Als „industriepolitisches Leuchtturmprojekt für die Digitalisierung der Lieferketten“ hat der deutsche Bundeswirtschaftsminister Dr. Robert Habeck Catena‑X bei einem Digital-Gipfel im Dezember 2022 bezeichnet. Damit dürfte der Politiker nicht zu hoch gegriffen haben. Von dem neuen, erweiterbaren Datenökosystem erhofft sich die Automobilindustrie nicht nur widerstandsfähigere, nachhaltigere und kostengünstigere Strukturen in der Lieferkette, sondern auch neue Geschäftsmodelle in der Zukunft. Während immer mehr Unternehmen aus der Automobilindustrie, aber auch Händler und Ausrüster im gemeinsamen Datenraum kooperieren, wird Catena‑X zudem zur Blaupause für entsprechende Plattformen in anderen Branchen. Der Grund: Die durch Catena‑X entwickelten Prinzipien, Anwendungen und Standards sind weitestgehend universell anwendbar und lassen sich so leicht an die Wertschöpfungsprozesse anderer Wirtschaftssektoren anpassen.
Die weltweite Arbeitsteilung birgt Risiken, insbesondere bei der Versorgung mit Vorprodukten oder Rohstoffen aus dem Ausland. Sinnbild hierfür war die unbeabsichtigte Blockade des Suezkanals durch das aus dem Ruder gelaufene Frachtschiff „Ever Given“ im März 2021. Der Havarist legte so eine wichtige Ader der Seefracht lahm. Frank Göller, Head of Digital Production & Processes bei der Volkswagen AG, kennt die Konsequenzen solcher Engpässe: „Wenn ich zum Beispiel feststellen muss, dass 20.000 Elektronik-Bauteile nicht planmäßig geliefert werden, verkaufe ich im schlimmsten Fall 20.000 Autos weniger.“
Transparenz von der Rohstoffquelle bis zur Wiederverwertung
Die Zwangssperrung des Suezkanals, die Corona-Pandemie, die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine – es sind diese nicht vorhersehbaren Ereignisse, die zeigen: Im Ernstfall war bislang ein schneller Kapazitätsabgleich jenseits etablierter Lieferstrukturen kaum möglich. Grund sind in vielen Fällen große Lücken in der Datenverfügbarkeit. So reichen die meisten Unternehmen ihre Informationen traditionell nur an ihren nächsten Kunden beziehungsweise direkten Lieferanten weiter. In komplexen Bauteilen stecken jedoch oft Produkte zahlreicher Vorlieferanten. Doch eine schnelle, unmittelbare Rückverfolgung lässt der bisherige Datenstrom kaum zu.
Da zudem eine Vielzahl unterschiedlicher Softwarelösungen in Gebrauch sind und jedes Unternehmen seine eigenen Datenstandards definiert, sind vorhandene Informationen oft nicht miteinander kompatibel. Darüber hinaus betreiben einige Unternehmen notwendige Schnittstellen auch heute noch immer manuell. Der Datenabgleich in der Wertschöpfungskette eines Vorprodukts ist deshalb nahezu unmöglich. Die Transparenz, die es bräuchte, um schnell auf Krisen zu reagieren, gibt es nicht.
Genau das will die Automobilindustrie jetzt ändern: Catena‑X soll die kompletten Wertschöpfungsketten ausleuchten – von der Rohstoffmine über die Komponentenzulieferer bis hin zum Fahrzeughersteller. Und sogar darüber hinaus bis zu den Recyclingunternehmen, um den Kreislauf von Wertstoffen vollständig dokumentieren zu können. Auf dieser Basis werden dann auch neue Lösungen beim Bedarfs- und Kapazitätsmanagement in der Supply Chain möglich. So arbeiten die Catena-X-Entwicklungsteams an leicht bedienbaren Apps, die eine Echtzeiterkennung von Kapazitätsstörungen ermöglichen sollen. „Wenn die Lieferkette durch Catena‑X erst einmal komplett transparent ist, dann sehe ich, welche Kapazitäten wo verfügbar sind und welche dringend benötigten Teile ich in einer Sondersituation umrouten kann“, erklärt Göller.
Gleichwohl geht es bei Catena‑X um mehr als eine höhere Resilienz. Es geht auch um handfeste Kosteneinsparungen, neue Business-Modelle, nachhaltigeres Wirtschaften, effizientere Abläufe und ein optimiertes Qualitätsmanagement. Um die ehrgeizigen Ziele in diesen Funktionsfeldern zu erreichen, braucht es allerdings nicht weniger als den größtmöglichen Schulterschluss in der Branche – auch unter Wettbewerbern. Gerade bei den heiklen Themen Datentransfer und Datensouveränität ist das kein leichtes Unterfangen.
Vertrauen durch europäische Werte
Sicherheit schafft hier zuallererst, dass viele der Grundsätze von Catena‑X gar nicht so neu sind, wie sie erscheinen mögen. Sie haben sich bereits an anderer Stelle bewährt. So formulierte die Brüsseler Non-Profit-Organisation Gaia‑X Association schon 2020 erste wegweisende Prinzipien zum Datentransfer. 350 Unternehmen einigten sich auf die Grundsätze einer gleichberechtigten Zusammenarbeit, der Interoperabilität, auf den Einsatz von Open-Source-Software und vor allem auf das Prinzip der Datensouveränität.
