Natürlich ist das völlig verrückt, was an diesem Frühlingsabend im Tipitina’s passiert, der legendären Musikkneipe in New Orleans. Tyler Thompson, der so grandiose Filme wie „Black Swan“, „Everest“ oder „The Trial of the Chicago“ 7 produziert hat, steht auf der Bühne. Der 34-Jährige spielt Gitarre und besingt die USA als „Land of The Free“, als den „Ort der Freien“. Es ist solide Rockmusik zum Fußwippen mit Textzeilen, die zum Nachdenken anregen: „You and me, we’ve got this thing that’ll fade if we stop runnin‘.“ – „Du und ich, wir haben da was am Laufen, aber das wird vergehen, wenn wir aufhören, davonzurennen.“
Draußen steht ein Tourbus. Thompson hat ihn einfach gekauft, so wie er während der Pandemie einfach beschlossen hat, Musiker zu sein. An diesem Abend spielt er zum ersten Mal vor Publikum, wobei das bedeutet: Schwiegervater, ein Kumpel und der große Musikfotograf Danny Clinch. Auf der Tafel am Eingang steht: „Die Null-Fans-Tour – nur diese eine Nacht“.
Völlig verrückt? Natürlich, aber: Sind nicht am Ende oft die erfolgreich, die verrückt genug sind, an eine Idee zu glauben – und verrückt genug, sie auch umzusetzen? In „Land of The Free“ heißt es dazu: „Yeah we’re dreamers who believe we can turn nothing into something.“ – „Jawohl, wir sind Träumer, die daran glauben, aus dem Nichts etwas erschaffen zu können.“
So sind sie hier in New Orleans, das wird einem auch am Nachmittag vor dem Konzert bei der Spazierfahrt in Thompsons elfenbeinfarbenem Porsche 356 B von 1963 bewusst. Diese kleinen Gassen mit den Voodoo-Läden, all die schnuckeligen Restaurants mit frischem Fisch, die Livemusik an fast jeder Straßenecke. Wenn man kurz anhält, sprechen einen Bewohner sofort an, was zugegebenermaßen auch am Auto liegt. Und dann reden plötzlich Fremde wie Freunde miteinander. Sie pflegen, obwohl es insgesamt fast 400.000 Einwohner sind, dieses schrullige Kleinstadtlebensgefühl. Das führt unweigerlich dazu, dass ein Tourist nach nur einer halben Stunde in dieser Stadt glaubt, jede Ecke und jeden Menschen zu kennen – ja, sich heimisch zu fühlen.
Dieses Gefühl vermittelt auch Thompson: Er behandelt einen sofort nach dem Kennenlernen wie einen langjährigen Freund. Ein Indiz, dass dieses Verrückte bei ihm eher eine Mischung aus Neugier und Mut ist, die sich als roter Faden durch sein Leben zieht. Neugier und Mut sind zwei Eigenschaften, die der Mensch oft verlernt, wenn er erwachsen wird.
„Es ist diese Coolness, die mich immer wieder zu Porsche zurückführt.“ Tyler Thompson
„Wissen Sie denn eigentlich, wie ich Produzent geworden bin?“, fragt er, als er in die berühmte Mardi-Gras-Partymeile Bourbon Street einbiegt, kurz parkt und zwischen lockeren Gesprächen mit Spaziergängern einen Netflix-Deal am Telefon einfädelt. Dabei strahlt er mit diesen braunen Lausbubenaugen, weil er genau weiß, dass die folgende Geschichte köstlich ist. Er hatte das Studium abgebrochen und langweilte sich kolossal in der Lastwagenfirma, die er gemeinsam mit seinem Vater Tim gegründet hatte. Er hörte, dass die mittlerweile verstorbene Schauspielerin Brittany Murphy das Ende der Dreharbeiten in New Orleans mit einer Party feiern würde: „Ich wollte da unbedingt hin!“
Tyler borgte sich heimlich einen beeindruckenden Sportwagen aus der Garage des Vaters, fuhr einfach mal vor und tat so, als würde er dazugehören. Er durfte rein, und dann ging alles ganz schnell. Er lernte Leute aus der Filmbranche kennen, die luden ihn nach Los Angeles ein. „Ich habe mir falsche Visitenkarten gedruckt und so getan, als würde ich eine Cateringfirma leiten; ich dachte, so könnte ich vielleicht einen Fuß in die Tür kriegen“, sagt er lächelnd. Doch es kam alles anders.
Er fand, kein Scherz, auf dem Rücksitz eines Taxis ein Drehbuch. „Ich hatte davor noch nie eines gelesen“, gibt er zu. Von diesem Moment an war er gefesselt von dieser faszinierenden, aber eben bisweilen auch gnadenlosen Branche. Er wollte aus diesem Drehbuch den Film „Burning Palms“ machen und bat seinen Vater um Unterstützung.
Der ist, das sollte man wissen, ein hemdsärmeliger Typ, der sich mit dem Sohn noch immer bei jeder Gelegenheit freundschaftlich kabbelt. Also zum Beispiel darüber, wem dieser seltene Porsche Carrera GT gehört, von dem nur 1.270 Exemplare hergestellt wurden. Er gehört dem Vater. Tim Thompson ist reich geworden in der Ölbranche und hat zahlreiche Firmen gegründet, die allesamt mit Ärmel-Hochkrempeln zu tun haben. Und aus dieser Warte blickte er zunächst eher ungläubig auf die Träume des Sohnes von einem Leben als Künstler. Er wusste aber auch, dass Tyler keineswegs verrückt, sondern mutig und neugierig war. Mit diesen Eigenschaften konnte er was anfangen, also investierte er in den Tylers Traum.
