Konzeptbau
Erst mit Clay, dann mit gefrästen Kunststoffteilen sowie Teilen diverser Rapid-Prototyping-Verfahren: Schritt für Schritt gibt der Modellbau den Gedanken der Designabteilung Gestalt. „Wir machen Ideen greifbar“, so das interne Motto der Modellbauexperten. Wenn es anfangs nur darum geht, die Proportionen eines künftigen Modells zu veranschaulichen, wird hierzu eine Vielzahl unterschiedlicher Kunststoffblockmaterialien verwendet. Die erste Visualisierung erfolgt aber stets mit Clay, einer Modelliermasse, deren braune Farbe an Ton erinnert.
Bemerkenswert an Clay ist vor allem die Geschwindigkeit, mit der Formänderungen durchgeführt werden können. Dies erfordert großes handwerkliches Geschick. Im weiteren Entwicklungsprozess wird die Form verfeinert. Das ist eine durchaus kniffelige Aufgabe, denn die Außenhaut wirkt sich entscheidend auf die Aerodynamik aus. Deshalb kommen vor der endgültigen Freigabe des Designs sogenannte Durchströmkarosserien zum Einsatz. Hier entsprechen Fugen, Luftdurchlässe, Radhäuser und andere Details schon fast dem späteren Serienstand. Im angrenzenden Windkanal folgen weitere Entwicklungsschritte.
Design
Ideen zu entwickeln und schnell zur Entscheidungsreife zu bringen, ist Aufgabe des Designs. Skizzen, ob auf Papier oder auf einem Tablet, sind dafür eine Voraussetzung. Der zweidimensionalen Zeichnung muss eine dreidimensionale Form folgen, zunächst mithilfe von Konstruktionssoftware im virtuellen Raum und schließlich als physisches Modell. Dass Designer, Modellbauer und Aerodynamikexperten in einem Gebäude sitzen, dient der Kommunikation und der Geheimhaltung gleichermaßen. Im Design-Studio entsteht weit mehr als die Karosserieform. Die Innenraumgestaltung reicht von den grundsätzlichen Abmessungen bis hin zu den feinen Details einer Sitznaht.
Auch hier gilt: Letzte Entscheidungen werden anhand physischer Modelle getroffen, weshalb im Design auch klassische Handwerker arbeiten. Weitere Fachleute der Abteilung ersinnen und erproben, was gemeinhin unter User Experience verstanden wird. Dazu gehören auch die virtuellen Welten von Porsche Connect. Dass sich am Ende alles zusammenfügt, die Gestaltung zur Technik, das Äußere zum Inneren, ist der ausgeprägten Dialogkultur zu verdanken. Nicht umsonst steht im Büro des Designchefs kein klassischer Schreibtisch, sondern eine lange Tafel, an der alle Disziplinen zusammenkommen.
Gießerei
Sogar unter den Beschäftigten in Weissach wissen nur wenige davon: Seit 1971 existiert eine eigene Gießerei im Bau 1, gleich hinter dem früheren Haupteingang. An jedem Werktag um halb zwei ist es soweit: Nachdem eine Metallmischung – von den Technikern Legierung genannt – aufgeschmolzen, konditioniert und kontrolliert wurde, erfolgt der Abguss. Die mehr als 700 Grad Celsius heiße Schmelze fließt dabei in Sandgussformen. Die zur Herstellung der Formen benötigten Werkzeuge wurden im eigenen Modellbau entwickelt und hergestellt. Mal sind es waschtrommelgroße Gehäuse für Elektromotoren, mal filigrane Karosserieteile, die von dem Gießereimeister und seinen bärenstarken Mitarbeitern aus den Formen geborgen werden.
