In den vergangenen Wochen waren Jani und Lotterer zwar nicht auf der Rennstrecke unterwegs, sind dafür aber im Rahmen ihres Trainings für die verbleibenden sechs Formel-E-Rennen umso mehr ins Schwitzen gekommen. Die Zwangspause galt für den aktiven Motorsport, nicht aber für das physische und mentale Training im Hintergrund. In der Formel E zählt neben der körperlichen Fitness vor allem die mentale Stärke. Sie ist insbesondere mit Blick auf die einzigartige Belastung von sechs Rennen in neun Tagen gefragt. Lotterer, Jani und Fink trainieren seit Jahren zusammen und verstehen sich blind.
Zusammenarbeit seit fast 20 Jahren
Auf den ersten Blick mag es überraschen, dass Jani und Lotterer sich einen persönlichen Trainer teilen. Diese besondere Form des Teamworks zeigt vor allem, wie sehr sich die beiden Porsche-Werksfahrer schätzen. Fink schätzt vor allem den Ehrgeiz und die Motivation des Duos – auch nach fast 20 Jahren Zusammenarbeit.
„Wenn etwas ansteht, gibt es bei beiden keine Ausreden. Neel und André sind immer bereit, an sich zu arbeiten – und das mit vollem Elan“, sagt der Österreicher. So wie die Fahrer untereinander im Austausch sind, herrscht mit Trainer Fink eine ebenso rege Kommunikation. Während der Corona-Pandemie trainierten Lotterer und Jani meist im heimatlichen Fitnessraum. Die Trainingsdaten übermittelten sie online an ihren Coach, so dass Fink aus der Ferne analysieren und die Trainingspläne gegebenenfalls anpassen konnte.
Sport als Alltag
Neben der körperlichen Anstrengung kommt es in der Formel E vor allem darauf an, den Fokus und die Konzentration aufrecht zu erhalten, so dass die Fahrer vor allem im Ausdauerbereich fit sein müssen. In der Haupttrainingsphase, die ihren Höhenpunkt normalerweise kurz vor der jeweiligen Motorsport-Saison erreicht, wird pro Woche fünf Mal für rund sechs bis sieben Stunden am Tag trainiert. „Nachdem feststand, dass die Formel-E-Saison unterbrochen wird, haben wir unser Trainingspensum bis Mitte Juli wieder erhöht, so dass André und Neel in Berlin bestens vorbereitet sind“, meint Fink.
Keine Reisen und viel Zeit zu Hause waren hierfür optimale Voraussetzungen. Morgens startet das Trainingsprogramm meist mit einem mehrstündigen Ausdauertraining, nach dem Mittagessen folgt eine Krafteinheit. Abschließend wird meist an den koordinativen Fähigkeiten gefeilt. Fink reiste nach den Lockerungen der Corona-Beschränkungen zu Jani in die Schweiz und zu Lotterer nach Frankreich, um mit beiden jeweils eine intensive Trainingswoche zu absolvieren.
Mentale Stärke als Vorteil
Dass Jani und Lotterer mental stark sind, haben die Sieger des 24-Stunden-Rennens von Le Mans Rennens bereits bewiesen. Dort spielen Fokus und Konzentration eine wichtige Rolle. Um das zu trainieren, weichen die beiden auf eine besondere Sportart aus: das Luftgewehrschießen, wie beim Biathlon. „Jeder Schuss wird zu einer mentalen Herausforderung“, erklärt Fink. Oftmals werden Störfaktoren eingebaut, wie beispielsweise das Lösen von Rechenaufgaben oder zusätzliche Ausdauereinheiten zwischendurch.
Fink: „Nur wenn man im Flow bleibt und das Gefühl stimmig ist, passt alles zusammen.“ Das so genannte Visualisieren spielt ebenfalls eine große Rolle und wird vor allem durch die Simulatorarbeit trainiert. „Rennfahrer kreieren eine Art Film in ihrem Kopf. Sie fahren virtuell den Kurs ab, verinnerlichen beispielsweise Bremspunkte und visualisieren so in ihren Gedanken jedes Streckendetail“, erklärt Fink. Das Simracing ist für ihn ein weiteres ideales mentales Trainingstool, das in den vergangenen Wochen dank der ABB Formula E „Race at Home Challenge“ wie auch durch das virtuelle 24-Stunden-Rennen von Le Mans nicht zu kurz kam. „Jeder noch so kleine Fehler wird bei Esports-Rennen bestraft. Bei virtuellen Rennen ist sehr viel Feinmotorik gefragt, wohingegen der reale Motorsport zusätzlich die Grobmotorik erfordert. Die äußeren Einflüsse im Rennauto geben den Fahrern daher ein besseres Feedback auf dessen Körper“, sagt Fink.
Performance als oberstes Ziel
Letztlich zählt für jeden Rennfahrer eins: das Gewinnen. In Berlin bieten sich bei sechs Rennen in neun Tagen viele Möglichkeiten ganz vorne dabei zu sein. Dass durch das kompakte Format der Druck besonders steigt, glaubt Fink nicht. „Druck ist immer da. Wenn etwas nicht so läuft wie erhofft, dann haben die Fahrer die Möglichkeit, es am nächsten Tag besser zu machen. Ein Sportler will durchgehend seine Bestleistung bringen, daher ist das kompakte Format eher von Vorteil, als ein paar Wochen auf das nächste Rennen zu warten.“ Sobald ein Rennfahrer seinen Helm aufsetzt, gehe es nur noch um schnelle Rundenzeiten. Jegliche Gedanken rund um die Corona-Pandemie und das strenge Sicherheitskonzept vor Ort werden zumindest für die Zeit im Auto ausgeblendet. Bestens vorbereit auf ihre Einsätze in Berlin sind Lotterer und Jani dank ihres gemeinsamen Trainers Helmut Fink allemal.