Elegant schlängelt sich der silberne Carrera durch den Straßenverkehr rund um das kleine Städtchen Wickede. Es geht über idyllische Alleen entlang der Ruhr, die grünen Hügel des Höhenzugs Haarstrang auf und ab. Dort, wo der Fluss seinen nördlichsten Bogen schlägt und die Berge und Wälder des nahen Sauerlandes in die flache Ackerlandschaft der Soester Börde übergehen, ist das neue Zuhause dieses Fahrzeugs, das eine ganz besondere Herkunft und Vorbesitzerin hat: Der 911 der Generation 964 stammt aus dem Besitz der Unternehmerin und Patriarchin Louise Piëch, geborene Porsche, Tochter von Ferdinand und Schwester von Ferry. Heute gehört er Clemens Frigge, autobegeisterter Zahnarzt aus Wickede.
Bis er das Fahrzeug käuflich erwarb, hatte Louises letzter 911er Österreich nie verlassen. Zwei Jahre besitzt Frigge ihn nun, fast per Zufall hat er ihn gefunden. Die vorherigen Besitzer hatten den Wert von Louises letztem Geburtstagsgeschenk einfach nicht erkannt. Der Wagen stand ein Jahr lang beim Händler. Auch Clemens Frigge war der monetäre Wert des besonderen Wagens nicht wichtig: „Ich kaufe Fahrzeuge nicht nach Wert“, betont er, „die Geschichte dahinter, die man für Geld nicht kaufen kann, ist mir wichtiger.“ Der Wagen ist auch nach 103.000 gelaufenen Kilometern in hervorragendem Zustand, weist keine Beschädigungen auf und ist voll fahrtüchtig. Er musste nie restauriert werden. „Es ist auf jeden Fall das Original“, betont Frigge, „die Papiere zu Motor, Getriebe und der Lackierung weisen alle ‚matching numbers‘ aus.“ Selbst das für Louises Fahrzeuge typische Nummernschild mit der Bezeichnung „S 200“ ist noch vorhanden.
Spritztouren im Kärntner Land
Es war das letzte Fahrzeug, das speziell nach den Wünschen der Grande Dame ausgestattet und ihr zum Geburtstag übergeben wurde. Auch mit diesem Porsche unternahm sie zahlreiche Spritztouren im Kärntner Land und rund um den Zeller See, wo sie sich zuletzt niedergelassen hatte. An besonders pittoresken Plätzen hielt sie, legte ihren Zeichenblock aufs Lenkrad und malte vom Fahrersitz aus die schönsten Landschaften der Region. Die Motive wurden später zu begehrten Sammlerobjekten innerhalb der Belegschaft. Louise verschenkte ihre kleinen Kunstwerke nämlich gern als Weihnachtspostkarten an die Angestellten.
Von Kriegsende bis Anfang der 1970er Jahre war Louise Piëch die wohl einflussreichste Frau im Konzern. Sie galt als heimliche Finanzministerin, obwohl sie nie eine hohe Position im Familienunternehmen angestrebt hatte. 1904 wurde Louise als Tochter von Ferdinand und Aloisia Porsche in Wien geboren, fünf Jahre vor ihrem Bruder Ferdinand, genannt „Ferry“. Die beiden kamen schon früh mit dem Thema „Automobil“ in Berührung. Während Vater Ferdinand als Technischer Direktor bei Austro-Daimler beschäftigt war, lernten die Kinder in einer motorisierten Seifenkiste im Hof das Autofahren. Louise war dabei besonders autobegeistert: Schon mit 14 machte sie ihren Führerschein, mit 15 bekam sie ihr erstes Auto. Sie nahm auch an Rennen teil. Bevorzugt wurde sie jedoch als Porsche-Tochter nie: Als sie einmal ein Rennen mit einem von ihrem Vater konstruierten Mercedes-Sportwagen gewann, übergab der Vater die Trophäe einfach dem Zweitplatzierten, damit nicht der Eindruck der Bevorzugung entstände.