Meistens handelt es sich um Bauteile für Autos, die es noch gar nicht gibt. Durch die eigene Gießerei können die Protoypen in einer sehr frühen Entwicklungsphase mit Bauteilen erprobt werden, die in jeder Hinsicht robuste Serienqualität aufweisen. Mit einem auf wenige Materialien beschränkten 3D-Druckverfahren wäre das nicht möglich, weil Porsche für hochbelastete Bauteile laufend Speziallegierungen modifiziert. Denn schon kleine Variationen in einer Legierung können beispielsweise die Crashfestigkeit positiv beeinflussen, ohne dass das Fahrzeuggewicht steigt. Durch die interne Gießerei bleibt dieses Werkstoff-Know-how auf jeden Fall im eigenen Haus.
Stirnflächenmessung
Perfekt umströmt der Fahrtwind die Karosserie – so das Ziel jeder Aerodynamikentwicklung. Ausgedrückt wird diese Qualität mit dem Luftwiderstandsbeiwert, bekannter als cw-Wert. Um diesen aus den Messdaten des Windkanals berechnen zu können, muss die Stirnfläche des Fahrzeugs exakt erfasst sein.
Der Luftwiderstand und damit der Kraftstoff- oder Stromverbrauch des Fahrzeugs hängen entscheidend von der Stirnfläche ab. Diese Fläche mit einer Abweichung von nur anderthalb Promille zu ermitteln, verlangt nach einer besonderen Apparatur: der Stirnflächenmessanlage. Sie arbeitet mit dem Prinzip eines Schattentheaters. Ein Lichtbalken, erzeugt von grünen Leuchtdioden, fährt zweimal langsam die gesamte Fahrzeugfront ab. Auf einer hinter dem Fahrzeug stehenden, perfekt parallel ausgerichteten Leinwand bildet sich die Kontur ab. Eine Videokamera filmt die Leinwand. Deren Aufnahmen werden anschließend im Computer zu einem einzigen Bild zusammengesetzt. Daraus errechnet ein Bildverarbeitungsprogramm schließlich die Stirnfläche.
Klimakammer
Arktische minus 40 Grad Celsius oder plus 90 Grad, wie sie im Innenraum eines in Arizona geparkten Autos vorkommen können: Es sind alles andere als Wohlfühltemperaturen, die in den vier Klimakammern in Weissach herrschen. Doch diese Bedingungen in dem klimatisierten Raum muss jeder neue Sportwagen während der Entwicklung mehrfach aushalten.
Belastet wird er nicht nur durch Extremtemperaturen, sondern er muss noch zusätzliche Härtetests bestehen: Etwa indem ein Techniker eine Lackierpistole zur Hand nimmt und nach einer Nacht bei minus 18 Grad die Scheiben mit Wasser besprengt. Dann wird der Motor angelassen. Nach einer definierten Zeit muss die Frontscheibe enteist sein. Andere Tests zielen darauf, dass das große Zentraldisplay auch bei plus 40 Grad und direkter Sonneneinstrahlung – erzeugt von einer künstlichen Sonne – immer gut lesbar ist. Oder darauf, dass bei minus 40 Grad die Türgriffe nicht blockieren. Im nahegelegenen Klimawindkanal können auf einem Rollenprüfstand Fahrten bei Extremtemperaturen simuliert werden, wie etwa über den berüchtigten Towne Pass im Death Valley (rund sechs Prozent Steigung über 27 Kilometer). Am Steuer sitzt dabei ein versierter Prüfstandsfahrer. Elektrofahrzeuge müssen annähernd dieselben Tests wie ihre Geschwister mit Verbrennungsmotor bestehen.
Aeroakustischer Windkanal
Realistische Messungen an einem geheimen Prototypen bei 300 km/h – stark verkürzt sah so die wichtigste Anforderung an den neuen, 2015 in Betrieb genommenen Windkanal aus. Der Schlüssel dafür liegt in einem wechselbaren Bandsystem, mit dem die Fläche unter dem Fahrzeug bewegt wird. So ist es möglich, die Strömung unter dem Boden und in den Radhäusern wirklichkeitsnah abzubilden. Doch für die Insassen entscheidend sind nicht nur Auf- und Abtrieb sowie der Luftwiderstand, sondern auch das Windgeräusch. Das gewinnt mit zunehmender Verbreitung flüsternder Elektroantriebe sogar an Bedeutung.
