Ferdinand Porsche lernt Alexander Joseph Graf Kolowrat-Krakowsky im Jahr 1921 kennen. Der begeisterte Motorsportfan ist Teilhaber des Unternehmens Austro-Daimler, in dem Porsche zu dieser Zeit arbeitet. Er trägt den Spitznamen Sascha. Porsche und Kolowrat sprechen über die Realisierung eines Herzensprojekts: einen Kleinwagen in größerer Stückzahl zu einem niedrigen Preis zu fertigen. Für das geplante Serienfahrzeug braucht Porsche die Zustimmung des Vorstands von Austro-Daimler, der dem Projekt skeptisch gegenübersteht. Positive Aufmerksamkeit nach einem Renneinsatz sei perfekt, um die Kritiker zu überzeugen, ist sich Porsche sicher. Also realisiert er neben dem geplanten Kleinwagen mit nur 1.100 ccm Hubraum auch eine Rennversion: den ADS R. Da der Industriemagnat und Filmproduzent Kolowrat das Projekt finanziert, wird das Fahrzeug nach ihm benannt: Sascha. Es entsteht eine 598 kg leichte Rennversion zum geplanten Serien-Viersitzer.
Der wassergekühlte 1,1-Liter-Reihenvierzylinder mit zwei obenliegenden Nockenwellen wird weiter hinten eingebaut. Das verkürzte Chassis wiegt lediglich 450 kg, das Gesamtgewicht verteilt sich zu 53 Prozent auf die Vorder- und zu 47 Prozent auf die Hinterachse. Mit zwei vollen Benzintanks und beiden belegten Sitzen ist die Last perfekt verteilt. Der zweite Kübelsitz ist dem Mechaniker vorbehalten, das war damals nicht unüblich. Ersatzteile und Werkzeuge verstaut der Mechaniker in einer Holzkiste hinter den Sitzen, seitlich sind Reserveräder befestigt.
Gute Tradition: Entwicklungen testet Porsche im Motorsport
Die Station bei Austro-Daimler war für Ferdinand Porsche – nach seinem Ausscheiden aufgrund von Unstimmigkeiten – das Sprungbrett nach Stuttgart. Im Rahmen des Kleinwagenprojekts lernt er seine späteren ersten Mitarbeiter Otto Zadnik und Karl Rabe kennen. Letzterer wird bei Austro-Daimler sein Nachfolger. Nach 17 erfolgreichen Jahren in Wiener Neustadt wechselt Porsche Ende April 1923 zur Muttergesellschaft Daimler nach Stuttgart.
Wenige Jahre später gründet er dort, gemeinsam mit seinem Schwiegersohn Anton Piëch und dem ehemaligen Rennfahrer und Geschäftsmann Adolf Rosenberger, 1931 das Konstruktionsbüro „Dr. Ing. h.c. F. Porsche GmbH, Konstruktionen und Beratung für Motoren und Fahrzeuge“. Porsche wird den Brauch beibehalten, Entwicklungen im Motorsport zu testen, bevor sie in Serie gehen. Und das Unternehmen wird der Targa Florio weiterhin eine besondere Bedeutung beimessen.
„Merkwürdiges Rennen über abenteuerliche Strecken“
Die Prototypen werden 1922 erst kurz vor der Rennteilnahme fertig. Noch auf der Zugfahrt lackieren die Mitarbeiter von Porsche die Aluminiumkarosserien der vier Sascha-Modelle rot, damit sie in Italien nicht besonders auffallen und gestohlen werden. Zur besseren Unterscheidung der Fahrzeuge aus der Ferne lässt Kolowrat sie mit Symbolen von Spielkarten versehen.