Es sind genau diese allgemein anerkannten Normen, auf die sich auch Catena‑X bezieht. Um das wichtige Prinzip der Datensouveränität mit Leben zu füllen, verzichtet Catena‑X komplett auf den Einsatz einer zentralen Cloud. „Die Daten bleiben ausnahmslos bei den Unternehmen, es werden lediglich kontextbezogene Zugriffsrechte gezielt für spezifische Anwendungen gewährt“, sagt Dr. Jürgen Sturm, der als CIO des deutschen Automobilzulieferers ZF-Group zu den Pionieren von Catena‑X gehört. „Statt alle Informationsstränge bei einem Intermediär zu bündeln, setzen wir auf eine dezentrale Lösung – das reduziert die Missbrauchsmöglichkeiten erheblich.“
Es waren diese Leitlinien, die der Idee eines gemeinsamen Datenaustauschs immer mehr Anhänger verschafften. Im Frühjahr 2021 schlossen sich auf der Basis dieser „europäischen Werte“ 28 Unternehmen zum Catena-X-Konsortium zusammen. Gefördert mit rund 110 Millionen Euro aus dem deutschen Wirtschaftsministerium entstand hier die erste Open-Source-Software zum Betrieb des gemeinsamen Datenraums. Zwei weitere Organe komplettieren heute die Struktur. Der Verein Catena‑X Automotive Network spannt gewissermaßen den gemeinsamen Schirm über seine mittlerweile 170 Mitglieder: Er definiert die Governance, legt die Datenstandards fest und zertifiziert die Anwendungen, mit denen die Mitglieder Daten bearbeiten können. Die Betreibergesellschaft Cofinity‑X verschafft interessierten Unternehmen Zugang zum Netzwerk und stellt einen App-Marktplatz zur Verfügung, auf dem sie sich bedienen, auf dem sie aber auch selbst Apps anbieten können.
Die Entwicklung des Projekts verlief seit seiner Gründung rasant – was nicht zuletzt auf die über 100 Programmiererinnen und Programmierer zurückzuführen ist, die sowohl Open-Source-Code als auch gemeinsame Datenstandards entwickelt haben. So konnte das Konsortium seine Plattform bereits im April 2023 auf der norddeutschen Industrieleitmesse „Hannover Messe“ in einer Pilotversion präsentieren. Der nächste Meilenstein ist auch schon erreicht: Der Go-live von Catena-X-Services und KITs – den definierten Standards, etwa zur Entwicklung und Verwendung von Daten – durch Cofinity‑X erfolgte im Oktober 2023. Mithilfe der Tools aus dem Cofinity-X-App-Marktplatz sollen die Unternehmen dann in zahlreichen Anwendungsgebieten Daten aus der Lieferkette analysieren können.
Fortschritt für die Nachhaltigkeit
Nicht allen Feldern kommt bei den Akteuren der Automobilindustrie die gleiche Bedeutung zu. „Getrieben wird die Diskussion rund um die Lieferkette aktuell sehr stark von Nachhaltigkeitsthemen“, sagt Dr. Andreas Wollny, Senior Manager Digitalization beim deutschen Chemiegiganten BASF. Einer der Gründe für das Interesse der Unternehmen an den grünen und sozialen Themen dürfte in neuen, gesetzlichen Reporting-Regeln zu finden sein. So sieht das seit 2022 in Deutschland geltende Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) vor, dass größere Unternehmen die Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg gewährleisten und dokumentieren müssen. Natürlich gehe Berichterstattung auch ohne digitalen Datenraum, gesteht Volkswagen-Mann Göller, „aber wenn ich ein solches Reporting händisch und mit Excel erstellen muss, frisst das nicht nur enorme Zeit, es wird mit Sicherheit auch ziemlich ungenau.“
Das Thema „Nachhaltigkeitsberichterstattung“ dürfte in den kommenden Jahren an Relevanz gewinnen: Ab 2024 müssen alle Unternehmen mit über 1.000 Angestellten zeigen, wie sie die sozialen und ökologischen Standards gewährleisten – und zwar von der Rohstoffquelle bis zum Endprodukt im Autohaus. Noch im selben Jahr greift zudem eine ähnliche Vorschrift auf EU-Ebene. Natürlich gelten die Reporting-Pflichten nicht nur für die Automobilindustrie, sondern für Unternehmen aus allen Wirtschaftsbereichen. „Unsere Lösungen sind deshalb für alle Unternehmen interessant, die Daten zur Nachhaltigkeit erheben und mit ihren Kunden und Partnern teilen wollen“, ist sich Wollny sicher.
Catena-X – ein Erfolgsmodell auch für andere Branchen?