Mittlerweile widmen die Porsche-Experten etwa jede sechste Messung der Aeroakustik. Dafür wird ein Messfeld mit rund 600 Mikrofonen neben und über dem Fahrzeug angebracht – so entsteht eine Art akustisches Foto, mit dem sich störende Geräuschquellen genau verorten lassen. Besonders heikel ist der im Fahrtwind liegende Außenspiegel. Wenn das Optimum noch nicht erreicht ist, stehen Aerodynamiker mit Akustikspezialisten, Karosserieexperten, Ergonomen und Designern gemeinsam im Leitstand und suchen nach Abhilfe. Die Fachleute, hochspezialisierte Männer und Frauen, betreiben den Aeroakustikwindkanal und weitere kleinere Windkanäle buchstäblich rund um die Uhr.
Antriebsprüfgebäude
Immer mehr Fahrzeuge stehen in Weissach unter Strom. Die Hälfte der 18 Prüfstände im neuen Antriebsprüfgebäude, 2019 in Betrieb genommen, dient den Tests mehr oder minder stark elektrifizierter Motoren und Getriebe. Eine echte Spezialität ist der selbst entwickelte Hochvolt-Verbundprüfstand. Der komplette Antrieb – also Motoren für Vorder- und Hinterachse, die zugehörige Leistungselektronik und Getriebe – kann hier gemeinsam mit der späteren Hochvoltserienbatterie getestet werden. Die Batterie befindet sich dabei in einer klimatisierten Sicherheitskapsel unterhalb des eigentlichen Prüfstandes, denn sie wird mit Porsche-typischen Testzyklen im vollen Leistungsspektrum geprüft.
Ebenso wichtig ist das Ladeverhalten, insbesondere wenn es darum geht, sehr schnell sehr viel Strom aufzunehmen und abzugeben. Dafür ist das neue Prüfgebäude mit den unterschiedlichen Ladetechniken ausgestattet, die auf der Welt im Einsatz sind. Auch die neun Verbrennerprüfstände sind auf Nachhaltigkeit ausgelegt: Durch ein flexibles Versorgungssystem können strombasierte CO₂-neutrale Kraftstoffe, sogenannte E-Fuels, getestet werden. Eigene Prüfstände für den Motorsport betreibt Porsche übrigens nicht. Für die Mitarbeiter im Prüffeld ist es Alltag, dass an einem Prüfstand ein künftiger Serienantrieb gefahren wird und am benachbarten ein Rennantrieb.
Elektronikintegration
Das sogenannte Testhaus ist gar kein Haus, sondern eine Etage im Elektronik-Integrationszentrum. Dennoch hat dieser Begriff seine Berechtigung: Unter einem Dach prüfen hier Spezialisten jede Elektronik, vom Fensterheber bis zum Fahrerassistenzsystem, auf einwandfreie Funktion. Um das in einer frühen Phase zu ermöglichen, lange bevor der erste Prototyp auf die Straße entlassen wird, nutzen die Entwickler Hardware-in-the-Loop-Prüfstände. Das Steuergerät und andere Komponenten, etwa Scheinwerfer oder Lenkrad, werden an einen leistungsfähigen Rechner in Schrankgröße angeschlossen. Der gaukelt dem Steuergerät eine reale Fahrt vor, Gefahrensituationen und Fahrerreaktion inklusive.
