Am Horizont warten die wilden Panamint Mountains. Nichts als Kurven umrahmen die schroffen Gebirgshänge. Stefan Bogner spürt ihn wieder, diesen besonderen Moment. Diese Sehnsucht, die ihn schon vor Jahren überwältigte, als er zum ersten Mal ein Curves-Magazin komponierte: „Nur im Auto komme ich wirklich zur Ruhe.“ Für den Fotografen gibt es keine Kompromisse, und wenn er dem Trubel des Alltags entfliehen möchte, nur zwei Möglichkeiten: Entweder er steht hinter der Kamera oder er sitzt hinterm Volant. Am besten beides, im schnellen Wechsel. Bei der Wahl seiner Kulisse ist er kompromissbereiter. Eigentlich – denn Kalifornien war lange geplant.

Bisher fehlte aber das richtige Auto. „Die Mutter aller Roadtrips erkundest du nicht mit irgendeinem Auto. Es muss ein Elfer sein“, verrät der Münchner mit jenem Lächeln, das er ganz sicher schon als kleiner Junge draufhatte, wenn er einen Porsche fahren hörte. Also warteten er und seine Traumstrecke auf den besten Elfer aller Zeiten – und das ist traditionell immer der neueste, also der 911, Typ 991 II. Gerne als Cabrio, der Freiheit wegen. Passt zum amerikanischen Traum. Am Ende des Westens. Nirgendwo anders erscheint es ihm angebrachter, „Erfahrungen, Erinnerungen und Sehnsüchte zu wecken, um sie dann neu zu interpretieren“, sagt Bogner.

Freiheitsgefühl inmitten von Kurven

Los geht’s im Kulturzentrum Kaliforniens, in Los Angeles. Ohne Plan. Mit dem Ziel, kein Ziel zu haben. Keine Termine. Einfach nur Unterwegssein. Nicht hetzen. Mit dem Finger am Auslöser beginnt Bogner seine Melodien zu suchen, seinen eigenen Sound. Den Song vom Soulful Driving, dem Fahren mit Seele, dem Freiheitsgefühl inmitten von Kurven, dem Unterwegssein mit Freunden. Alles wie früher, in seiner Band. Heute spielen seine Finger nicht Keyboard, sondern Nikon und Leica. Kreieren Partituren aus Kurven und Träumen, Bilder von fast grenzenloser Leere, gefüllt mit Sehnsucht. Sein Song nimmt uns mit, über den Highway Number One nach San Francisco. Summer of Love. Ohne Blumen im Haar – aber mit Sonne im Gesicht. Das Silicon Valley ist nur wenige Kilometer weit weg, wir spüren den frischen Wind. Ein Ort der Zukunft.

Porsche 911 Carrera S Cabriolet, 2016, Porsche AG
Die Kombination aus Porsche 911, Surfbrett und Pazifik kommt dem kalifornischen Traum sehr nahe.

Tagsüber tüfteln die Nerds an neuen virtuellen Welten, nach der Arbeit surfen sie in der echten, in der San Francisco Bay Area. Wir ziehen unsere Spuren an der Pazifikküste – auf Asphalt. Lassen uns treiben von sechs Zylindern und drei Liter Hubraum. Bogner philosophiert über das Cabrio als Surfboard der Straße. Und je länger man ihm zuhört, umso eloquenter holt er aus. Da wird der neue Elfer plötzlich zum Karma seines Lebens, „noch perfektionierter und präziser als der Vorgänger“. Der Elfer mit aufgeladenem Boxermotor gleitet unbeeindruckt von solchen Gedanken weiter durch die Landschaft, im neuen Setup zehn Millimeter tiefer, frisch gestylt mit Längslamellen im Heckstoßfänger, definierter durch 3D-Rückleuchten.

Bogner sucht die Vogelperspektive

Mit heiser-kehligem Klang nimmt er die Schwünge des Asphaltbandes. So souverän, als wäre er genau für diese Strecke gebaut worden. Bogner ist hin- und hergerissen: „Eigentlich will ich gar nicht aussteigen, das Fahrgefühl ist unglaublich.“ Aber was bringt einem das schönste Auto mit Turbo-Schub, wenn man es nur von innen sieht? Er hält an – geht doch. Als Fotograf mit Weitblick überlässt er kein Motiv dem Zufall und tauscht den Elfer gegen einen Bell. Der Helikopter als einzig mögliche Steigerungsform. Bogner sucht die Vogelperspektive, „weil es in meinen Bildern nicht nur ums Unterwegssein, sondern auch um grenzenlose Perspektiven geht“.

Das Death Valley mit seinen endlosen Geraden, verzweifelt sucht sein Auge Kurven, einen Anker. Las Vegas folgt, die Hoover-Talsperre entlang, über den Grand Canyon. Kurz vor der Mojave-Wüste ist der Bildermann wieder am Boden. Übernimmt das Steuer. Klar. Nach seinem Ausflug in den Himmel sprüht seine Sprache von der grenzenlosen Schönheit dieses Landes, dieses Trips. Von Traumkurven und von Menschenleere. Wir einigen uns: Hier könnte man den Begriff ästhetisches Reisen begründen, vielleicht im Sinne eines Johann Wolfgang von Goethe und seinen Reisen durch das Italien des 18. Jahrhunderts. Doch wir befinden uns im 21. Jahrhundert, in seiner schönsten Form, vielleicht. Stille. Weite. Leere.

Es geht darum, Gefühle einzufangen

Bogner-Bilder brauchen keine Personen als Fixpunkte, Menschen sind bei ihm nur als Betrachter vorgesehen. Sein Credo lautet: „Jeder darf sich da selbst hineinfinden, wiederfinden.“ Seine Motive sind ungestellt, aber immer mit einem eindeutigen Look. „Immer ein bisschen dreckig, gerne auch an manchen Punkten ins Unscharfe auslaufend“, sagt der 47-Jährige. Auch die Bildbearbeitung ist für ihn ein puristisches Thema. Kontraste und Tiefen, die schwarzen Töne werden angezogen, Ende. Mehr nicht. „Es geht darum, Gefühle einzufangen.“ In Europa nutzt Stefan Bogner häufig ein Superweitwinkelobjektiv, in den USA macht das für ihn keinen Sinn: „Die Landschaft hier ist von sich aus so viel weiter als zum Beispiel ein Alpental.“

Beim Arbeiten tauscht er zuweilen seine Nikon gegen eine Leica; Zeiss-Linse versus Leica-Objektiv. Nach Tagen zwischen Mojave-Wüste, Joshua-Tree-Nationalpark und Palm Springs kurven wir zurück Richtung Los Angeles. Unser Ziel: Venice Beach. Ein paar Bahnen im Meer ziehen. Bilder betrachten. Über Kurven diskutieren. Fast wie damals in Mathe, in der Schule. Sinuskurven, Hochpunkte, Tiefpunkte – und natürlich: Wendepunkte. Tangenten, die sich nicht einmal in der Unendlichkeit treffen, oder vielleicht doch. So viele wache Erinnerungen, so viel lustvoller Asphalt – das bringt uns auf eine Idee: Wir fahren weiter.

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