Nach fast 25 Jahren als Bassspieler in einer der populärsten und erfolgreichsten Rockbands aller Zeiten kennen Millionen von Menschen Guy Berryman als ein Viertel von Coldplay. Aber neben der Musik verfolgt Berryman noch andere Interessen und gilt heute als erfolgreicher Sammler und Restaurateur klassischer Sportwagen. Seit Kurzem ist er außerdem als Creative Director des vierteljährlich erscheinenden Automobilmagazins „The Road Rat“ tätig.
Tatsächlich hat seine Liebe zu Autos ihn schon sein ganzes Leben lang geprägt. Er wuchs in den 80er-Jahren in Schottland auf, wo das Design des stillgelegten Triumph TR3A seines Vaters ihm Einblick in die Gestaltungs- und Ingenieurskünste vergangener Zeiten gewährte. Der junge Berryman war oft hinter dem Lenkrad des TR anzutreffen, der ihn zwischen Spinnweben und Kartons mit mysteriösen Ersatzteilen in eine andere Welt entführte. Und so hatte er Blut geleckt.
Vor seinem Erfolg mit Coldplay, der keinen Raum mehr für etwas anderes ließ, hatte Berryman ein Maschinenbau-Studium am University College London aufgenommen. Während einer Tour durch die Garagen seines Hauses in den Cotswolds in England erklärt er, dass dieses Studium für ihn noch immer ein wichtiger Meilenstein auf seinem Weg in – und seine Liebe für – die Welt der Autos darstellt.
„Mein Interesse an Autos liegt in der Ingenieurskunst und den ihnen zugrundeliegenden Konzepten begründet“, erzählt er. „Alle Fahrzeuge in meiner Sammlung haben etwas Besonderes unter der Oberfläche. Ich bin überzeugter Vertreter des Leitsatzes „Form follows function“. Das gilt für mich in vielen verschiedenen Bereichen. Ob im Industriedesign, bei Kleidung oder Autos – wer dieses Mantra verfolgt, wird stets Reinheit erzielen.“
In Bezug auf Autos bevorzugt Berryman eindeutig die Vergangenheit, was eine Sammlung zahlreicher europäischer Raritäten aus der Mitte des 20. Jahrhunderts deutlich belegt. „Meiner Meinung nach war die Designsprache der 1950er- und 60er-Jahre von wunderschöner, skulpturaler Qualität, da damals noch per Hand gezeichnet wurde. Damals war das Fahrzeugdesign geprägt von Extravaganz, es hatte Seele und Schwung. Daraus wurden diese sehr reinen Formen geboren.“
Berrymans Leidenschaft für Porsche geht jedoch weit über den ästhetischen Aspekt hinaus. Der 42-Jährige steckt viel Zeit und Engagement in die Restaurierung seiner Fahrzeuge und nennt eine großzügige Werkstatt sein Eigen, in der man zahlreiche Projekte in unterschiedlichen Reparaturzuständen findet. „Mein Interesse für den handwerklichen Aspekt, für das Auseinandernehmen und erneute Zusammenbauen von Autos, rührt natürlich aus meiner Vergangenheit im Maschinenbau her. Ich bin fasziniert davon, zu lernen und zu zerlegen – ich glaube, so ziemlich alles, was ich tue, ist eine kreative Art, etwas anzusehen und zu zerlegen, ob nun mental oder physisch. So funktioniert meine Denkweise.“
„Ich tue alles Mögliche, um ein Auto so zu restaurieren, dass es wieder dem Zustand nahekommt, in dem es einmal das Werk verlassen hat." Guy Berryman
Was Berrymans Vorgehensweise so besonders macht, ist eine schon beinahe ehrfurchtsvolle Liebe zum Detail; etwas, das ihn nicht selten tief in die Vergangenheit eines Fahrzeugs führt. Er verbrachte Jahre damit, verlorene Geschichten auszugraben, frühere Besitzer ausfindig zu machen und Archive zu durchforsten. „Ich tue alles Mögliche, um ein Auto so zu restaurieren, dass es wieder dem Zustand nahekommt, in dem es einmal das Werk verlassen hat. Ich bilde die Materialien, Lacke und Farben nach – oftmals für Stellen, an denen man es gar nicht bemerken würde, zum Beispiel in einer Verkleidung oder Wagentür. Alles, was ich während des Auseinandernehmens finde, muss erhalten bleiben oder rekonstruiert werden, wenn das Auto wieder zusammengebaut wird.“
Diese Faszination für Arbeitsabläufe und Details war auch die treibende Kraft hinter „The Road Rat“. Berryman gründete das Magazin zusammen mit seinen Projektpartnern Mikey Harvey und Jon Claydon, in dem Printmedien, Longform-Journalismus und traditionelle Produktionsverfahren genauso gefeiert werden, wie die Fahrzeuge selbst.
