Ein dumpfer Schlag. Eine Sojus-Kapsel ist beim Andocken mit der Raumstation ISS kollidiert. Modul verfehlt. „Puh“, sagt Timo Bernhard und starrt auf den Joystick in seiner Hand, „das ist kompliziert.“ Game over. Der Crash ist dem Saarländer glücklicherweise am Simulator unterlaufen; nichts an der Kapsel oder der ISS hat einen Kratzer. „Da muss man ruhiger und bedachter mit der Steuerung umgehen als im Auto“, sagt der zweimalige Le Mans-Sieger, der sich auskennt mit Simulatoren, der das Lenkrad seines Porsche 919 mit 24 Knöpfen und sechs Wippen im Schlaf bedienen kann. Der den Renner mit mehr als 300 km/h traumwandlerisch sicher über die Strecke chauffiert – der aber scheitert, wenn er eine Sojus im Schildkrötentempo von 15 Zentimetern pro Sekunde im All ordentlich parken soll. Das ist keine Schande. „Man benötigt 1000 Versuche, bis man die Prozedur beherrscht“, sagt Matthias Maurer. Er beherrscht sie, er wird nach Alexander Gerst der nächste deutsche Astronaut sein, der zur ISS fliegt; zwischen 2020 und 2022 soll es passieren.

2017 hat Bernhard Maurer den Nürburgring vorgestellt

Köln, Astronautenausbildungszentrum der European Space Agency (Esa); Teil zwei der Geschichte Autorennfahrer trifft Weltraumflieger. Im Sommer 2017 hat Timo Bernhard seinen saarländischen Landsmann zum Nürburgring geladen. Dort hat der Porsche-Werkspilot seine Welt vorgestellt. Hat erklärt, wie man den 919 schnell und schneller durch eine Kurve lenkt, hat erläutert, wo er die Bremsbalance einstellt und warum Nachtfahrten im Regen Mut erfordern. Hat vom Spaß am Speed erzählt, von 368 km/h in Le Mans, von der irren Beschleunigung in vier Sekunden auf 200, von Körperbelastungen von bis zu fünf g, wenn sich der Körper fünfmal schwerer anfühlt.

Maurer hat entgegnet, er müsse bis zu acht g ertragen, die Rakete beschleunigt in neun Minuten auf 28 000 km/h, wobei „man das eigentlich kaum spürt“, sodass die dreiköpfige Besatzung nach sechs Stunden an der ISS andockt. 400 Kilometer über der Erde. Zwei Männer am Limit, schnell ist eine Basis gefunden – im Sommer 2018 schaut Bernhard bei der Esa vorbei und betritt den Orbit des Astronauten.

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Matthias Maurer führt Timo Bernhard durch das Astronautenausbildungszentrum


Nach dem gescheiterten Boxenstopp im Weltall am Simulator steigen Raumfahrer und Rennfahrer ins Columbus-Modul der ISS, das nebenan steht; in einem schmucklosen Bau von 40 mal 40 Metern Grundfläche mit 20 Metern Höhe, in dem zu Trainingszwecken 1:1-Kopien der Module der Raumstation aufgebaut sind. Wo in einem zehn Meter tiefen Pool ein Modul unter Wasser liegt, damit die angehenden Astronauten die Tücken der Schwerelosigkeit erleben.

„Die Anzüge sind so tariert, dass man im Wasser schwerelos ist“, sagt Maurer, der sich im Training im 130 Kilogramm schweren Raumanzug mehrfach in einem Seil verheddert hatte, weshalb er fast aus dem Programm geflogen wäre. „Mit dem gekrümmten Helmvisier unter Wasser sieht man wie durch ein Vergrößerungsglas“, sagt der 48-Jährige. Die Arbeitskleidung von Timo Bernhard ist tragefreundlicher, sein feuerfester Overall hat kaum ein Kilogramm, sein Helm wenig darüber.