Dabei wird genau aufgezeichnet, wie das Steuergerät reagiert, beispielsweise, ob es die gewünschte Funktion richtig und schnell genug ansteuert. Doch den Perfektionisten reicht das nicht: Um zu wissen, ob das Zusammenspiel der einzelnen Elektronikkomponenten an Bord störungsfrei funktioniert, packen sie alle Steuergeräte in ein Laborfahrzeug. Das fährt zwar keinen Meter, doch hier sind alle Steuergeräte bereits an den Original-Kabelbaum angeschlossen. Nur was im Testhaus für gut befunden wurde, kommt in die reale Erprobung.
Prototypenparkhaus
Endlich dreht sich ein Rad auf dem langen Weg zur Produktionsfreigabe – Prototypen rücken aus. Aktuell existieren mehr als 1.900 Porsche-Entwicklungsfahrzeuge, die unterschiedlichen Tarnstufen und Geheimhaltungsvorschriften unterliegen. In Weissach werden sie in drei Stufen eingeteilt: Aggregateträger, Baustufenfahrzeug und Vorserienfahrzeug. Baustufenfahrzeuge sind das, was der Volksmund „Erlkönig“ nennt. Alle diese Fahrzeuge sind digital verzeichnet. Die tarnungspflichtigen unter ihnen verfügen über einen Transponder, der ihnen die Einfahrt in ein Prototypenparkhaus sichert. Auch Mitarbeiter, die diesen Hort der Zukunft betreten wollen, brauchen eine elektronisch verifizierte Freigabe.
Das älteste dieser Parkhäuser steht gleich in der Nähe der Hauptpforte des Entwicklungszentrums. Es bietet 255 Plätze auf acht Ebenen und reicht nicht aus. Ein ebenso geschütztes Parkhaus in der Nachbargemeinde Hemmingen hält 120 Ausweichplätze vor. Auch das ist zu wenig: Ein neues Prototypenparkhaus ist seit Januar 2021 in Betrieb. Es hat 1.150 Plätze über 15 Ebenen und rund 400 Ladesäulen und hat damit ausreichende Kapazität. Wenn Vorserienfahrzeuge, die am weitesten fortgeschrittenen Entwicklungsträger, ihre anspruchsvollen Reisen absolviert haben, warten oft noch andere Aufgaben auf sie. Zum Beispiel Einsätze als Aggregateträger von Folgeentwicklungen.
Motorsport
Von ABS und Aerodynamik über PDK und Turbo bis hin zur 800-Volt-Technologie hat der Motorsport die Serie mit zahllosen Technologien befruchtet. Beschleuniger der Rennentwicklung ist der Wettbewerbsdruck – messbare Ergebnisse müssen in kürzester Zeit gelingen. Gleichzeitig profitieren die Ingenieure davon, dass ihre Ideen nicht in großen Stückzahlen hergestellt werden müssen. So entdecken sie exotische Materialien und konstruieren aufwendige Lösungen.
Doch auch in weniger bekannten Disziplinen profitiert das Unternehmen von der Rennsportexpertise. Zum Beispiel in der Logistik. Weil bei den weltweiten und hochfrequenten Renneinsätzen niemals auch nur eine Schraube ohne abgeprüfte Vita zum Einsatz kommen darf, haben die Logistiker das SAP-gestützte Porsche Racing System aufgebaut. Jedes noch so kleine Detail wird festgehalten – etwa die Daten eines Scheibenwischermotors für ein spezifisches Modelljahr. Jedes Werkzeug für das TAG Heuer Porsche Formel-E-Team, Austauschgetriebe für ein GT-Fahrzeug oder Ersatzteile für historische Le-Mans-Fahrzeuge sind abrufbar. Ob Werkseinsatz oder Kundensportfahrzeuge, die Motorsportabteilung entwickelt und betreut in hoher Taktung. Vom Potenzial der Motorsportcrew profitiert die Serie nicht nur zukunftsorientiert, sondern auch spontan. Zum Beispiel, wenn eine Studie unter hohem Zeitdruck entsteht oder anspruchsvolle Logistikaufgaben zu lösen sind.
Info
Text erstmalig erschienen im Christophorus Magazin, Ausgabe 397.