Jordan Wallace hatte schon einiges erlebt, bevor er als erster Schwarzer Fahrer beim Porsche Carrera Cup North America Geschichte schrieb. Ob als Koch, Mechaniker oder Fahrlehrer. Er gab Sicherheitstrainings für Fahranfänger, half Menschen nach einem traumatischen Autounfall, sich am Steuer wieder sicher zu fühlen, und wirkte sogar an der Entwicklung selbstfahrender Autos mit.
Sein Weg auf die Rennstrecke war jedoch alles andere als vorgezeichnet. Der Vater Polizist, die Mutter Lehrerin – der Motorsport war für den heute 37-Jährigen nur ein weit entfernter Traum. Zwar interessierte er sich schon in jungen Jahren für Autos, doch Rennfahrer kamen ihm vor wie Wesen von einem anderen Stern: „Undenkbar, dass ich selbst mal einer werden würde.“ Doch als Wallace, der in Upper Marlboro im US-Bundesstaat Maryland aufgewachsen ist, nach der Highschool auf der Suche nach einem Wettkampfsport war, entschied er sich für den Driftsport.
„Dadurch landete ich zum ersten Mal auf einer echten Rennstrecke“, erzählt er. „Ich sah die Sportwagen auf der Piste und war sofort elektrisiert.“ Doch sein Umfeld riet ihm zunächst davon ab. „Man sagte mir, dass ich schon jetzt zu viele Unfälle mit meinem Driftauto bauen und so mein ganzes Geld versenken würde.“ Doch für Wallace stand die Entscheidung fest. Einer seiner Freunde schlug ihm dann vor, es lieber mit Kartfahren zu versuchen. „Aber an meinen Erfolg glaubte damals keiner so richtig“, lacht Wallace. „Meine Freunde waren vielmehr der Meinung, dass sich mein Traum damit ein für alle Mal erledigen würde.“
Rookie des Jahres
Es kam anders. In seiner ersten Leihkart-Saison belegte Wallace Rang drei nach Punkten und wurde Rookie des Jahres. Ein Jahr später gewann er die Meisterschaft. Die Rennserie sei für den Einstieg perfekt gewesen. „Dort fährt man nicht immer dasselbe Kart, und jedes Modell hat seine eigenen Stärken und Schwächen“, erklärt er. „So habe ich früh gelernt, mich anzupassen – das ist heute eine meiner Stärken.“
Dennoch führte ihn der Weg vom Kartfahren nicht direkt in den Rennwagen, sondern in die Fahrerausbildung. 2021 arbeitete Wallace in einer Rallye-Schule bei Austin in Texas. Aufgrund der Coronapandemie herrschte Personalmangel. „Ich war abwechselnd Mechaniker, Streckenwart, Ausbilder und der Hilfskoch, der das Mittagessen vorbereitete“, erinnert er sich. Dann geschah etwas, das sein Leben für immer verändern sollte. Nach einem Lehrgang fragten ihn bekannte Kursteilnehmer, ob ihr Sohn ihn bei einem der nächsten Amateurrennen fotografieren dürfte – für Wallace selbstverständlich. Was er damals noch nicht wusste: Eben jene Bekannte waren sehr wohlhabend.
Als sie eine Woche später beim Mittagessen zusammensaßen, fragten sie ihn nach seinem größten Traum – und wie sie ihn dabei unterstützen könnten. Doch Wallace trat sofort auf die Bremse. „Darüber müssen wir uns nicht unterhalten. Ihr seid meine Freunde, und ich möchte diese Beziehung nicht gefährden.“ Sie blieben hartnäckig, ermutigten ihn, seinen Traum zu verfolgen, erkannten sein Talent. Noch dazu war ihnen nicht verborgen geblieben, dass er einen angeschlagenen Betrieb auf höchstem Niveau am Laufen gehalten hatte. Drei Tage später bestellten sie für ihn einen Cayman GT4 Clubsport. „Der Deal war folgender“, erklärt Wallace. „Sie unterstützen mich die nächsten drei Jahre – und Geld spielt keine Rolle.“
Nach ersten Erfolgen in der Porsche Sprint Challenge – zwei Siegen und vier Podiumsplätzen – ging Wallace nach Europa. „Im Motorsport ist es wie im Fußball – die besten und wichtigsten Ligen der Welt gibt es auf der anderen Seite des Ozeans.“ Als Späteinsteiger musste er sich schnell entwickeln – auch wenn das bedeutete, sich immer wieder aufzurappeln. Seine Sponsoren hätten nie etwas von ihm gefordert, betont der US-Amerikaner. „Sie wollten einfach, dass ich mein Bestes gebe und das tue, was aus meiner Sicht nötig ist, um Profi zu werden.“
Eintrittskarte zum Team Kellymoss
Also sammelte er Erfahrungen, fuhr in Rennserien wie der DTM Trophy und der GT4 European Series. Was ihm seine Sponsoren drei Jahre lang ermöglichten, erwies sich schließlich als Eintrittskarte in das beste Porsche-Team Nordamerikas. Das Team Kellymoss konnte bereits 37 nationale Titel in der IMSA Porsche GT3 Cup Challenge, beim Porsche Carrera Cup North America und bei der Porsche Sprint Challenge verbuchen.