Ein zweistündiges Fitness-Programm im All

„Schwerelosigkeit, oder das Gefühl davon, kenne ich nicht“, sagt er, „reizen würde mich das schon.“ Dieser Zustand ist schuld daran, dass Astronauten täglich ein zweistündiges Fitness-Programm im All leisten müssen – ähnlich dem, das ein Autorennfahrer auf der Erde abspult. Ein Pilot wie Bernhard quält sich beim Laufen und im Kraftraum, um den physischen Belastungen eines Rennens gewachsen zu sein. Ein Astronaut schindet sich, um nicht als körperlicher Greis auf die Erde zurückzukehren. In der Schwerelosigkeit lösen sich ohne Körpertraining die Knochen auf, Muskeln bilden sich zurück, der Flüssigkeitshaushalt passt sich an, Blut wird abgebaut.

„Man altert 30-mal schneller als auf der Erde“, weiß Maurer. So wird auf einem Laufband getrimmt, bei dem Gummiseile die Schwerelosigkeit überlisten, auf einem Ergometer, auf einem Kraft-Trainingsgerät mit Vakuumzylindern. Der Raumflieger weist augenzwinkernd darauf hin, dass „man auf der Toilette beachten muss, dass im All das Rückstoßprinzip gilt“. Immer gut festhalten.

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Bernhard: „Schwerelosigkeit würde mich reizen“


Das gilt auch bei der Arbeit im Columbus-Modul, wo Maurer erklärt, welche Aufgaben der promovierte Materialwissenschaftler erledigen soll. Wie verhält sich ein Stoff beim Schmelzen in Schwerelosigkeit? „Da ist wichtig im Motorenbau, wo hohe Robustheit bei wenig Gewicht gefragt ist“, sagt er. Wie er vorgehen muss, was exakt zu tun ist, wird ihm von der Erde aus via Funk vorgegeben. Er ist mehr Laborant als forschender Wissenschaftler.

Ans Ziel gelangen Bernhard und Maurer nur mit Teamarbeit

„Auch ich stehe per Funk in Kontakt mit dem Team“, sagt der Porsche-Pilot. Wie die Menschen vom Kölner Control Panel ihren Mann im All fernsteuern, so beobachten die Ingenieure an den Monitoren in der Box jeden Meter von Bernhards Fahrt. Sie überwachen alle Fahrzeugdaten, checken die Fahrlinien und melden: „Bleib in Kurve fünf weiter innen.“ Ans Ziel gelangen Bernhard und Maurer nur mit Teamarbeit, in der viel Vertrauen nötig ist. „Jeder kann seine Arbeit nur machen“, betont der Astronaut, „wenn ihn die anderen unterstützen.“

Wenn der Astronaut oder der Rennfahrer auf sich allein gestellt ist, wenn auf der ISS ein Feuer ausbricht oder ein Leck entsteht, wenn bei 250 km/h das Auto direkt vor einem schleudert oder das eigene Fahrzeug einen heftigen Stoß bekommt – dann handeln sie unterschiedlich. „Oberste Regel: Ruhe bewahren“, sagt Maurer, der für jede Krise eine Prozedur kennt, die er Schritt für Schritt abspult. „Wenn ich das Protokoll nicht einhalte, kann ich abstürzen und sterben“, erklärt er, „ich kann nicht am Streckenrand parken und in die Box laufen.“

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Für Maurer die oberste Regel bei Gefahr: „Ruhe bewahren“


Timo Bernhard lässt sich im Notfall von seinem Renninstinkt leiten – er muss schnell und richtig in Sekundenbruchteilen reagieren. Ohne nachzudenken. „Es ist mir in Fleisch und Blut übergegangen, was ich in welcher Situation unternehmen muss“, sagt der 37-Jährige. Was für beide Männer gilt: Manchmal gibt es in ihrem Job keine zweite Chance. Bevor sich die Berufswege von Timo Bernhard und Matthias Maurer nach einigen Stunden im Esa-Zentrum wieder trennen, stellt der Rennfahrer fest, dass ein Astronaut mitunter zehn Jahre ausgebildet wird und trainieren muss, nur um ein einziges Mal ins All zu fliegen. „Das wäre, als würde ich zehn Jahre im Simulator üben – um einmal in Le Mans im 24-Stunden-Rennen zu starten“, erkennt er. Das käme für ihn nie infrage. Andocken an die ISS, ein Boxenstopp im All mit einer Sojus-Kapsel muss es nicht sein – ihm genügt einer im Porsche 919 auf der Erde.

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