Goa, wie Georg Bellof sein Leben lang genannt wird, ist 17 Monate älter als Stefan und jetzt 62 Jahre alt. Auch er visierte eine Karriere als Rennfahrer an, auch er war pfeilschnell. Doch bei ihm scheiterte ein Weiterkommen am fehlenden Geld. „Zahntechniker bin ich stattdessen geworden, habe meinen Meister gemacht und meinen eigenen Betrieb aufgebaut.“ Doch die Zeiten haben sich auch für ihn geändert: Heute gibt Goa Bellof sein Fachwissen als Fahrinstruktor an Porsche-Fahrer weiter. Der jüngere Bruder Stefan war ihm immer sehr nah – und ist es heute noch. Seine Karriere zu verfolgen, zu fördern, zu helfen, dabei zu sein, all das war Georg Bellof wichtig. „Wir waren unzertrennbar. Wir haben zusammen Fußball gespielt, im Winter sind wir gemeinsam Skifahren gegangen. Und jeden Blödsinn haben wir gemacht.“ Zum Beispiel im Goggomobil über den Firmenhof der Autolackiererei des Vaters zu fahren – der tägliche Spaß abenteuerlustiger Buben. Goa Bellof lacht über die Kindheitserinnerungen so laut, so deutlich, so spontan und schelmisch, wie es nur ein Bellof kann. Ganz der Bruder? Auf jeden Fall.
Stibbich: So nennt Goa Bellof seinen verehrten Bruder immer noch. Der Spitzname „stammt von Oma Schäuble, der Gastmutter meines Vaters, als der in Stuttgart vor dem Krieg Karosseriebauer gelernt hatte. Wir waren oft zu Besuch bei ihr“.
Stibbich bedeutet: der Kleine. Der Kleine wollte seinen großen Bruder stets um sich haben. „Stefan wusste: Mit mir hat er immer einen guten Ratgeber. Das war ihm sehr wichtig.“ Das war bei den ersten Formel-2-Testfahrten so, als Bellof schon nach drei Runden den skeptischen Teamchef Willy Maurer überzeugt hatte, und auch bei Nachwuchstests für McLaren Ende 1983. Diese Saison war auch sein erstes Jahr im Werksteam von Porsche. Im Training zum 1.000-Kilometer-Rennen auf dem Nürburgring gelingt Bellof eine Traumrunde von epochaler Bedeutung: 6:11,13 Minuten messen die Zeitnehmer. Der Streckensprecher fabuliert darauf etwas von einer Fehlstoppung, denn das könne ja gar nicht sein.
„So ungewöhnlich kam uns die Zeit zunächst gar nicht vor“, erinnert sich Goa, „gut, Trainingsschnellster. Auffällig war nur, dass er vom Team noch gar nicht erwartet wurde. Aber der Stibbich war ja immer schnell.“ Erst viel, viel später dämmert dem gesamten Motorsport, was Bellof da mit seinem Porsche 956 geleistet hat, welchen Mythos er da geschaffen hat – für sich, für Porsche, für die Nordschleife. Als würde ein Bergsteiger den Mount Everest hochjoggen: Als Erstem gelingt Stefan Bellof ein Rundendurchschnitt von über 200 Kilometer pro Stunde auf der 20,832 Kilometer langen Nordschleife, der schwierigsten Rennstrecke der Welt. „Stefan hat die Schallmauer durchbrochen“, manifestiert auch Porsche-Technikchef Norbert Singer die Glanzfahrt für die Ewigkeit. Den legendären Rekord demonstriert Goa Bellof heute eingestickt auf seinem Shirt. Deutlicher kann man Bruderstolz nicht auf der Brust tragen.
Aber auch das verfrühte Ende jenes Rennsonntags auf der Nordschleife zählt zur oft erzählten Rennsport-Folklore: Weit in Führung liegend, zerstört Bellof nach dem großen Sprung im Streckenabschnitt Pflanzgarten seinen Porsche 956. Ein Abflug im wahrsten Sinne, bei Tempo jenseits von 200, an einer kritischen Stelle. Bellof entkommt unverletzt, für dieses Mal, „und er hat den Fans gleich darauf schon wieder Autogramme gegeben“, sagt Bruder Goa. Es ist diese scheinbar fröhliche, sorglose Unbekümmertheit, die den Rennfahrer Bellof charakterisiert. Als er am 1. September 1985 im wahnwitzigen Duell gegen Jacky Ickx in der neuralgischen Eau-Rouge-Senke von Spa den Rennfahrer-Tod stirbt, ist diese Unbekümmertheit sein Verhängnis. Stefan Bellof indes bleibt für immer mit der 6:11,13-Runde auf dem Nürburgring von 1983 in Erinnerung.
Info
Text erstmalig erschienen im Magazin Porsche Klassik 13.
Text: Franz Ponder // Fotos: Porsche Archiv / Archiv CK Motorsport
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