„Jeder kann seine Träume verwirklichen. Ganz gleich, woher man kommt.“ Jordan Wallace
„In einer Sportart der Erste zu sein, fühlt sich unglaublich an“, sagt Wallace, der Sohn eines Schwarzen Vaters und einer weißen Mutter ist. „Doch wenn ich darüber nachdenke, warum es bei mir so lange gedauert hat, bis ich dorthin kam, wo ich heute stehe, dann hat das auch mit meinem Umfeld zu tun. Dort gab es schlicht niemanden, der so aussah wie ich und an dem ich mich orientieren konnte.“
Viele Afroamerikaner seien zu ihm gekommen und hätten sich bei ihm bedankt, weil sie ihren Kindern endlich sagen konnten: „Schaut, wir sind nicht nur Basketball- oder Footballspieler. Wir sind auch Ingenieure, Astronauten und Rennfahrer – wir können alles Mögliche sein.“ Wallace sieht sich aber nicht nur als erster afroamerikanischer Fahrer im Carrera Cup. Er hofft, mit seinem Vorbild auch Menschen aus bescheidenen Verhältnissen den Weg in den Rennsport zu ebnen. Die Zeit scheint dafür reif zu sein. Mit der Serie Formula 1: Drive to Survive hat Netflix Millionen von Menschen für die Formel 1 begeistert. Die Zahl der Streaming-Zuschauer bei den 24 Stunden von Daytona hat sich von 2023 auf 2024 mehr als verdoppelt. Je größer das Interesse am Motorsport, desto attraktiver auch das Sponsoring – sowohl für Unternehmen als auch für Einzelpersonen.
Aufstrebende Talente erkennen und fördern
Neben dem Dienstleistungsunternehmen Davis Infrastructure wird Wallace vom Ex-NFL-Footballer Jordan Reed gesponsert. Reed ist Mitgründer von Vision Motorsports, eines Rennsportteams, das auch Trainingsprogramme für Talente anbietet. Das Unternehmen möchte die Kraft des Motorsports als Katalysator für positive Veränderungen nutzen – auf und neben der Rennstrecke. Wallace’ Weg ist ein Paradebeispiel dafür, dass jeder Einzelne Widrigkeiten überwinden und Großes erreichen kann. Das Ziel von Vision Motorsports ist es, das ungenutzte Potenzial aufstrebender Talente zu erkennen und zu fördern. So wie bei Jordan Wallace.
Seit dem Moment vor etwa drei Jahren, als er bei einem Mittagessen nach seinem größten Traum gefragt wurde, ist Wallace nun Teil dieser Vision – und schaffte es auch dank der Unterstützung seiner Sponsoren zum Rennstall Kellymoss. Und von dort als erster Rennfahrer mit afroamerikanischen Wurzeln in den Porsche Carrera Cup North America.
Seine Premierensaison in der Pro-Am-Klasse verlief fulminant. Für Wallace war es der Start in das bisher größte Abenteuer seines Lebens.
Er glaubt, dass Menschen wie sein Sponsor mit ihrer Leidenschaft noch etwas anderes Wichtiges mit in den Motorsport bringen: Spaß. Dann hält er einen kurzen Moment inne, bevor er betont: „Tatsächlich hätte ich auch Pizza ausliefern oder putzen können, doch stattdessen bin ich hier gelandet. Ich hatte das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Und ich möchte ein Beispiel dafür sein, dass jeder seine Träume verwirklichen kann – ganz gleich, woher man kommt oder welche Hautfarbe man hat.“
Info
Text erstmals erschienen im Christophorus Magazin, Ausgabe 412.
Text: Jared Gall
Fotos: Justin Kaneps, Marc Urbano
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