Nina Braack: „Simracing stärkt die Marke und Simulationen helfen in der Entwicklung“

Im digitalen Rennsport geht der Stuttgarter Sportwagenhersteller mit einem Werksteam an den Start. Wie Le Mans und die Formel E erfüllt aber auch das sogenannte Simracing keinen Selbstzweck. Über Videospiele, die Branche und den Sport: Interview mit Nina Braack, Manager Esports bei Porsche Motorsport.

Nina, warum engagiert sich Porsche im Simracing?

Nina Braack: Im Motorsport schlägt das Herz von Porsche. Mit Simracing erreichen wir ein junges, technikaffines Publikum – abseits des klassischen ‚Asphalt-Motorsports‘, wie ich ihn nenne. Eine breite Masse kann unsere Rennfahrzeuge digital fahren und mit ihnen Wettbewerbe gewinnen. Das schafft Verbundenheit und stärkt so unsere Marke.

Wie kann man sich den Esports-Markt vorstellen?

Nina Braack: Esports und Simracing als Esports-Disziplin sind ein Teil der Gaming-Industrie. Gaming wird oft als gesellschaftliche Randerscheinung betrachtet, als Zocken im Kinderzimmer bei heruntergelassenen Jalousien. Tatsächlich handelt es sich um ein globales Phänomen: Die Gaming-Industrie generiert mehr Umsatz als die Film- und die Musikindustrie zusammen. Überall auf der Welt spielen Menschen Videospiele, sei es am PC, auf Spielekonsolen oder am Handy. Das kann zum Zeitvertreib sein, aus Freude am Spielen oder sogar im professionellen Wettbewerb wie im Esports. Zu den größten Einzelmärkten gehören die USA und China – übrigens wie für Porsche.

Porsche Esports, 2024, Porsche AG

Welche Rolle spielt Deutschland beim Gaming?

Nina Braack: Als wohlhabendes Land werden in Deutschland schon lange Videospiele gespielt, sie sind beliebt. Deutschland ist aber auch ein wichtiger Branchenplayer. Mit der Gamescom steigt beispielsweise die weltgrößte Videospielmesse in Köln. Auch die ESL als führender Esports-Turnierveranstalter stammt aus Köln.

Esports verbinden Videospiele und Sport: Wie passt das zusammen?

Nina Braack: Talent, Training, Taktik und Teamwork – darauf kommt es auch im Esports an. Das passt also sehr gut zusammen, zumal sich Sport nicht allein über Physis definiert. Und weil wir im Simracing reale Bedingungen simulieren, übertragen sich in unserer Disziplin besonders viele Anforderungen an die Athleten aus der echten Welt ins Digitale.

Welche Herausforderungen müssen E-Sportler denn speziell im Simracing meistern?

Nina Braack: Nehmen wir als Beispiel die Lenkkräfte. Grundsätzlich müssen die Simracer mit der gleichen Kraft am Lenkrad drehen wie die Asphalt-Motorsportler. Ohne Handschuhe sind Schwielen an den Händen vorprogrammiert. Natürlich fehlen die Fliehkräfte, aber in vielen anderen Bereichen agieren Simracer auf dem gleichen Level wie ihre analogen Kollegen. Beispielsweise bei der Herzfrequenz oder beim Adrenalinspiegel gibt es kaum Unterschiede. Mental kann das Leistungslevel im Simulator sogar höher liegen als auf der Straße. Das liegt daran, dass die Simracer die Abwesenheit gewisser Eindrücke kompensieren müssen – zum Beispiel die fehlenden Fliehkräfte. Um das simulierte Fahrzeug vollends zu spüren, müssen sie ihre ‚Sensoren‘ wie Augen und Hände also viel stärker nutzen. Das bindet große mentale Kapazitäten.

Wie sieht ein Porsche-Werksteam aus, das ausschließlich um virtuelle Siege kämpft?

Nina Braack: Das Porsche Coanda Esports Racing Team verfügt über hochprofessionelle Strukturen. Es setzt sich zusammen aus einem Management, Performance-, Fitness- und Mentaltrainern, Business- und Media-Personal. Das Konzept ist ähnlich wie bei Porsche Penske Motorsport, wo das Werk mit einem externen Rennstall kooperiert. In unserem Fall ist der Partner Coanda Esports mit Sitz im westfälischen Gronau. So verschmelzen unsere Kompetenzen und Ressourcen bei Porsche mit den Fähigkeiten von wahren Esports-Spezialisten. Am sogenannten Esports Hub im Gronau kann das Team auf alles Nötige zurückgreifen, darunter acht Simulatoren, zwei Kommandostände, ein Fernsehstudio und ein Streaming-Raum. In einem nahgelegenen Haus bilden unsere Fahrer sogar eine Wohngemeinschaft.