Louise studierte Kunstgeschichte und Malerei bei Josef Engelhart, einem Mitbegründer der Wiener Secession. 1928 heiratet sie den Anwalt Anton Piëch, der schon lange für das Unternehmen arbeitete. Vier Kinder werden geboren: 1929 Ernst, drei Jahre später Louise, 1937 Ferdinand, der spätere VW-Automanager, 1942 kommt Hans-Michel zur Welt. In den Kriegsjahren versammelt sich der Clan auf dem Schüttgut am Zeller See. Mit 35 Menschen auf dem Hof wird es eng und ungemütlich. Und die Ereignisse verschärfen sich noch: 1945 werden der Vater, Bruder Ferry und ihr Mann Anton in Baden-Baden vom französischen Militär verhaftet und nach Frankreich gebracht. Louise gelingt es, über eine französische Anwältin Beweisstücke vorzulegen, die die Inhaftierten entlasten. Gegen die Zahlung von einer Million Franc werden die drei vorübergehend freigelassen. Als ein Jahr später die Kautionssumme zurückgezahlt wird, ist sie durch diverse Geldentwertungen kaum noch etwas wert. In Paris bekommt Louise dafür nur noch zwei Paar Schuhe.
Schon damals nahm sie eine einflussreiche Position im Unternehmen ein. Vor allem bewunderte man ihren klugen Schachzug, der das Unternehmen nach dem Krieg vor der drohenden Verstaatlichung rettete. Auf Initiative von Louise Piëch wurden im Oktober 1943 die nach Österreich ausgelagerten Firmenteile der Porsche KG Stuttgart auf sie und ihren Mann übertragen und in eine neu gegründete „Porsche Konstruktionen Ges.m.b.H.“ mit Sitz in Gmünd in Kärnten eingebracht. Anton Piëch hielt bis dahin zehn und Louise Piëch fünf Prozent der Anteile. Die restlichen in Österreich verbliebenen Vermögensteile der Porsche KG wurden 1947 in die Porsche-Konstruktionen GmbH mit ihrem Werk Gmünd überführt. 1949 verlegen die Geschwister den Firmensitz der „Porsche-Konstruktionen-Ges.m.b.H.“ von Gmünd nach Salzburg. Während Louise und ihr Mann Anton Piëch die VW-Importe nach Österreich in Salzburg forcieren, geht Ferry nach Stuttgart zurück. Dort beginnt er 1950 mit der Serienproduktion der Sportwagen.
Dann kommen weitere Schicksalsschläge, die Louise endgültig in die Verantwortung für das Unternehmen zwingen: 1951 stirbt der Vater, nur eineinhalb Jahre später stirbt auch ihr Mann Anton völlig unerwartet an einem Herzinfarkt. Ab 1952 leitet die vierfache Mutter die Porsche Holding in Österreich. Menschen, die mit ihr arbeiteten, erzählen von ihrer „resoluten Geradlinigkeit, bei der sie auch nicht vor Brüskierungen zurückschreckte“, ihrer unnachahmlichen Motivation und Führungsstärke, der großen Umsicht und dem kaufmännischen Gespür.
Die „graue Eminenz“ der Unternehmenszentrale
„Meine Mutter war eine Realistin und immer so gut informiert, dass sie manchmal den besseren Überblick hatte“, erinnert sich ihr Sohn Ernst. Sie selbst beschrieb einmal – da war sie schon 90 – ihren Erfolg als Frau in der Männerwelt so: „Ich arbeite lieber mit Männern zusammen, weil ein Mann nicht eifersüchtig sein muss auf das, was eine Frau macht.“
1971 zog sie sich aus dem aktiven Geschäft zurück und war von da an nur noch Ehrenvorsitzende des Aufsichtsrats und die „graue Eminenz“ der Unternehmenszentrale in Salzburg. In dieser Zeit genießt sie die zahlreichen Ausfahrten mit den Fahrzeugen, die ihr einmal jährlich zum Geburtstag von „ihrem“ Unternehmen vor die Tür gestellt werden. 1999 stirbt Louise Piëch im Alter von 94 Jahren. Ihr Grab befindet sich in Zell am See, wo ihre Urne in der Hauskapelle des Schüttgutes beigesetzt ist. Ihr letzter Wagen, der 911, der nun an der Ruhr zu Hause ist, wurde nicht mehr gebraucht.
