten. Doch es gibt wichtige Nebeneffekte: etwa das Entwickeln einzelner Komponenten zu höchster Effizienz und Standfestigkeit. Ohne das lässt sich ein Langstreckenrennen nicht gewinnen – und auch kein Serienfahrzeug verkaufen. „Es gibt keine extremeren Erprobungsbedingungen als im Motorsport“, sagt Fritz Enzinger. „Was hier funktioniert, kann auch im Alltag bestehen.“ Wobei natürlich lange nicht jedes Detail eines Rennwagens in ein Serienfahrzeug überführt wird.

Fritz Enzinger, Leiter LMP1, Paul Ricard, Frankreich, 2016, Porsche AG
Fritz Enzinger ist Leiter LMP1 bei Porsche

Wie die Porsche Serienfahrzeuge vom 919 Hybrid profitieren? Enzinger denkt keine Sekunde nach. „Wir leisten unter anderem Pionierarbeit für verbesserte Batterien und für ein Fahrzeug mit effizientem 800-Volt-Netz“, sagt er. Absolut neu ist die Abgasenergierückgewinnung des 919 Hybrid. Der Rennwagen ist das erste Fahrzeug, das Energie nicht nur beim Bremsen über Rekuperation zurückgewinnt, sondern auch beim Beschleunigen. Damit und mit allen Eigenschaften wird der Bolide zum rollenden Entwicklungslabor und zum Technologiebeschleuniger. Er verschiebt Grenzen – nicht allein für Porsche, sondern für die gesamte Branche. Die schaut ständig nach Zuffenhausen und nach Weissach.

Der Mission E überträgt Technologie vom 919 Hybrid in ein fertiges Produkt. Ähnlich wie der Langstreckenrennwagen hat der Mission E zwei permanent-erregte Synchronmotoren (PSM) mit hohem Wirkungsgrad, hoher Leistungsdichte und konstanter Kraftentfaltung. Anders als heute übliche E-Antriebe entfalten die Motoren ihre volle Leistung auch beim mehrmaligen Beschleunigen in kurzen Abständen. Der Mission E beschleunigt und bremst dauerhaft schnell und ohne Leistungsverlust. Außerdem an Bord des Mission E: hocheffiziente Batterien sowie ein 800-Volt-Netz. Dieses ermöglicht extrem kurze Ladezeiten für die Batterie. Das Laden erfolgt induktiv. Der Mission E rollt einfach auf seine Ladestation und ohne das Anschließen eines weiteren Kabels holt er sich berührungslos neue Energie. In der Summe seiner Eigenschaften liefert das Fahrzeug das perfekte Beispiel, wie Porsche Technologietransfer betreibt.

Effizienzsteigerungen für alle Antriebsarten

Doch das Zeitalter der Elektromobilität kommt nicht von heute auf morgen. Der Weg dorthin ist begleitet von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor und Hybridantrieb – und zwar solchen mit höchster Effizienz. Was grund-sätzlich eine Domäne von Porsche ist. Langstreckenrennen werden nicht nur mit schierer Kraft gewonnen. Es kommt heute vor allem darauf an, Treibstoff zu sparen, um so die volle Distanz bestmöglich zurückzulegen. Auch die aktuellen Porsche Serienfahrzeuge mit Verbrennungsmotor oder Hybridantrieb spiegeln höchste Effizienz wider. So ist beispielsweise der 2015 vorgestellte neue 911 Carrera um 13 Prozent sparsamer als das Vorgängermodell. Der im März 2016 vorgestellte 718 Boxster gibt sich ebenfalls mit 13 Prozent weniger Energie zufrieden – trotz mehr Leistung. Sportlichkeit und Fahrleistungen bleiben nicht auf der Strecke, sie verbessern sich sogar.

Vor diesem Hintergrund wäre es nicht nur verlockend, sondern sogar fast logisch, Komponenten wie die erwähnte Abgasenergierückgewinnung auch im Serieneinsatz zu sehen. „Das würde uns natürlich sehr freuen“, sagt Enzinger. „Im Rennwagen haben wir die Technologie dauerfest gemacht. Damit liegt sie im Entwicklungszentrum Weissach bereit.“

Alles Wissen in Weissach

Weissach – das ist für Automobilisten ein fast magischer Ort. Im Porsche Entwicklungszentrum werden die Serienfahrzeuge von morgen entwickelt. Der Motorsport ist mit rund 260 Mitarbeitern ebenfalls dort angesiedelt. In Weissach erfindet Porsche den Sportwagen täglich neu. Schon immer und künftig. Und: Weissach vergisst nichts. Der Wissenspool ist umfassend und wächst jeden Tag. Er enthält in Datenbanken, Computern und Archiven unter anderem Erfahrungen, Fakten, Erkenntnisse und Methoden. Das wichtigste Kapital aber bleiben die Menschen.

Porsche hat die besten Fachleute auf jedem Gebiet. Der Technologietransfer zwischen Serie und Motorsport und zurück findet auf einer einfachen, aber sehr wirkungsvollen Basis statt: der Offenheit für temporäre Projektteams und berufliche Wechsel zwischen einzelnen Abteilungen. Welche Aufgabe steht an, welche Herausforderungen gilt es zu meistern? Passende Menschen liefern passende Antworten.

Erfahrung in allen Disziplinen des Fahrzeugbaus

„Ohne die Kollegen aus der Serienentwicklung hätten wir den 919 Hybrid nie so schnell entwickeln können“, sagt Porsche Team Principal Andreas Seidl. „Dort gibt es gehörig Erfahrung in allen Disziplinen des Fahrzeugbaus, beispielsweise zur Hybridtechnologie – unsere Entwickler können komplett darauf zurückgreifen.“

Fritz Enzinger ergänzt: „Die extrem kurzen Entwicklungszeiten zeichnen den Rennsport aus: Wir entwickeln für die Saison und oft von Rennen zu Rennen. Sie sind unsere Härtetests. Auf diese Weise spielen wir immens schnell neues Wissen zurück in den Pool. Manches davon wird sich in künftigen Serienfahrzeugen wiederfinden.“

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