Dieses erste Projekt war ein grandioser Flop, doch spornte das den Junior nur noch mehr an. Die harte Lektion wurde die Basis für die Unternehmensgründung von Cross Creak Pictures. Tyler hatte vom Vater den Ehrgeiz geerbt, nicht beim ersten Scheitern aufzugeben. Das Drehbuch von „Black Swan“, davor von anderen Produzenten abgelehnt, faszinierte ihn. Er produzierte den Ballett-Thriller für 13 Millionen Dollar. Tylers Gespür zahlte sich aus: „Black Swan“ spielte weltweit rund 330 Millionen Dollar ein, Natalie Portman bekam den Oscar als beste Hauptdarstellerin.
Ebenfalls vom Vater angenommen hat er die Leidenschaft für Porsche. „Ich habe viele Autos probiert, manche wollte ich unbedingt haben; aber es ist diese Coolness, die mich immer wieder zu Porsche zurückführt“, sagt er über die Marke.
„Sei neugierig, nicht wertend“, hat der große amerikanische Poet Walt Whitman einmal gesagt. Thompson versucht, sich an diesen Satz zu halten und auch andere dafür zu begeistern: „Ich habe mal vor Filmstudenten gesprochen, draußen wurde gerade gedreht. Ich sagte: ‚Ihr müsstet eigentlich da draußen sein! Redet mit Autoren, der Regisseurin, der Crew. Dort lernt ihr mehr als hier drinnen!‘“
Er erzählt die Geschichte, wie er den Film „Everest“ nur deshalb produziert hat, weil er sich in der Lobby eines Hotels umhörte, worüber sich die Leute so unterhielten. Er schnappte das Gespräch über eine Expedition zum höchsten Berg der Welt auf, gesellte sich hinzu – und zwei Jahre später eröffnete die Abenteuergeschichte die Filmfestspiele von Venedig.
Natürlich hört sich das einfach an, doch: Wer sucht wirklich in einer Lobby nach Inspiration und spricht zwei Fremde an? Thompson ist so einer, und deshalb kann er die Geschichte erzählen, wie er Red-Hot-Chili-Peppers-Sänger Anthony Kiedis bat, ihm das Surfen beizubringen und Tyler dabei beinahe ertrunken wäre. Oder wie er 2018 – erfolgreich – versucht hat, als Qualifikant bei dem bedeutenden Tennisturnier von Indian Wells aufgenommen zu werden. So gehen fast alle Tyler-Thompson-Anekdoten: augenzwinkernd, selbstironisch, die Helden sind andere. Und vielleicht sagt er genau deshalb über seine Karriere als Produzent, dessen Filme innerhalb von zehn Jahren mehr als eine Milliarde Dollar eingespielt haben: „Da war schon sehr, sehr viel Glück dabei.“ So ziemlich jeder, der ihn seit Jahren kennt, ob Schwiegervater, Kumpel oder Bandmitglied, sagt, dass dies das Glück des Tüchtigen sei.
Es gibt Menschen, die in Krisen ängstlich werden, und es gibt andere, die in schwierigen Zeiten regelrecht aufblühen. Thompson konnte keine Filme drehen, das verstand er als Aufforderung an sich selbst, wie er in Land of „The Free“ singt, zum Träumer zu werden und aus dem Nichts etwas zu erschaffen. Es gelingt ihm, weil er zum einen den Mut hat, es zu versuchen und andere ungeniert um Hilfe zu bitten; zum anderen, weil er schnell lernt, wie im Gespräch auffällt. Er stellt dauernd Fragen, hört geduldig zu, versucht zu analysieren. Den ganzen Nachmittag über ruft er immer wieder bei seiner Frau an, um sich Erlebnisse erzählen zu lassen – als hätten die beiden nicht den ganzen Vormittag gemeinsam mit ihrer Tochter und den drei Söhnen gespielt.
„Ich sah die Pandemie als Chance, meinen Musikertraum zu verwirklichen“, sagt Thompson, der zugibt, dass er erst die Schritte zwei bis fünf machte. Also: Tourbus kaufen, Aufnahmestudio buchen, Auftritte planen, Produzent anheuern. Er engagierte Steve Jordan, der bereits Musik von Größen wie Keith Richards, Eric Clapton und John Mayer produzierte und außerdem zu den begehrtesten Schlagzeugern der Szene gehört. „Erst danach habe ich bemerkt, dass ich wohl Gesangsunterricht nehmen sollte. Weil die Stimme auf der Bühne anders klingt als unter der Dusche“, reflektiert Tyler. Er nahm sich Zeit, absolvierte den nötigen ersten Schritt, feilte an Songs und Stimme. Dann war es an der Zeit, die Werke aufzuführen – bei diesem Null-Fans-Konzert.
Thompson steht auf der Bühne im Tipitina’s. Man merkt, wie nervös er zu Beginn ist, obwohl nur ein paar Leute da sind. In der Mitte des ersten Liedes erinnert er sich aber an eine dritte kindliche Fähigkeit, die Erwachsene oft verlernen: Einfach mal Spaß haben! Und plötzlich spielt diese Drei-Mann-Band, als wäre die Kneipe rappelvoll.
„Wir sind Träumer, die daran glauben, aus dem Nichts etwas erschaffen zu können.“ Tyler Thompson
Natürlich hat Thompson Konzerte für die nächsten Monate organisiert, natürlich wird das Album erfolgreich sein – nicht nur deshalb, weil Tyler Thompson verrückt genug war, seinen Traum umzusetzen. Sondern weil es einfach gute Musik ist von einem, der immer das tut, was er gerade tun will.
Info
Text erstmalig erschienen im Porsche-Kundenmagazin Christophorus, Nr. 399.