Herr Schneider, warum gibt es im Zeitalter der sich ständig verbessernden Computersimulation überhaupt noch fahrende Prototypen?
Die Fahrzeugentwicklung ist heute ohne den Einsatz digitaler Werkzeuge nicht mehr vorstellbar. Wir sparen dadurch sehr viel Zeit im gesamten Entwicklungsprozess. Inzwischen können wir jedes Bauteil erfolgreich am Computer simulieren, und wir crashen diese Bauteile auch am Bildschirm. Dennoch wird die Beurteilung der realen Fahrzeuge auch in Zukunft nicht ohne Fahr-Erprobung erfolgen.
Also kein vorgezogener Ruhestand für Crashtest-Dummys?
Nein, an der Stelle muss ich Sie enttäuschen. Wir müssen zudem die ständig steigende Komplexität in den Fahrzeugen berücksichtigen. Denken Sie nur an die Varianz bei den Antrieben und den Fahrwerken sowie die immer zahlreicheren Assistenzsysteme und nicht zuletzt an das große Zukunftsthema „connected car“. Um all diese Systeme entwickeln und absichern zu können, müsste die Zahl der Prototypen eigentlich sogar noch ansteigen.
Müsste?
Mit dem Einsatz der Computersimulation können wir den Einsatz der Hardware, also der echten Prototypen, zumindest konstant halten. Die Simulation besitzt den unschätzbaren Vorteil, dass wir den digitalen Prototypen nur einmal bauen müssen und ihn dann beliebig oft einsetzen können. Damit haben die getesteten Bauteile bereits einen sehr viel höheren Reifegrad. Das stellt im Entwicklungsprozess ein erhebliches Einsparpotenzial an Zeit und Kosten dar.
Software gegen Hardware ist also nur ein scheinbarer Gegensatz?
Es kommt letztlich auf das intelligente Zusammenspiel von digitalen und realen Prototypen an. Nur dadurch war beispielsweise die Entwicklung des Supersportwagens 918 Spyder in Rekordzeit möglich. Aber die Simulation hat eben ihre Grenzen. Und nur in einem echten Prototypen erkennen wir, wie das Fahrzeug unter echten Bedingungen reagiert. Zu diesen echten Bedingungen gehört für jeden Porsche-Prototypen selbstverständlich der Einsatz im Extrembereich, also auch auf der Rennstrecke. Jeder Porsche absolviert seinen Härtetest auf echtem Asphalt. Letztlich zählt für uns die Runde auf dem Nürburgring. Und selbstverständlich muss der Prototyp auch die Dauerlauf-Erprobung bestehen. Keine noch so gute Simulation kann den Verschleiß am Fahrzeug nach 150 000 Kilometern auf realen Straßen und auf dem Prüfgelände aufzeigen.
Wie viele Prototypen hatten Sie bei der neuen Baureihe Macan im Einsatz?
Im Entwicklungsprojekt Macan haben wir rund 190 Prototypen eingesetzt. Diese Zahl kann sich, je nach Übernahme von Teilen aus dem Baukasten und dem Neuigkeitsgrad des Fahrzeugs, verringern oder auch vergrößern.
Zählt für den Entwickler eigentlich immer noch das Popometer?
Ganz eindeutig. Letztlich muss man die Faszination Sportwagen buchstäblich erfahren. Das gilt für den Entwickler genauso wie für jeden Porsche-Besitzer. Sie müssen in den Prototypen drinsitzen, um zu erkennen und zu erleben, ob die Funktionalität und die Ästhetik stimmen. Das gehört zum Entwicklergeschäft einfach dazu.
Info
Text erstmalig erschienen im Porsche-Kundenmagazin Christophorus, Nr. 368