1971: Der Turbo-Moment
Anfang der 1970er-Jahre dominiert der 917 die Rennstrecken Europas. 1970 gelingt Porsche erstmalig der Sieg in Le Mans; der fast 600 PS starke Zwölfzylinder fährt auch über die nächsten Rennen den Gesamtsieg der Sportwagen-Weltmeisterschaft souverän nach Hause. In der nächsten Saison wiederholt der 4,5-Liter-Bolide sein Kunststück: Erst Le Mans, dann die WM. Doch den Veranstaltern werden die PS-starken Renner zu wild, die mittlerweile erreichten 400 km/h auf der Mulsanne-Geraden in Le Mans scheinen ihnen zu riskant. Sie beschließen eine drastische Änderung im Reglement: Fortan darf der Hubraum maximal drei Liter messen.
Porsche entscheidet, die nächste Saison lieber auf den amerikanischen CanAm-Strecken zu verbringen. Dort gibt es praktisch keine Regeln – und schon gar keine Hubraumgrenzen! Doch damit haben die Zuffenhausener ein ganz neues Problem: Gegen die Achtliter-Monster der CanAm-Serie wirkt der Porsche 917 fast brav. Die Rennsportabteilung experimentiert mit einem Sechzehnzylinder Sauger, doch das Handling überzeugt nicht. Mehr Power im gleichen Motor – das wäre die Lösung.
Dem Leiter der Porsche-Entwicklungsabteilung, Ferdinand Piëch, geht der Turbo nicht aus dem Kopf – denn die Abgasturbinen kitzeln mächtig PS aus dem Motor. Doch die aus Schiffs- und Eisenbahnmotoren stammende Technik hat etliche Macken, sowohl im Rennsport als auch in frühen Serien-Turbos. Piëch beruft daher eine Sondersitzung ein, einen exklusiven Turbo-Thinktank: Hans Mezger, Valentin Schäffer und weitere Ingenieure aus der Rennsport- und Entwicklungsabteilung treten an, den Turbo von Grund auf neu zu überdenken – ein Moment, der die Turbotechnik über Jahrzehnte hinweg prägen wird.
Der 917 fährt die Konkurrenz in Grund und Boden
Was braucht der Turbo, um wirklich in Schwung zu kommen? Was haben die anderen Entwickler falsch gemacht? Die Überlegungen resultieren im Laufe der Entwicklung in kleineren, schneller ansprechenden Ladern; in einem neu konstruierten Bypass-Ventil zur Regulierung des Ladedrucks; in leistungsstarken, aber dennoch gut handhabbaren Motoren. Der 917/10 dominiert mit seinem Zwölfzylinder-Turbo die CanAm-Saison 1972; der 917/30 sprengt im Jahr darauf die 1100 PS-Marke – und fährt die Konkurrenz buchstäblich in Grund und Boden. Porsche hat den ersten Turbomotor entwickelt, der sein brachiales Leistungsplus sinnvoll umsetzen kann.
Das Know-how aus der Rennabteilung kommt bald auch den Straßensportwagen zugute: Schon 1973 zeigt Porsche einen radikalen Turbo-Prototypen des 911 auf der IAA; ein Jahr später präsentiert Zuffenhausen die Serienversion des 911 Turbo in Paris. Die Leistungswerte sind phänomenal, Kunden und Fachpresse geradezu ekstatisch, der Erfolg ist durchschlagend – und nachhaltig: Wer heute „Turbo“ hört, der denkt an Porsche. Ob die kreativen Ingenieure bei ihrem Treffen in Weissach ahnten, welchem Durchbruch sie auf der Spur waren?