Tatsächlich haben die ersten Verbände anderer Industriebereiche inzwischen beim Catena‑X Automotive Network angeklopft, um sich Tipps zum Aufbau eines Systems für die eigene Branche abzuholen. Am weitesten dürften die Macherinnen und Macher der Industrie-Initiative Manufacturing‑X sein. Damit soll einmal die Wertschöpfung der gesamten Fertigungsindustrie abgebildet werden können. Dass andere Industrien von den Erfahrungen bei Catena‑X profitieren, steht für die Experten außer Frage. Denn die hier definierten Prinzipien, Anwendungen und Standards gelten weitestgehend als universell. An die jeweiligen Wertschöpfungsprozesse anderer Branchen angepasst, könnten diese schnell und sicher von den Vorteilen profitieren, die Catena‑X bietet.
Jetzt kleinere Unternehmen weltweit überzeugen
„Für den Erfolg von Catena‑X ist es wichtig, die eigene Industrie noch stärker für das Projekt zu begeistern. Hierbei gilt es auch international zu denken“, sagt Sturm: „Die deutsche Automobilindustrie kann nur global erfolgreich sein. Wir wollen deshalb, dass unsere Standards weltweit zur Anwendung kommen.“ Als Vice President Internationalization bei Catena‑X ist es vor allem Göller, der auf den wichtigsten Automobilmärkten für dieses Ziel trommelt. Und das mit Erfolg: So ist bereits ein Catena-X-Hub in Frankreich entstanden und auch die Verhandlungen in den USA, Japan und China verlaufen vielversprechend. Auch wenn Göller zu Beginn seiner Gespräche oft auf Skepsis stößt, am Ende ist es nicht nur Göllers gewinnende Art, die die Kritiker überzeugt – es sind die Argumente. „Irgendwann versteht einfach jeder, dass er einen immensen Vorteil hat, wenn er Teil dieses funktionierenden Ökosystems wird“, sagt Göller.
Oft sind es die großen Player, die den Mehrwert von Catena‑X als Erstes erkennen. „Die Akzeptanz beim Mittelstand ist aktuell noch eine Herausforderung“, räumt Wollny ein. Da hochspezialisierte kleine und mittlere Unternehmen (KMU) wesentliche Player in der Automobilproduktion sind, geht es auf lange Sicht nicht ohne sie. Wollny und Kollegen entwickeln ihre Tools deshalb gezielt mit Blick auf die Bedürfnisse der KMU weiter. So soll es noch niedrigschwelligere Angebote geben, noch einfachere Lösungen, die auch ohne eigenen Systemadministrator umgesetzt werden können. Sturm spricht sogar von „Anwendungen nach dem Prinzip Plug-and-Play“.
Neue Business-Ideen – Investitionen in die Zukunft
Doch auch wenn die leichtere Handhabung der Tools eine nötige Voraussetzung ist, um Catena‑X für breitere Zielgruppen zu öffnen – es dürfte letztlich der unternehmerische Mehrwert sein, der die Entscheider überzeugen wird. Gesteigerte Qualität, geringere Kosten, Stärkung der Unternehmensresilienz, schnelleres und effizienteres Datenhandling sowie eine bessere Abstimmung des Bedarfs mit den Kunden – es gibt viele gute Gründe, um ein Teil des großen Ganzen zu werden. Auch strategische Erwägungen sollten potenzielle Catena-X-Nutzer in ihrem Kalkül berücksichtigen. So sind sich die Expertinnen und Experten einig, dass es durch die Vernetzung schon bald neue Business-Konzepte geben wird, an die heute noch keiner denkt. Es ist somit auch das enorme Zukunftspotenzial, das Catena‑X ausmacht. Für Wollny steht deshalb fest, dass Catena‑X trotz aller Erfolge noch ganz am Anfang steht: „Mit Catena‑X verfügt die industrielle Welt über eine neue, skalierbare Zukunftstechnologie, die global in immer mehr Branchen stetig an Relevanz gewinnen wird.“
Dr. Jürgen Sturm: „Von ‚Ego-Systemen‘ zum Eco-System“
Dr. Jürgen Sturm erinnert sich noch gut an die Visionen vor vier, fünf Jahren. „Jedes große Unternehmen wollte damals seine eigene Cloud aufbauen und diese dann für andere Unternehmen bereitstellen“, fasst der CIO und Senior Vice President des Bereichs Corporate Information Technology der ZF Group, die damaligen Vorstellungen zusammen. Die unternehmenseigene Cloud griff jedoch zu kurz. Zumal die Konzepte vom Denkmodell her stets als zentralisierte Plattformen, also mit einer Cloud-Infrastruktur in der Rolle eines zentralen Intermediärs angelegt waren. Als eine Instanz also, bei der alle Informationen zentralisiert zusammenliefen und die diese Daten universell auslesen und für alle bereitstellen sollte. In der Rolle dieses Intermediärs sahen die meisten Visionäre natürlich das eigene Unternehmen. Sturm erkannte damals schnell: „Das kann nicht funktionieren – diese Ansätze sind alle zum Scheitern verurteilt.“