An seinem Modell prangen Herzen, Alfred Neubauer – der erfolgreichste Fahrer und später Rennleiter von Mercedes – bekommt Karos, Fritz Kuhn fährt mit Pik und Lambert Pöcher mit Kreuz. Graf Kolowrat ist nicht nur Finanzier und Einsatzleiter des Projekts, er fährt auch selbst. Es ist ihm gelungen, die kleinen Sportwagen in der 1,1-Liter-Klasse zu melden. Die Hubraum schwächsten Fahrzeuge und somit auch Kolowrat starten zuerst. Später bezeichnen die vier Sascha-Piloten die Targa Florio als „merkwürdiges Rennen über abenteuerliche Strecken“. Sie fahren im Abstand von je zwei Minuten los, was dazu führt, dass die Teilnehmer nie sehen, gegen wen sie antreten.
Es gilt, vier Runden à 108 km zu absolvieren. Am Ende – und das ist erreicht nach 6.000 Kurven, 432 km und Steigungen bis zu 12,5 Prozent – wird der Austro-Daimler ADS R 19. im Gesamtklassement. „Mit Großvolumigkeit haben viele bei der Targa Florio geglänzt, aber der 598 kg leichte Sascha war mit seinen 50 PS bei 4.500 U/min ein flinker Bursche“, sagt Achim Stejskal, Leiter Heritage und Porsche Museum. „Seine Durchschnittsgeschwindigkeit lag am Ende des Rennens bei nur acht km/h weniger als die der schnellsten Fahrzeuge mit einem vier- bis fünfmal stärkeren Motor.“
Die italienische Presse feiert das schnelle und widerstandsfähige „Miniaturwägelchen“ mit einer möglichen Höchstgeschwindigkeit von 144 km/h als „die Offenbarung der Targa Florio“. Um die Leistungen auch über die Grenzen hinaus zu würdigen, schaltet Ferdinand Porsche großformatige Zeitungsanzeigen: „Austro-Daimler ist der moralische Gewinner der Targa Florio 1922!“ Was Daimler wenige Tage später mit Gegenanzeigen widerlegte, schließlich hatte Daimler den Gesamtsieg errungen. Die Mitglieder des Vorstands der Austro-Daimler AG – unter der Führung von Camillo Castiglioni – waren zwar wie von Porsche gewünscht aufmerksam geworden, aber nach wie vor nicht zur Freigabe einer Serienproduktion des ADS bereit.
Auch nicht nach vielen weiteren Erfolgen, denn dank seiner Wendigkeit und der effektiven Kraftausnutzung fährt der Sascha nach dem Klassensieg bei der Targa Florio bei 52 Rennen noch weitere 42 Siege ein – häufig ist der junge Ferry Porsche an den Strecken mit dabei. Der Vorstand spricht sich final dagegen aus, wegen finanzieller Gründe, der Inflation und der Tatsache, dass man Österreich zu klein fände, um einen geeigneten Markt zu bieten. Man solle sich lieber weiterhin großen Sechszylindern widmen. Das Resümee des Vorstands und ein Konflikt mit Castiglioni führt dazu, dass Porsche Austro-Daimler verlässt und zur Muttergesellschaft nach Stuttgart wechselt. Im Jahr 1924 nimmt Ferdinand Porsche mit Daimler bei der Targa Florio teil und erhält unter anderem dafür den Ehrendoktor der Universität Stuttgart – bis heute der Doktortitel im Firmennamen von Porsche.
Porsche als erfolgreichster Teilnehmer der Targa Florio
Was sein Vater Ferdinand Porsche vor einem Jahrhundert als Angestellter von Austro-Daimler begonnen hat, führt Ferry Porsche mit den Fahrzeugen unter eigenem Namen fort: der Stuttgarter Sportwagenhersteller nimmt regelmäßig an Rennen auf Sizilien teil. Mit elf Gesamtsiegen ist Porsche bis heute der erfolgreichste Teilnehmer der Targa Florio. 1956 holt Umberto Maglioli im Porsche 550 A Spyder den Gesamtsieg. Magliolis Sieg erinnert an das, was dem Team um Ferdinand Porsche und Graf Kolowrat mit dem Austro-Daimler ADS R vor einhundert Jahren bei der 13. Targa Florio gelingt: Sich erfolgreich gegen die hubraumstärkere Konkurrenz durchzusetzen.