Dass der Innenraum des Wagens speziell für Frau Piëch ausgestattet wurde, erkennt man an den verwendeten Stoffen und deren Farbe. Die Sitze sind statt mit Ganzleder mit einem schlamm-perlmuttfarben melierten Stoff bezogen, der stark an eine 70er-Jahre-Bürogardine erinnert und angeblich auch tatsächlich so in den Arbeitsräumen der Piëchs und Porsches zu finden war. Dieses Design soll typisch sein für die Mitglieder des Familien-Clans. Auch Bruder Ferry ließ sich seine Fahrzeuge so ausstatten, erzählt man sich im Unternehmen. „Das Farbverständnis der Hersteller kann man in diesem Fall nur als makaber bezeichnen“, sagt auch Markus Thurau, Kfz-Meister aus Wickede, der auch die zahlreichen anderen Fahrzeuge des automobilverrückten Zahnarztes Dr. Frigge bewegt und betreut.
Der violette Schimmer der silbernen Lackierung, die Bürogardine als Sitzbezug, Innenverkleidungen aus weißem Leder, weißes Flauschmaterial für die Kanten: Bei Kennern löst dieses Design beim ersten Anblick schieres Entsetzen aus. „Wer hat das denn gemacht?“, hört Frigge oft, wenn Porsche-Experten den Wagen begutachten. „Ist ein Disco-Wagen“, antwortet Frigge dann lakonisch. Er sagt nicht, dass das Fahrzeug aus dem Besitz von Louise Piëch stammt. Stattdessen behauptet er, dass der Wagen „für eine gesetztere Dame“ gestaltet und „zurückgerüstet“ wurde. Die ältere Dame sei dann einfach mit dem Rollator bis zur Fahrertür gefahren, habe sich in den Fahrersitz fallen lassen und dann Gas gegeben. Doch Frigge versteht das Entsetzen der Porsche-Puristen: „Es gehört eine große Leidensfähigkeit dazu, das Design des Fahrzeugs so zu lassen“, lacht er, „aber sobald man den Wagen fährt, ist das egal.“ Ansonsten hatte sich Louise keine andere Sonderausstattung gewünscht. Der Wagen sei trotz der eigenwilligen Stoffe und Farben „reines Understatement“, so Frigge.
Die Sportwagen machten „ordentlich Lärm“
Frigges Leidenschaft für Porsche begann ausgerechnet in der Autowaschanlage eines VW-Autohauses. Mit 15 jobbte er dort und bekam dort auch Porsche zu waschen. Zum ersten Mal verliebt hat er sich dann in einen irischgrünen 356 C mit cognacfarbener Innenausstattung. Er wollte seinen Vater sogar überreden, den Wagen zu kaufen. Doch der meinte, der 356er sei als Familienauto nicht zu gebrauchen. Die Familie blieb beim Mercedes. 1987 kaufte Frigge sich dann einen grünen 911 Carrera RS, danach blieb er bei den frühen Elfer-Modellen hängen. Seine Begeisterung für Porsche speist sich aus dem „Rennsport-Mythos“, mit dem die Marke aufgeladen war. Die Wagen seien im positiven Sinne „nie perfekt“, sondern eher „rau, laut, eigenwillig“. Man brauche eine hohe Leidensfähigkeit. Die Sportwagen machten „ordentlich Lärm“, so Frigge, und beindruckten die Damenwelt, auch wenn einige der Mitfahrerinnen nach einer rasanten Spritztour über Rückenschmerzen klagten. Er lacht.
Nun steht der Wagen in illustrer Gesellschaft in einer ehemaligen Panzergarage der kanadischen Armee. Frigge weiß gar nicht genau, wie viele andere Porsche-Modelle er noch besitzt, neben einem alten Mercedes, der in den 1950er Jahren einmal einem bekannten deutschen Privatbankier gehörte, oder dem seltenen VW Käfer oder dem Messerschmitt Kabinenroller, einem von einem halben Dutzend, das überhaupt noch fahrtüchtig ist. Auf jeden Fall ist noch Platz für weitere Fahrzeuge in der großen Garage. Wer weiß, welche automobile Seltenheit sich demnächst noch zu Louises letztem Porsche gesellen wird. Sie wäre glücklich, wüsste sie von der neuen Heimat ihres letzten Geburtstagsgeschenks.
Info
Text erstmalig erschienen im Magazin Porsche Klassik 12.
Text: Klaus Vogt // Fotos: Matthias Jung
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