Wie bereiten sich die Simracer auf ihre Wettbewerbe vor?

Nina Braack: E-Sportler trainieren deutlich mehr als reale Rennfahrer, weil ihr Sportgerät ihnen rund um die Uhr zur Verfügung steht. Außerdem fallen keine Kosten an wie für Streckenmieten, Logistik oder Sprit und Reifen. Hinzu kommt die Besonderheit, dass sie auch die Fahrzeuge der Konkurrenz fahren können, um deren Stärken und Schwächen kennenzulernen. Durch das intensive Training entsteht eine enorme Wettbewerbsdichte.

Können Simracer zu ‚echten‘ Rennfahrern aufsteigen?

Nina Braack: Dafür gibt es viele Beispiele. Den Deutschen Tim Heinemann etwa, der für Porsche in der DTM fuhr. Den kostenintensiven Kartsport konnte er mit Simracing überbrücken. Besonders junge Rennfahrer fühlen sich längst auf beiden Seiten zuhause – die früheren Porsche-Junioren Ayhancan Güven, Laurin Heinrich und Bastian Buus gehören dazu. Alle drei haben in der Vergangenheit auch für Coanda Esports ins Lenkrad gegriffen und nutzen Simracing weiterhin für die Vorbereitung auf Einsätze mit dem echten Porsche 911 GT3 R. Der bekannteste Simracer und Asphalt-Motorsportler ist aber sicherlich Formel-1-Weltmeister Max Verstappen.

Wo fahren die Besten der Besten im virtuellen Rennsport?

Nina Braack: Seit 2023 gilt die sogenannte ELS R1 als Königsklasse im Simracing. Sie basiert auf der Simulation ‚Rennsport‘, gefahren wird mit Fahrzeugen nach GT3-Reglement, darunter der 911 GT3 R. Zwölf Teams mit je vier Fahrern kämpfen um eine Team- und eine Fahrermeisterschaft. In den Online-Events qualifizieren sich die Fahrer für das große Finale vor Publikum beim Esports World Cup. Dort treten die besten Fahrer der ESL R1 gegeneinander an und kämpfen um 500.000 US-Dollar Preisgeld. Es gehen die absoluten Topteams an den Start. Zu den weiteren Saisonhighlights zählen die virtuellen 24 Stunden von Le Mans und natürlich unser digitaler Markenpokal, der Porsche TAG Heuer Esports Supercup.

Was kann Porsche im Simracing für die reale Welt lernen?

Nina Braack: Simulationen gewinnen immer mehr an Bedeutung, sei es in der Rennvorbereitung oder in der Entwicklung sowohl unserer Renn- als auch unserer Straßenfahrzeuge. Sie sparen unternehmerisch und ökologisch betrachtet Ressourcen und sind somit nachhaltiger als Tests und Prototypen in der analogen Welt. Natürlich sind die Simulationen in der Entwicklung für Straßenfahrzeuge nicht solche, wie sie unsere Esports-Werksfahrer verwenden. Aber das Prinzip, reale Bedingungen digital zu nachzubilden, ist das gleiche. Im Asphalt-Motorsport sind Simulationen ohnehin nicht mehr wegzudenken – besonders dort, wo Testfahrten limitiert sind. In der Formel E beispielsweise sitzen unsere Einsatzfahrer pro Rennen gut drei Tage im Simulator, und zwar von morgens bis abends.

Was macht das Porsche-Engagement im Simracing besonders?

Nina Braack: Ganz klar: Wir stellen ein waschechtes Porsche-Werksteam dar. Das bedeutet, dass wir sportlich auf dem höchsten Level agieren und auch die höchsten Ansprüche an uns stellen. Ja, unser Projekt dient einem unternehmerischen Zweck. Und trotzdem treffen wir unsere Entscheidungen in erster Linie mit Blick auf den Nutzen im Wettbewerb. Wir wollen siegen und das steht im Zentrum unseres Handelns.

Über Nina Braack

Nina Braack, Leiterin Esports bei Porsche Motorsport, 2024, Porsche AG

Nina Braack, geboren 1993 in Frankfurt am Main, wechselte 2022 zu Porsche Motorsport und leitet seither das Porsche Coanda Esports Racing Team. Sie studierte unter anderem Sport- und Eventmanagement und spielte zehn Jahre in der 1. und 2. Volleyball-Bundesliga Deutschlands. 2023 gelangen dem Porsche Coanda Esports Racing Team auf Anhieb zwei Titelgewinne in der Simracing-Königsklasse ESL R1.

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