Der Gedankenfehler der frühen Visionäre: Die Lieferketten sind zu verzweigt, als dass ein Unternehmen alle anderen in einem zentralen Cloud-Ansatz integrieren könnte. Kein Unternehmen kann die Standards für alle formulieren – vor allem nicht in einer so internationalisierten Branche wie der Automobilindustrie. Des weiteren gibt es gute Gründe, sein wichtigstes Gut, nämlich die Daten eben nicht in einer Hand zusammenzuführen. Viel besser ist es, die Datenhoheit bei den jeweiligen Eigentümern zu belassen und eben nur genau diejenigen Daten auszutauschen, die für einen spezifischen Anwendungsfall notwendig sind. „Es musste in den Köpfen aller Beteiligten deshalb zuerst einen Klick geben: Wir mussten begreifen, dass Kooperation für alle der bessere Weg ist“, sagt Sturm. „Alle gemeinsam müssen wir uns von individualisierten Ego-Systemen trennen und zu einem übergreifenden Eco-System entwickeln.“
Es brauchte also Zusammenarbeit und es brauchte auch technische Lösungen, um die Ängste der Kooperierenden zu zerstreuen. Die Angst zu gläsern zu werden beispielsweise, vor allem für die Konkurrenz. Meilensteine auf dem Weg zum gemeinsamen Ökosystem waren die Prinzipien von Gaia‑X, auf deren Basis eine Handvoll Unternehmen 2021 Catena‑X für die Automobilindustrie gründeten. „Ein echter Paradigmenwechsel“, wie Sturm findet. So hätten die Partner vom Problem-Statement – was wollen wir gemeinsam erreichen? – bis hin zu den Lösungskonzepten von Anfang an alles gemeinsam entwickelt. „Im vorwettbewerblichen Miteinander entstand ein echtes Vertrauensfundament.“
Daten teilen ohne Risiko?
Um die Souveränität der Daten bei den Unternehmen zu belassen, werden diese nur „kontextsensitiv miteinander verschaltet“, wie Sturm erklärt. Herzstück des neuen Datenraums ist der sogenannte Eclipse Dataspace Conector (EDC). Er ist auf zwei Ebenen angelegt: Auf der Verhandlungsebene (control plane) handeln die beteiligten Unternehmen in der jeweiligen Lieferkette aus, welche Daten für den aktuellen Use Case benötigt werden. Auf der Datenebene (data plane) zeigt das Tool im Anschluss die spezifischen Daten an – und nur diese. Der Clou des Systems: Die Teilnehmer der Lieferkette schließen bei der Weitergabe von Daten jeweils einzelne, auf den spezifischen Datensatz bezogene Verträge miteinander ab und schließen damit informationellen Missbrauch von vornhinein aus. In Catena‑X wird das Prinzip „1 up and 1 down“ in der Datenkette angewendet. Das bedeutet: Der Teilnehmer sieht nur seine direkten Zulieferer und Kunden, nicht aber Unternehmen darüber hinaus. Der Datenaustausch findet hierbei immer direkt zwischen den Unternehmen statt ohne einen zentralen Intermediär.
Das Konzept von Catena‑X ist so ausgelegt, dass es eine Vielzahl von Unternehmen unterschiedlicher Größe integrieren kann. „Catena‑X ist somit keine deutsche oder europäische Angelegenheit“, stellt Sturm fest. „Die europäische Automobilindustrie kann nur global erfolgreich sein – übergreifende Standards müssen daher weltweit zur Anwendung kommen.“ Doch die Initiatoren haben nicht nur groß gedacht, auch kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) sollten von Anfang an dabei sein. „Das ist wichtig, denn diese Unternehmen machen den Großteil der Lieferkette aus – auf sie kann nicht verzichtet werden, will man mit Catena‑X erfolgreich sein.“
Was also tun, um diese Unternehmen zur Kooperation zu bewegen? Druck ist jedenfalls nicht die richtige Strategie, davon ist Sturm überzeugt. Stattdessen müsse man ihnen den Mehrwert von Catena‑X aufzeigen. Zudem sollten die bereitgestellten Anwendungen möglichst nach den Prinzip Plug-and-Play funktionieren. Denn anders als die Großen der Branche hätten die kleineren Unternehmen oft keine IT-Fachleute, die eine komplexe Systemintegration umsetzen könnten. „Wir brauchen deshalb niedrigschwellige Angebote mit geringen Zugangsbarrieren, sonst gewinnen wir diese Unternehmen nicht für die gemeinsame Sache.“
Ein Teil des Nutzens für die KMU ergibt sich aus den bereitgestellten Anwendungen. So lässt sich durch Catena‑X beispielsweise das Geschäftspartnerdatenmanagement optimieren und vereinfachen. Und noch ein Grund bindet auch kleinere Unternehmen ein: Die Lieferabrufe. Sollte es Catena‑X gelingen, das einheitliche Instrument zum Kapazitätsabgleich in der Lieferkette zu werden, durch das die Hersteller ihren Bedarf mit Zulieferern abstimmen, dann wird die Motivation zur Zusammenarbeit bei allen Parteien noch einmal deutlich steigen. Ein weiterer Vorteil ist die Interoperabilität der Anwendungen. Egal welcher Anbieter oder welche Open Source Anwendung verwendet wird, die Anwendungen sind durch die gleiche Semantik und Berechnungsmethode, welche durch die Catena‑X Standards definiert werden, kompatibel.