„Wir wollten Artikel mit Tiefgang“, betont Berryman. „Wir wollten Geschichten mit Bedeutung erzählen, die stets auch den menschlichen Aspekt berücksichtigen. Mit anderen Worten: Ein Auto ist nicht einfach nur ein Auto. Warum gibt es dieses Auto? Wer hat es gebaut? Welche Geschichten kann es erzählen?“
Das perfekte Beispiel liefert die zweite Ausgabe mit dem 917 Langheck von Martini Racing auf dem Cover. Der entsprechende Leitartikel umfasste knapp 8.000 Wörter und war mit bis dato nicht gezeigten Archivbildern aus Zuffenhausen sowie detaillierten technischen Zeichnungen bebildert. Darin ging es nicht um die Rennfähigkeiten des 917, sondern seinen außergewöhnlichen Werdegang von den ersten Anfängen bis zur Homologation im Frühling 1969: die Spannungen, die Politik, die Visionen der Ingenieure. Und die Resonanz war durchweg positiv.
Mit so vielen Eisen im Feuer sollte man meinen, dass Berryman gar nicht mehr dazu kommt, seine Sammlerstücke auch auszufahren, aber wer das behauptet, unterschätzt seine Liebe zur Straße. Er tourt regelmäßig durch ganz Europa und besitzt nicht weniger als fünf klassische Porsche-Modelle, von denen jedes einzelne seine Leidenschaft für die reiche Geschichte und Ingenieurskunst der Marke unterstreicht.
Ein makellos restaurierter 911S von 1967 teilt sich eine Garage mit einem auf GT-Spezifikation umgebauten 914/6 und einem vollständig originalen Elfer von 1968, der einst Clay Grady gehörte. Gradys von der Schlacht gezeichneter 914 Rennwagen befindet sich ebenfalls in Berrymans Besitz, genau wie ein ausgesprochen seltener 356 Zagato, eines von neun neu aufgebauten Fahrzeugen, die auf Grundlage der Konstruktionszeichnungen des weitgehend unbekannten Rennwagens von 1958 gebaut wurden, von dem nur ein Exemplar hergestellt wurde.
„Das ist ein tolles Auto“, schwärmt Berryman. „Es ist leicht wie eine Feder und so offen. In diesem Auto hatte ich den bisher besten Roadtrip meines Lebens. Ich habe es zusammen mit meinem Freund Magne Furuholmen von A-ha aus Zagato in Mailand abgeholt und fuhr damit entlang der Seen nach Chamonix und durch die Alpen hinunter bis nach Nizza. Wir sind durch das scheußlichste Wetter gefahren, das man sich nur vorstellen kann. Es gewitterte, und die Sicht war auf diesen kurvenreichen Bergstraßen auf vielleicht vier Meter beschränkt. Fahrer mit modernen Wagen entschieden sich aufgrund der unsicheren Lage gegen eine Weiterfahrt, aber wir mussten zu einer bestimmten Zeit in Nizza ankommen, also fuhren wir in unseren neongelben Regenjacken und mit immer mehr Wasser im Wagen weiter. Jedes Mal, wenn wir abends im Hotel ankamen, musste wir nach einem Eimer fragen, damit wir das Wasser aus dem Fahrzeug schöpfen konnten. Als ich zuhause ankam, nahm ich als allererstes einen Bohrer zur Hand und bohrte ein paar Löcher in die Bodenbleche.“
Auch diese Geschichte zeigt Berrymans bedingungsloses Engagement für die Sache – von akribischen Rundum-Restaurationen bis zum Fahren eines Wagens ganz im Sinne des Herstellers – eine zunehmend seltene Einstellung.
„Ich glaube, dass die meisten Menschen ihre Autos nicht oft genug fahren“, meint er. „Und das ist schade, sowohl aus persönlicher als auch aus kultureller Sicht. Wenn die Zeit der Verbrennungsmotoren endgültig vorbei ist, sehen wir Young- und Oldtimer wieder in ihrem Kontext und werden sie umso mehr schätzen. Der Wandel hin zu alltagstauglichen Elektromotoren ist großartig, und ich habe den Taycan definitiv schon als Auto für jeden Tag in den Blick gefasst. Aber immer, wenn ich in einem klassischen Wagen unterwegs bin, sehe ich überall nur lächelnde Gesichter. Was diese Autos alles schon erlebt haben. Welche Geschichten sie erzählen können. Sie sind durch nichts zu ersetzen.“