Die Großen brauchen die Kleineren
ZF jedenfalls kann und will nicht auf die kleinen Zulieferer bei Catena‑X verzichten. „Wir wollen spätestens 2040 klimaneutral werden“, sagt Sturm. „Wie schnell wir dieses verbindliche Ziel erreichen und dies auch entsprechend nachweisen und dokumentieren können, steht und fällt immer auch mit den Datenketten.“ Und zu diesen Datenketten gehören KMUs integral mit dazu. Gerade in der Phase der Datenaggregation verlieren viele Unternehmen aus Sicht Sturms schon heute deutlich zu viel Zeit. Dabei sei es doch so: „Wenn es gelingt, notwendige Daten schneller zu erheben, kann ich mehr Zeit auf die Datenanalyse und schließlich auf Maßnahmen verwenden, um Probleme zu beheben oder Prozesse durch Optimierungen kostengünstiger zu machen.“
Catena‑X wäre wie kein anderes System dazu in der Lage, die den Austausch von Daten um ein Vielfaches zu beschleunigen. Dass man Catena‑X bei ZF auch darüber hinaus eine Menge zutraut, verdeutlicht die schlichte Anwendungsbreite des Tools beim Zulieferer: Für insgesamt sieben der zehn Use Cases von Catena‑X setzt ZF es auch ein: Von Nachhaltigkeits- und Lieferketten-Themen über Datenerhebungen bei der Kreislaufwirtschaft und Demand- und Kapazitätsmanagement bis hin zum Geschäftspartnerdatenmanagement und zum Qualitätsdatenaustausch kommen Apps des Konsortiums zum Einsatz. Darüber hinaus simulieren Sturm und Kollegen mit den Catena-X-Daten digitale Zwillinge: Durch Muster bei der Fahrzeugnutzung soll eine vorbeugende Wartung und Instandhaltung möglich werden.
Ungeahnte Konzepte
So vielfältig die Instrumente schon heute sind, die Partner erweitern die Anwendungsbereiche von Catena‑X stetig und der Brückenschlag zu anderen Industrien wie etwa mit dem gleichartigen Ansatz Manufacturing‑X in der Fertigungsindustrie ist vorgezeichnet. So verspricht sich Sturm durch die Vernetzung von Catena‑X mit anderen Industrien in der Zukunft ganz neue Potenziale für „ungeahnte Business-Konzepte“. Vor allem in den Bereichen Vernetzung von Infrastruktur, Mobilität, Energie, Sicherheit und beispielsweise im Rahmen von integrierten Smart-City-Konzepten sieht der ZF-CIO Potenzial. „Viele Lebensbereiche verschmelzen mehr und mehr miteinander. Wenn ich die zugrundeliegenden Daten durch Datenraumtechnologie kontextsensitiv miteinander verschalte, kann ich vollkommen neue Geschäftsmodelle entwickeln.“
Frank Göller: „Wir schaffen das Netzwerk der Netzwerke“
Frank Göller war viel unterwegs in den vergangenen zwei Jahren: Tokio, Shanghai, Peking, Seattle. In Paris war er gleich dreimal. Seine Mission: die Catena-X-Vision bekannt machen, die Vorteile des Netzwerks herausarbeiten, neue Mitstreitende gewinnen. Als Vice President Internationalization des Catena-X Automotive Networks will er aus einem Netzwerk aus primär deutschen Automobil- und Zulieferunternehmen ein europäisches, ja internationales machen. Das Problem: „Viele Entscheider in der Automobilindustrie haben noch nicht das volle Potenzial verstanden, welches in Catena-X steckt.“ Das gelte es national und international stärker herauszuarbeiten. „Wir haben noch eine riesige Aufgabe vor uns.“
Dabei haben Göller und sein Team in kurzer Zeit schon viel erreicht. So ist unter seiner Federführung in Frankreich ein erster europäischer Catena-X-Hub jenseits der deutschen Grenzen entstanden. Einfach war es nicht, die Franzosen dafür zu gewinnen, sagt Göller. Skepsis schlug ihm anfangs vor allem bei zwei Themen entgegen: bei der Frage, wie die Unternehmen weiterhin zu jeder Zeit souverän über ihre Daten verfügen können und wie sich die bestehenden französischen Strukturen und Catena‑X verbinden lassen.
Mit Blick auf die Datensouveränität hat Göller in Paris zunächst viel über Standarddefinitionen diskutiert. Auch der Einsatz von Blockchain-Technologie oder die Integration von bestehenden Material-Tracking-Applikationen waren den Franzosen wichtig. Göller und sein Team haben immer wieder die Vorteile des dezentralen Datenraums und des Prinzips der kontextbezogenen Zugriffsrechte betont – „schließlich haben wir unsere Gesprächspartner auf diese Weise für das gemeinsame Projekt gewonnen.“ Auch bei der Kopplung der bestehenden Strukturen konnte Göller die französischen Kollegen auf seine Seite ziehen. „Unsere Idee ist es ja gerade, kompatible Schnittstellen für bestehende Netzwerke zu schaffen, um auf diese Weise unser Netzwerk aufzubauen“, sagt Göller. „Catena‑X ist das Netzwerk der Netzwerke.“
Willkommen im Club der Willigen
Göllers Methode: „Wir sprechen zuallererst mit dem Club der Willigen.“ So nennt er die Aufgeschlossenen. Diesem „Club“ traten in Frankreich als erster großer Partner Stellantis mit Marken wie Peugeot und Citroën, aber auch Opel, Fiat und Chrysler bei. Mit Valeo kam kurz darauf ein wichtiger Zulieferer hinzu, der ebenfalls international tätig ist. Beide Unternehmen sind Mitglieder im wichtigen französischen Automobilverband Galia mit Sitz in Boulogne-Billancourt. Durch ihre Vermittlung kam es zu mehreren Treffen zwischen Göller und den Vertretern des Verbands in Paris. „Zum Schluss hatten wir ein Ergebnis, mit dem alle sehr zufrieden waren und sichtbare Synergien geschaffen worden sind“, erinnert sich Göller. Und ein neues Catena-X-Mitglied wurde gewonnen: Renault. Heute ist ein Vertreter Renaults als gewählter Vorstand im Catena‑X e. V. aktiv.
Ähnlich, wenn auch nicht identisch, geht das Internationalisierungsteam auf den wichtigen asiatischen Automärkten vor. Im Fokus: Japan und China. Göller und eine Expertengruppe verschiedener Catena-X-Mitglieder waren erst Mitte 2023 in Shanghai und Peking und haben dort innerhalb von nur vier Tagen mit Repräsentanten von acht verschiedenen Automobilverbänden und Organisationen gesprochen. Die Kontakte haben Göller in erster Linie die hervorragend vernetzten Kollegen von Volkswagen China vermittelt, aber auch die gute Präsenz der deutschen Industrieverbände IHK und AHK im Reich der Mitte hat Türen geöffnet. Gleichwohl schlägt Göller mit seinen „deutschen Ideen“ auch Skepsis entgegen. „Wir müssen dann immer wieder erklären, dass Catena‑X ausschließlich global erfolgreich sein wird und nur der Startimpuls aus Deutschland kommt.“
Europäische Werte überzeugen auch in Asien
Andererseits sind es oft gerade die europäischen Werte, auf die sich Catena‑X stützt, mit denen Göller punkten kann. „Vor allem das Prinzip der Datensouveränität überzeugt auch außereuropäische Interessenten.“ Dass es vor allem exportorientierte chinesische Unternehmen sind, die sich aufgeschlossen zeigen, verwundert nicht: Auch sie müssen schließlich die rechtlichen Bedingungen im Rahmen der Lieferkette einhalten, die schon jetzt in Deutschland und ab 2024 europaweit gelten. „Viele Ansprechpartner haben schnell gemerkt, dass ihnen Catena‑X hierbei weiterhelfen kann.“ Genau diese Ansprechpartner sind es, mit denen sich das Catena-X-Internationalisierungsteam am aktivsten austauscht. Mit verschiedenen Mitgliedsfirmen wie zum Beispiel Siemens, BMW, SAP, Huawei und T‑Systems soll schon bald eine Allianz der Willigen in China aufgebaut werden.
In Japan ist das Internationalisierungsteam bereits einen Schritt weiter. Brückenbauer waren hier die Kollegen des deutschen Softwarekonzerns SAP, selbst Catena-X-Mitglied der ersten Stunde. Inspiriert von Catena‑X arbeiten die Japaner unter dem Namen Ouranos an ihrem eigenen Lieferkettennetzwerk – eine spätere Zusammenarbeit mit den Europäern ist daher bereits angedacht. Leitidee ist auch hier der Gedanke vom „Netzwerk der Netzwerke“: Wichtig ist allein, dass am Ende der Datenfluss vom Zulieferer in Deutschland zum Erstausrüster in Japan und umgekehrt funktioniert. „Ob auf dem Netzwerk nachher ‚Catena‑X‘, ‚Ouranos‘ oder meinetwegen auch ‚Ich teile gerne Daten AG‘ draufsteht, wäre uns letztlich egal.“
Expertise von Volkswagen bei Catena-X gefragt
Bei der Umsetzung profitiert Catena‑X von früheren Erfahrungen der Unternehmen. So baut Volkswagen beispielsweise seit 2019 erfolgreich eine eigene interne digitale Produktionsplattform auf. In einem ersten Schritt plant der weltweit größte Automobilhersteller, über 100 Standorte in seiner digitalen Produktionsplattform (DPP) miteinander zu verbinden. Doch um den Product Carbon Footprint (PCF) für die eigenen Fahrzeuge „Ende zu Ende“ mit einem industrieweiten Standard zu ermitteln, hätte der Konzern weit über das eigene Lieferantennetzwerk hinaus zusätzliche Partner anbinden müssen. „Wir mussten uns eingestehen, dass das selbst für Volkswagen eine Nummer zu groß ist“, räumt Göller ein.
Ihre Kenntnisse brachten die Expertinnen und Experten von Volkswagen schließlich als eines der ersten Mitglieder im Verein und zeitgleich im Konsortium ein. Gemeinsam haben sie dort, im Kreis der 28 Partner, die erste Software auf Open-Source-Basis für das Projekt entwickelt. „Wir haben uns an dieser Stelle der großen Idee von Catena‑X sehr gerne geöffnet“, bestätigt Göller.
Futter für die App
Bereut hat den Schritt noch keiner im Konzern – die Fortschritte, die die Partner in nur zwei Jahren erzielen konnten, haben den anfänglichen Skeptikern den Wind aus den Segeln genommen. Schon jetzt stehen zahlreiche Apps bereit, um das Lieferketten-Management deutlich zu optimieren, die Reporting-Pflichten zu erfüllen und die Krisen der Zukunft ohne größere Blessuren zu überstehen. Mit zunehmender Anzahl von Nutzerinnen und Nutzern, welche die Daten bereitstellen, die für den Betrieb der Apps notwendig sind, steigt auch der Wertbeitrag für die Catena-X-Community. Aufgrund der rasanten Entwicklung steht für Göller deshalb fest, dass es „durch Catena‑X bald möglich sein wird, Fakten und Zusammenhänge zu erkennen, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können.“
Dr. Andreas Wollny: „Das gemeinsame Ökosystem hat uns vom Start weg fasziniert“
Wenn jeder selbst die Plattform sein will, ist es zum Schluss niemand. Auch Dr. Andreas Wollny kennt dieses Problem, mit dem viele seiner Kolleginnen und Kollegen vertraut sind. Umso begeisterter war der Senior Manager Digitalization bei BASF, als ihn das noch junge Catena-X-Konsortium 2021 einlud, gemeinsam mit der Autoindustrie am Aufbau eines dezentralen Datensystems mitzuwirken. „Wir hatten schon zuvor darüber nachgedacht, wie wir übergreifende Daten zu Themen wie Kreislaufwirtschaft, Nachhaltigkeit und dem Product Carbon Footprint erheben und mit unseren Kunden teilen können – die Idee eines gemeinsamen Ökosystems war deshalb äußerst spannend für uns.“
Zwei Themen waren dem Digitalexperten von Anfang an wichtig: dass die neue Plattform die gesamte automobile Wertschöpfungskette abbildet und dass sie sich vom zentralen Kriterium der Interoperabilität leiten lassen sollte. Die Bedeutung der beiden Punkte reflektiert die besondere Stellung, die dem weltweit tätigen Chemieunternehmen für die Automobilindustrie und darüber hinaus zukommt. So besetzt BASF in der automobilen Lieferkette verschiedene Positionen: Das Unternehmen ist beispielsweise Tier 1, also Modul- und Systemlieferant auf oberster Ebene, bei Lacken (Coatings). Bei Batteriechemikalien und Kunststoffen ist BASF hingegen als Tier 2–5 eher tiefer in der Wertschöpfungskette der Automobilzulieferer angesiedelt. All diese Stationen in der Wertschöpfungskette sollten natürlich auch vom neuen Data Space erfasst werden.
Ähnliche Erwägungen veranlassen Wollny, den Aspekt der Interoperabilität in der Bedeutung stärker zu betonen. „Da wir in einer Vielzahl von industriellen Segmenten tätig sind, wollen wir die Daten zwischen den jeweiligen Plattformen auch hin- und herschieben können.“ Die Daten müssen also mit den Standards der anderen Systeme kompatibel sein. Genau das ist es, worauf der Begriff der Interoperabilität in erster Linie abzielt.
Automobilindustrie als Blaupause für andere Branchen
Ein förderlicher Faktor für die angestrebte Interoperabilität ist die Vorbildfunktion, die Catena‑X verstärkt für Pendants in benachbarten Industriezweigen hat: „Für andere dezentrale Datenökosysteme fungiert Catena‑X schon jetzt als eine Art Blaupause“, bestätigt Wollny die Entwicklung. Grund für die Strahlkraft von Catena‑X ist die frühzeitige Einigung zahlreicher Unternehmen der Autoindustrie auf den gemeinsamen Ansatz – und sicherlich auch die begleitende finanzielle Förderung von Catena‑X durch das deutsche Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Wollny: „Mit Catena‑X verfügt Deutschland über eine neue, skalierbare Zukunftstechnologie, die national und international in immer mehr Branchen stetig an Relevanz gewinnen wird.“ Schon heute orientieren sich die ebenfalls in Deutschland entwickelten Datenräume Manufacturing‑X und Health‑X an den Prinzipien, die Wollny und seine Kolleginnen und Kollegen aus dem Konsortium erarbeitet haben.
Ein weiterer Pluspunkt von Catena‑X ist das enorme Tempo, mit dem die Betreiber der Plattform ihre Ziele und Zwischenziele umsetzen. „Über 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus 28 Häusern arbeiten hierbei agil zusammen“, erklärt Wollny. Zwar sei so auch der Abstimmungsbedarf immens, doch das wechselseitige Vertrauen, das sich die eigentlichen Konkurrenten durch die gemeinsame Tätigkeit erarbeitet haben, löst auch viele Schleifen. Schneller als erwartet war so der erste Prototyp fertig. Geht der anstehende Go-live erfolgreich über die Bühne, stehen die Zeichen erst einmal auf Expansion: „Sowohl international als auch national durch eine verstärkte Ansprache von kleineren und mittelständischen Unternehmen.“
Während Catena‑X auf europäischer und internationaler Ebene bereits erstaunliche Fortschritte gemacht habe, sieht Wollny die Schaffung einer verstärkten Akzeptanz bei den kleineren und mittelständischen Unternehmen (KMU) weiterhin als Herausforderung. „Auch wenn wir aktuell auf vielen Veranstaltungen präsent sind, Messebesuche machen und Einzelgespräche führen, weist die Wertschöpfungskette weiterhin Lücken auf – und die gilt es zu schließen.“ Immerhin begreifen mehr und mehr Entscheider, dass es Vorteile hat, wenn sie ihre Daten nicht mehr von verschiedenen Plattformen mit unterschiedlichen Standards zusammensuchen müssen, sondern sie an einem Ort in einem Standard abrufen können.
BASF hat große Ziele für die Kreislaufwirtschaft
Wollny selbst hat größere Ziele mit Catena‑X. Besonders wichtig für BASF: die Themen Nachhaltigkeit und der Product Carbon Footprint (PCF). „Wir schauen hier auf die gesamte Kreislaufwirtschaft beginnend mit den Rohstoffherstellern auf der einen Seite bis hin zu den Recyclingunternehmen am anderen Ende der Kette.“ Sind die Daten erst erhoben und analysiert, sollen sie mit dem Markt und den Kunden geteilt werden. Eine passende Lösung hierzu erarbeitet BASF aktuell.
Besonders stolz ist Wollny auf den „Battery Passport“, eine App, die BASF federführend mit den Partnern bei Catena‑X entwickelt hat. Laden sich Interessierte die App herunter und integrieren diese ins eigene System, sehen sie auf einen Blick, wie die ausgewählte Batterie chemisch zusammengesetzt ist. Auch der Status der Batterie lässt sich durch die App abrufen. „Die Daten werden vor allem zum Ende des Lebenszyklus der Batterie wichtig“, sagt Wollny, „dann, wenn die Recycler bewerten müssen, ob die Batterie noch einmal verwendet werden kann oder wiederverwertet werden muss.“ Dank Wollny und dem Konsortium wird dazu bald nicht mehr nötig sein als ein Blick in den Battery Passport.
Kommentar von Ole Sassenroth:
Transparenz schaffen — nicht nur in Krisenzeiten
Engpässe und Krisen führen der europäischen Industrie vor Augen, wie anfällig sie ist, wenn Lieferanten plötzlich ausfallen oder blockierte Transportwege den Warenstrom stoppen. In Fabrikhallen geht dann nichts mehr, weil zum Beispiel Halbleiter oder Kabelstränge fehlen. Es ist eher nicht davon auszugehen, dass Europa und der europäischen Wirtschaft demnächst ruhigere Zeiten bevorstehen. Resilienz ist deshalb das Gebot der Stunde – und diese stärkere Widerstandsfähigkeit führt über transparente Lieferketten.
Mit Catena-X hat die deutsche Automobilindustrie ein passendes Modell entwickelt, das funktioniert und das auf Prinzipien beruht, die alle Unternehmen unterschreiben können. Welche Strahlkraft das Ökosystem hat, zeigen die vielen Interessierten anderer Branchen an dem Konzept – und das noch vor dem eigentlichen Marktstart von Catena-X Ende 2023.
Die hohe Aufmerksamkeit ist berechtigt, denn mit Catena-X ist die Lieferkette bei internationalen Krisen nicht mehr die Achillesferse der Unternehmen. Mit den Tools aus dem Catena-X-Marktplatz lässt sich künftig in Krisensituationen auf Knopfdruck und in Echtzeit ausloten, welcher Lieferant die Kapazitäten hat, um entstandene Lücken in der Logistik wieder aufzufüllen. Produktionsausfälle können damit reduziert oder sogar vermieden werden.
Große Marktteilnehmer, die schmerzlich erfahren haben, welche Kosten es mit sich bringt, wenn die Förderbänder in den Produktionsstätten auch nur einen Tag stillstehen, sind bereits bei Catena-X engagiert. Sie profitieren auch im normalen Tagesgeschäft, ohne Krise: Die Nutzung des gemeinsamen Datenökosystems reduziert Kosten, beschleunigt Prozesse, steigert die Produktqualität und liefert die Daten, um den eigenen und den gesetzlich verordneten Nachhaltigkeitszielen entsprechen zu können.
Ein branchenübergreifendes Industrienetzwerk schafft also zu jeder Zeit Mehrwerte für seine Nutzer. Bei kooperativen Modellen gilt das gleichermaßen für internationale Konzerne wie für Mittelständler und kleinere Spezialisten. Durch die gute Vorarbeit des Catena-X-Konsortiums ist der technische und administrative Aufwand für den Aufbau ähnlicher Netzwerke in anderen produzierenden Branchen deutlich reduziert worden.
Info
Text erstmalig erschienen im Porsche Consulting Magazin.